"Götterdämmerung" in München:Erlöst die Menschen von den Göttern!

Mit der "Götterdämmerung" und großartigen Sängern schließen Kent Nagano und Andreas Kriegenburg ihren Münchner "Ring" furios ab.

Reinhard Brembeck

Es ist vollbracht. Seit Anfang Februar haben der Dirigent Kent Nagano und der Regisseur Andreas Kriegenburg den "Ring des Nibelungen" Stück um Stück auf die Bühne des Münchner Nationaltheaters gebracht. Doch erst jetzt, in der "Götterdämmerung" gelingt ihnen eine runde Aufführung.

Gutrune Goetterdaemmerung Anna Gabler

Kapitalismus-Kritik à la Kriegenburg: Anna Gabler reitet als Gutrune auf einem goldigen Schaukelpferd.

(Foto: dapd)

In welch fabelhafter Verfassung derzeit das Staatsorchester und Nagano sind, zeigt sich schon am Vorabend im Galakonzert. Was da der Soloklarinettist in der "Tannhäuser"-Ouvertüre an Wundern bewerkstelligt! Grandios ist auch die Mischung aus dunklen Streichern, herb gotisch klingendem Holz und dezent präsentem Blech. Nagano animiert zu zügigem, nie vordergründigem Spiel.

Dunkle Seelenstudien strebt er an, die er, das ist neu, mit subtiler Erotik grundiert. Das Magische ist ihm genauso Anliegen wie das Suchende, Unsichere, Bösartige, Listige. Für Nagano ist Musik nie Show, l'art pour l'art oder emotionale Überrumpelung. Sondern Sinnstiftung. Die zu realisieren ihm bisher in Wagners "Ring"-Weltentwürfen nicht immer leicht fiel.

Das ist jetzt anders. Schon die "Wesendonck-Lieder" mit Waltraud Meier werden zum Faszinosum. Der dunkle Ton der Mezzosopranistin entspricht genauso Naganos Lesart wie ihre nach innen gewandte Intensität. Waltraud Meier ist höchste Instanz im Wagner-Gesang, ihr warmer Dank an den Dirigenten adelt auch dessen Wagner-Interpretation.

Nagano gibt den Rhythmus vor

Naganos Publikum ist sowieso überzeugt von seinem exorbitanten Können. Das liegt an seinem Charme, seiner Weigerung, durch Klanggewalt Aufmerksamkeit zu erzwingen und einem suchenden Dirigierstil, der nichts von Sicherheiten weiß, nichts vormacht und darum bemüht ist, abseits der Aufführungstradition und deshalb für manche verstörend ein weitgehend getreues Abbild der Partitur zu realisieren.

In der "Götterdämmerung" akzeptiert Nagano endlich, dass er und nur er der Chef des Geschehens ist, natürlich kein lauthals bevormundender. Nagano gibt nun den Rhythmus vor und die emotionale Dichte. Obwohl er und das Staatsorchester nur selten Sänger übertönen, schmerzen einem nach diesem Sechs-Stunden-Abend dann doch die Ohren. Denn der Trauermarsch, der keinen Übermenschen beklagt, sondern einen treulosen Liebhaber, und der finale Weltenbrand schließen unüberhörbar die vier "Ring"-Teile zur Einheit. Ohne jede Verklärung dieser unsympathischen Götter- und Menschenmischpoke, die hier schonungslos Endspiel betreibt.

Kriegenburg fühlt sich in der "Götterdämmerung" offensichtlich wohler als in den Stücken davor. Vielleicht, weil es endlich um Menschen geht und er deshalb den distanziert edlen Inszenierungsstil fahren lässt, den er bislang den Göttern angedeihen ließ. Was die Regie manchmal gefährlich nahe an den szenischen Stillstand brachte. Jetzt aber nimmt er sein Regiehandwerk spielerisch ernst und wagt Interpretation und plastische Figurenporträts.

Schon mit dem ersten Bild schafft er Endzeitstimmung. Atomar verstrahlte Flüchtlinge stehen herum, dazwischen die drei Nornen von Jill Grove, Jamie Barton und Irmgard Vilsmaier mit blauem Wollknäuel: Kriegenburg spottet so über deren bedeutungsschwangere Art der Wahrsagerei.

Ironische Kapitalismuskritik

Dass er nicht mehr auf dieses Bild zurückkommt, scheint ein Manko zu sein. Doch zuletzt stellt er als Pendant die Gutrune der Anna Gabler ins Zentrum. Dass sie ein nur gelegentlich von Ernsthaftigkeit gestreiftes Partygirl ist, verzeiht er: Gutrune ist der einzige Mensch, der den Weltenbrand überlebt. In stiller Trauer um den gemeuchelten Bruder Gunther - Iain Paterson zeigte ihn hinreißend als blasierten Playboy - kauert sie bei Brünnhildes Schlussgesang über dessen Leiche.

