Glücklicher arbeiten:Ein Wüstentrip machte Holger Wolff zum besseren Chef

Glücklicher arbeiten: Er war Ende 30, als er aus der Routine ausbrach. Zurück kam er mit einem erweiterten Bewusstsein und weniger Angst, sagt Holger Wolff. Deshalb gewährt er auch seinen Mitarbeitern mehr Freiheit.

Er war Ende 30, als er aus der Routine ausbrach. Zurück kam er mit einem erweiterten Bewusstsein und weniger Angst, sagt Holger Wolff. Deshalb gewährt er auch seinen Mitarbeitern mehr Freiheit.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die IT-Firma Maiborn-Wolff bekommt immer wieder Auszeichnungen als bester Arbeitgeber Deutschlands. Die Mitarbeiter haben viele Freiheiten.

Von Ekaterina Venkina

Irgendwann ist das Schweigen größer als die Welt. Größer zumal als die kalifornische Wüste, die um ihn herum liegt. Irgendwann hat Holger Wolff das Gefühl: Der Mitteilungsdrang findet kein Ventil mehr, er würde platzen. Das Schweigen würde ihn zermahlen. Vierzehn Tage hat Holger Wolff in absoluter Stille in einem Retreat Center an der Grenze zu Nevada verbracht. Irgendwann war ihm dort auch klar: Er muss sein Leben ändern, einen positiven Beitrag zum Wohltun anderen Menschen leisten. Menschen, die solche Momente erleben, starten häufig einen Neuanfang, kündigen ihren Job, siedeln in die Südsee um. Wolff kehrte zurück nach München - und änderte das Arbeitsklima seiner Mitarbeiter.

Zu der Zeit seines Retreats war Holger Wolff Ende dreißig. Rund 20 Jahre später sitzt der Mitbegründer und Geschäftsführer des IT-Beraters Maiborn-Wolff in seinem neuen Büro in Münchner Solln. Er lächelt gelassen und scheint im vollen Einklang mit sich selbst zu sein. Er trägt einen eleganten Anzug, der ein klein wenig zu locker sitzt. Seine Frisur ist gepflegt. "Viele Leute haben eine Existenzkrise, weil die Ehe scheitert oder der Job zerbricht oder sonst irgendwas Dramatisches passiert. Das war bei mir nicht so", erzählt Wolff.

Aber was führte ihn dann in die Wüste? "Ich habe an die Checkliste, die ich als Abiturient zusammengestellt hatte, an jeden Punkt, den ich erreichen wollte, einen grünen Hacken gemacht", sagt er. Karriere? Check! Als Unternehmer habe er bereits einen "bescheidenen Erfolg" erzielt, wie er es ausdrückt. Immobilien? Check! Ein kleines Haus in München war vorhanden und eingerichtet. Familie? Check! Zu dem Zeitpunkt war Wolff 15 Jahre lang glücklich verheiratet und stolz auf seine zwei Söhne.

Holger Wolff führte ein scheinbar perfektes Leben mit keinem ersichtlichen Grund für Unruhe - und trotzdem spürte er die Angst. Die Angst, das Unternehmen könnte sich nicht positiv entwickeln. Die Angst, dass wichtige Mitarbeiter kündigen könnten und dass die Firma in großen Projekten auf sich alleine gestellt wäre. "Der Erfolg, den ich erreicht hatte, war immer mit der Angst verbunden, ihn wieder zu verlieren", sagt Holger Wolff.

Diese Angst hatte ihn zu 14 Tage in absoluter Stille gezwungen. Bisher habe er "seine Klappe nie länger als acht Stunden gehalten - im Schlaf", sagt der Berater. In der kalifornischen Wüste fragte sich Holger Wolff: "Was steht eigentlich auf meiner Checkliste für die nächsten 20 Jahre? Der nächste Porsche? Das Haus im Tessin? Noch drei Kinder mit der nächsten Frau? What's next?"

"Bester Arbeitgeber in der IT"

In den vergangenen Jahren erhielt Maiborn-Wolff eine Reihe von Auszeichnungen. Eine positive Transformation, die der gebürtige Münchner sich in Nevada gewünscht hat, ist ihm demnach anscheinend gelungen.

Seit Jahren wird seine Firma beim Wettbewerb "Great Place to Work" unter den 100 "Besten Arbeitgebern Deutschlands" gelistet. Seit 2013 hat das Unternehmen jedes Jahr den Preis "Bester Arbeitgeber in der IT" gewonnen. Die Auszeichnung wird von einem privaten Beratungsinstitut vergeben, man kann sich dafür bewerben. Deshalb sind auch viele bekannte Firmen dabei, Banken, Sparkassen, Pharmaunternehmen. Bewertungsgrundlage ist eine umfangreiche, anonyme Online-Befragung der Beschäftigten. Faktoren, die eine wichtige Rolle spielen, sind: Vertrauen in die Führungskräfte, Qualität der Zusammenarbeit und Work-Life-Balance.

