Bayern-Krimi von Gloria Gray:Ein Leben abseits der Norm

Bayern-Krimi von Gloria Gray: Gloria Gray, Entertainerin, Schauspielerin, Unternehmerin, Kreisrätin und jetzt auch Autorin eines bayerischen Krimis.

Gloria Gray, Entertainerin, Schauspielerin, Unternehmerin, Kreisrätin und jetzt auch Autorin eines bayerischen Krimis.

(Foto: Sven Bauer)

In "Zurück nach Übertreibling" verarbeitet die transsexuelle Autorin ihre eigenen Erfahrungen. Was Gloria Gray und die Krimi-Heldin Vikki gemeinsam haben? Beide haben eine Hölle an Erniedrigungen erlebt - und überstanden.

Von Sabine Reithmaier, Zwiesel

"Ah, Transgender. Ah, ist gerade in. Ah, LGBTQ* ... ah, Wokeness, ah, Inklusion. Zusätzlicher Marketingansatz, Promotionargument, Sellingpoint." Auch der Grund, warum sowohl das "hippe Feuilleton" wie auch die "Netzhetzer" über den "ansonsten doch recht konventionellen Thriller" schreiben. Vikki Victoria gibt sich keinen großen Illusionen hin. Schonungslos nüchtern analysiert sie, warum ein Kriminalfall, in dem sie eine zentrale Rolle spielt, verfilmt wird. Die Eigenschaft, Zusammenhänge zu erkennen und ungeschönt zu benennen, hat sie zweifelsfrei von ihrer Erfinderin geerbt. Gloria Gray - Schauspielerin, Entertainerin, Sängerin, Unternehmerin und Kreisrätin in Zwiesel - hat ihre ohnehin schon breite berufliche Palette noch um eine weitere Facette ergänzt und einen bayerischen Krimi geschrieben. Vikki Victoria spielt darin als Ich-Erzählerin die Hauptrolle.

Eine Hölle an Erniedrigungen

Wie viel von ihrer Persönlichkeit in der Figur steckt? "Ganz viel", sagt Gloria Gray am Telefon. "Aber ich werde jetzt nicht sagen, was erfunden ist und was der Wahrheit entspricht." Manche Parallelen zu ihrem Leben sind nicht zu überlesen. Vikki stammt wie ihre Schöpferin aus einem "kleinen, streng konservativen Ort" im Bayerischen Wald. Weil sie als Kind dort noch im Körper eines Jungen steckt, obwohl sie ein Mädchen sein will, ist das Leben nicht einfach, sondern eher ziemlich hart. Sowohl für Vikki als auch für die 1965 in Zwiesel geborene Gloria Gray. "Wenn Ausformung und Innerlichkeit nicht kongruent gehen" (Vikki Victoria), bleiben Erniedrigungen nicht aus. Eine Hölle, die von verbalen Beleidigungen bis hin zu brutalen Schlägen reicht. Im Krimi verkörpert durch den "Mustermacho" Toni Besenwiesler, "unterschwellig aggro, martialisch plump, letztlich strunzdumm", der als Schulzeiterinnerung und Immer-Noch-Bedrohung herumspukt.

Gloria Gray floh seinerzeit nach einer Friseurausbildung nach München. Geschlechtsangleichung, Operationen und Hormonbehandlungen - mit 26 Jahren war sie endlich eine Frau, schaffte den Sprung auf die großen Varieté-Theaterbühnen und legte eine tolle Karriere hin. 2010 kehrte sie nach Zwiesel zurück, holte 2016 bei den Bürgermeisterwahlen 20 Prozent der Stimmen, sitzt jetzt im Kreistag. Warum also schreibt diese Frau jetzt einen bayerischen Krimi, eine Gattung, die es schon zum Abwinken gibt. "War nicht geplant" sagt Gloria Gray. Jedenfalls nicht bis der Lockdown kam und auf den Bühnen nichts mehr ging. Keine Show, keine Moderation, einfach nichts. "Da dachte ich, vielleicht ist Schreiben eine Möglichkeit." Das Metier an sich hatte Gray schon einmal ausprobiert mit ihrer 2009 erschienenen Autobiografie. "Ich habe erst überlegt, daran anzuknüpfen, aber der Gedanke an einen zweiten Teil gefiel mir nicht."

Bayern-Krimi von Gloria Gray: Der Name ist Programm: "Zurück nach Übertreibling" ist der Titel des ersten Krimis von Gloria Gray. Dessen Heldin Vikki Victoria hat viel Ähnlichkeit mit ihrer Erfinderin.

Der Name ist Programm: "Zurück nach Übertreibling" ist der Titel des ersten Krimis von Gloria Gray. Dessen Heldin Vikki Victoria hat viel Ähnlichkeit mit ihrer Erfinderin.