Zuletzt wird sie umringt von Kriegenburgs mobiler Eingreiftruppe, von Kostümfrau Andrea Schraad ganz in Weiß gekleidet. Diese Szene könnte sich auch in einer von Stockhausens visionären "Licht"-Opern finden und suggeriert, dass es götterlos erst so richtig losgehen kann mit einem menschwürdigen Leben auf Erden.

Bühnenbildner Harald B. Thor hat sich von den sterilen Kästen der drei anderen "Ring"-Opern losgesagt und zeigt einen Stahl-Glas-Innenhof, der an den Shopping-Kerker der Münchner Fünf Höfe erinnert. Im Hintergrund lodert der Scheiterhaufen, den die Sprinkleranlage und nicht der Rhein zum Erlöschen bringt. Das gehört zu Kriegenburgs nicht gerade subtiler, aber ironischer Kapitalismuskritik, die ihren Höhepunkt in einem von Gutrune gern genutzten Schaukelpferd in Form des Euro-Zeichens findet.

Fast keines der Münchner "Ring"-Stücke kam ohne Umbesetzung in letzter Minute aus, auch in diesem Punkt bietet die "Götterdämmerung" einen Rekord. Hans-Peter König sang den Hagen in der Generalprobe, dann blieb ihm die Stimme weg. Albert Pesendorfer übernahm und verstummte virusbedingt am Premierenmorgen. Mittags kam Eric Halfvarson aus Wien angeflogen, vier Stunden später stand er vor dem Publikum: ein stimmgewaltiger Spielmacher, ein kaltblütiger Schuft, auch wenn ihm Kriegenburgs Ironie natürlich noch nicht ganz gelingt. Das Publikum feiert ihn als Retter, und er deutet dazu an, was ihn dieser Wahnsinnseinsatz an Schweiß gekostet haben muss.

Wohltuende Erdung

Hagen und sein Papa Alberich, den Wolfgang Koch süffisant als Hartz-IV-ler zeigt, möchten unbedingt an den im Stücktitel beschworenen Ring kommen, der seinem Besitzer die Weltherrschaft verschafft. Also setzt Hagen einen TV-Intrigantenstadel von "Dallas"-Format in Szene. Solch wohltuende Erdung im Alltag, die den "Ring" nicht geistesgeschichtlich überfrachtet, ist zentral für Kriegenburg. Hagens Gegner sind entweder unbedarft (Gutrune, Gunther) oder weltmüde.

Stephen Goulds Siegfried ist heilfroh, bei Hagen & Co endlich "normalmenschlichen" Anschluss gefunden zu haben. Unbekümmert und gewissenlos gibt er sich zum Verrat an der von ihm per Liebestrank vergessenen Brünnhilde her. Was ist an Siegfried dran? Kriegenburgs Antwort ist ernüchternd textkonform: nicht viel. Das ist einer, der die besten Voraussetzungen mitbringt, daraus aber nichts macht. Kaum sieht Gould Anna Gablers Gutrune, hüpft er vergnügt.

Zu Nina Stemmes Brünnhilde hatte er zuvor schon ein unterkühltes Verhältnis. Dass er sie dann in brutalster Machomanier demütigt, macht ihn nicht sympathischer. Gould singt mit dunkler weicher Stimme, recht unheldisch mürbe und detailverliebt. Im Geplänkel mit den Rheintöchtern Eri Nakamura, Angela Brower und Okka von der Damerau ist er eher Lebe- als Schmerzensmann. Grandios, wie er zuletzt die Erinnerung an Brünnhilde wiedererlangt: gesungenes Staunen über leichtfertig vertanes Glück.

Gelassene Brünnhilde

Nina Stemme geht die Brünnhilde gelassen an, Singen geht bei ihr immer über Schauspiel. Als Waltraude schnatternd ankommt, um ihr den letzten Wunsch von Wotan zu flüstern, reagiert Stemme auf den Übereifer von Michaela Schuster erst amüsiert, dann unwirsch. Den Ring hergeben, das Liebespfand ihres Siegfried? Schwachsinn!

Dass der sie dann verrät, ist mehr als bitter, und Brünnhilde reagiert derart sauer, dass sie den Geliebten ans Messer liefert. Emotionale Extreme kosten Stemme sicht- und hörbar Anstrengung. In ihrem Solofinale läuft sie zu Höchstform auf. Ihre Ruhe und die voluminöse Stimme erlauben ihr eine faszinierende Liebesklage, die dem "Ring" einen weit würdigeren Abschluss beschert, als es die hier versammelte Niedertracht verdient hätte.

Das Publikum bejubelt sie hingerissen. Nur Nagano bekommt noch etwas mehr Beifall, und auch alle anderen Sänger werden gefeiert. Sogar das Regieteam ist von den allgemeinen Gunstbezeugungen nicht ausgenommen. So hat München jetzt einen stark ausklingenden "Ring" - vermutlich werden die anderen Teile bei den Folgevorstellungen von dieser beglückenden Erlösung profitieren.

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