Maiborn-Wolff hat rund 380 Beschäftigte in vier deutschen Großstädten: Berlin, München, Frankfurt am Main und Augsburg. Vor Kurzem hat das Unternehmen das zweite Büro in München eröffnet, hoch oben in einem umgebauten Heizkraftwerk. Der Industrie-Charme ist noch heute zu sehen. Eine Stahl-Wendeltreppe führt ein Stück weit in das Innere des Kraftwerkschornsteins hinein. Bei schönem Wetter kann man auch den Blick bis zu den Alpen genießen.

Viel Lob und ein bisschen Kritik

Feste Arbeitsplätze gibt es hier nicht. Sechs Arbeitsräume sind für kleinere, mittlere und größere Projekte geeignet, dazu gibt es Bereiche, wo still gearbeitet werden kann. In die sogenannte Pair-Zone kann man sich für kurze Besprechungen zu zweit zurückziehen. Auch die traditionelle hierarchische Organisation möchte Wolff abschaffen. Die Geschäftsführung wolle nicht mehr "disziplinarisch kontrollieren", sondern eher "als Coaches und Mentoren bereitstehen", erklärt er.

Der gebürtige Münchner versteht sich deswegen nicht als Unternehmenschef im klassischen Sinne, sondern als "Gestalter eines Ökosystems", einer Art Inkubator, wie im Silicon Valley. "Unterstützend, ermutigend und menschlich-humanistisch" solle es in seinem Unternehmen zugehen.

Seine Mitarbeiterin Lena Renkl, die im Bereich Marketing zuständig ist, kann das bestätigen. "Ich mache ein duales Studium und kann mir meine Zeit so einteilen, wie es mir am besten passt", sagt sie. Feste Arbeitszeiten gibt es bei Maiborn-Wolff nicht. Darüber hinaus gehen alle Väter in Elternzeit - auch auf der Geschäftsführerebene. Einen Karriereknick müsse man dabei nicht fürchten, heißt es auf der Webseite des Unternehmens.

Die Mitarbeiter dürften auch frei entscheiden, ob sie ihre Teilnahme an bestimmten Projekten aus ethischen Gründen ablehnen. Beispielsweise bei der Software-Entwicklung für die Eurofighter-Kampfjets - ein Auftrag, den das Unternehmen vor Kurzem erhalten hat.

Obwohl man bei Maiborn-Wolff auf eine gute Unternehmenskultur achtet, gibt es auch Nachteile des Erfolgs. "Als ich angefangen habe, kannte man jeden. Jetzt geht es mit der Kommunikation über einen Flur nicht mehr", sagt Lena Renkl. Auch Michael Schnabel, Software-Ingenieur und IT-Architekt bei Maiborn-Wolff, gibt zu: "Ich habe das Gefühl dass es manchmal besser wäre, wenn die Wege ein bisschen kürzer wären", sagt er und spielt damit auf die verschiedenen Standorte des Unternehmens an.

Kritik im Netz

Auch im Arbeitgeber-Bewertungsportal Kununu kann man von Zeit zu Zeit ein paar kritische Bewertungen über die Firma lesen. Auf der Plattform veröffentlichen Mitarbeiter, Auszubildende oder Bewerber detaillierte Berichte über ihre Erfahrungen in einem Unternehmen. "Je größer das Projekt, desto größer das Gefühl, ein kleines Zahnrad ohne Einfluss zu sein", schreibt ein Nutzer, "Fokus ist ausschließlich auf Geld", notierte ein anderer. Der erreichte Punktedurchschnitt bei diesem Portal liegt für Maiborn-Wolff aber dennoch weit oben - 4,73 von fünf Punkten.

Derartige Kritik kommentiert das Unternehmen in dem Portal mit einem Zitat des kanadischen Songschreiber Leonard Cohen: "There is a crack in everything. That's how the light gets in" - frei übersetzt: In allem ist ein Riss. So kommt Licht herein.

So ging es auch Wolff in seiner Sinnkrise, die ihn damals auf den Gedanken kommen ließ, von der Arbeit ein Jahr frei zu nehmen, in einem Kanu auf dem Amazonas durch Brasilien zu rudern und Ureinwohner zu besuchen. Letztendlich ist er dann doch aus der Wüste nach München zurückgekehrt, weil er zu dem Zeitpunkt kleine Kinder hatte. Aber dafür unterstützt er seine Mitarbeiter, sich mehrmonatige Sabbaticals zu nehmen. Einige sind schon durch die Karibik gesegelt.

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