(Foto: dtv Verlag)

Also las sie sich einmal quer durch die gesamte Krimipalette, beschloss, einen eigenen Versuch zu wagen. "Das war dann fast wie eine Therapie für mich, um den Lockdown zu bewältigen." Stoff dafür besaß sie genug. Schließlich sammelt sie seit 30 Jahren Einfälle, Beobachtungen, zufällig Gehörtes, Selbsterlebtes, Träume oder die Erinnerungen ihrer Mutter an die schwierigen Jahre nach dem Krieg. "Allein meine Erlebnisse und Erfahrungen würden für mehrere Bücher reichen", sagt Gray. Der Rest sei Fantasie.

Politisch korrekt ist Vikki nur selten

Daraus entstand Vikki, die 41-jährige Heldin des Krimis. Sie denkt gern laut und kommentiert alles, teils bissig, manchmal auch sehr lustig. Auf den Nerv geht ihr die Sucht, permanent zu betonen, das Wichtigste im Leben sei die Familie. "Das ging zeitgleich mit dem Trend los, einander bei jeder Gelegenheit zu umarmen wie nach einer gelungenen Seenotrettung." Politisch korrekt formuliert Vikki nur ungern, einen korpulenteren Menschen beschreibt sie schon mal als "verfetteten Wurzelsepp". Als fiktives Wesen darf sie Dinge aussprechen, die ihre Schöpferin nie sagen würde, da sie keinen größeren Wert auf Shitstorms legt. Vikki weiß allerdings auch, wie schnell eine "Armee aus Hatern" anrückt, wenn sie in einem Youtube-Video die "Gender-Sternchen" für eine aufgesetzte, allzu bemühte Sache erklärt, "schon allein weil ich niemand in der Transgender-Welt kenne, der drauf Wert legt". Aber was soll man machen. "Der Blöde weiß ja nicht, dass er blöd ist. Dem steht der Nichtblöde ohnmächtig gegenüber."

Um zur Entstehungsgeschichte des Krimis zurückzukommen: Gray schrieb ein Exposé, ließ es den Komponisten und Autor Robin Felder lesen und schickte es an einige Literaturagenten. Die reagierten positiv, rieten ihr, weiterzuschreiben und sich wieder zu melden. "Da musste ich mehr rausschwitzen." Rucki-zucki hatte sie einen Vertrag und eine strenge Timeline, schließlich sollte das Buch zur Leipziger Buchmesse vorliegen. Nicht wirklich ein Problem für so einen disziplinierten Profi wie Gloria Gray. "Außerdem bin ich Single und kann meine ganze Kraft und Liebe in meine Projekte stecken." So gesehen ist auch nicht erstaunlich, dass sie gleich noch einen Song zum Krimi aufgenommen hat (www.gloriagray.com). Inzwischen schreibt sie schon am Folgekrimi, der im September erscheinen soll. "Ich gehe schon am Zahnfleisch, so ein Buch will erarbeitet sein."

Dass alles nicht ganz so ernst zu nehmen ist, signalisiert schon der Titel des Krimis: "Übertreibling" - auch der Name des Dorfs, in dem Vikki vor 41 Jahren geboren wurde. Ein fiktiver Ort in einer realen Gegend, sagt Gray. "Das macht es leichter für mich, sonst kann ich mich nicht so austoben." Im Nachbardorf Mitgifteck führt Vikkis Mama ein Gasthaus. Arbeitstundenzählerei kennt die "Musterwirtin" nicht. "Burn-out, Quality time, Sabbatical - geh weida." Eine liebevolle Erinnerung an Gloria Grays Mutter, die auch Wirtin war.

Zur Polizei hat die Krimiheldin übrigens ein gespaltenes Verhältnis. Zum einen hat sie eine "Phobie gegenüber Festgehaltsbeziehern", zum anderen agieren sie ihr zu langsam, denken nur an "Fertig werden, Feierabend, Hobby: Urlaub planen." Aber - da merkt man dann doch die Kommunalpolitikerin Gray, die am Rechtsstaat nicht zweifelt - neben den "Dreckigen 17", einer Gruppe von bestechlichen Kriminalern, gibt es auch gute Polizisten, fast noch schlauer als Vikki. Und genauso schnell.

Vielleicht wird der Krimi tatsächlich verfilmt, Gloria Gray würde sich das jedenfalls wünschen. Hoffentlich ergeht es ihr nicht wie Vikki, die am Ende mit dem Anwalt drohen muss, als die Produktionsfirma überlegt, ihre Rolle mit Christine Neubauer zu besetzen. "Ein Mindestmaß schauspielerischer Fähigkeit muss jemand, der mich verkörpert, doch auch aufweisen können!" Logisch, dass Vikki sich durchsetzt. Schließlich wollen es sich die "filmfinanzierungshungrigen Geier" mit ihr nicht verderben, eine Transsexuelle macht sich einfach zu gut, um finanzielle Mittel zu akquirieren. Vikki ficht das zum Glück nicht an. "Ich fühle mich regelrecht benutzt. Und es fühlt sich richtig gut an." Eindeutig: eine wahre Geschichte, bis auf die Teile, die erfunden sind.

Gloria Gray (und Robin Felder): Zurück nach Übertreibling - Vikki Victorias erster Zwischenfall, erscheint am 16.3.2022 im dtv-Verlag .

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