Süddeutsche Zeitung

Arbeiten für mehr Gleichheit:"Die Kämpfe sind immer hart gewesen"

Lesezeit: 3 min

Seit 34 Jahren setzt sich die Gleichstellungsstelle der Stadt für die Rechte von Frauen ein. Manche Politiker hielten das 1985 für reine Geldverschwendung - eine Fehleinschätzung.

Von Kathrin Aldenhoff

Die Ungleichheit beginnt schon bei den Kleinen: In der vierten Klasse bekommen Mädchen pro Monat durchschnittlich 11,94 Euro Taschengeld, Jungs 16,25 Euro. Und so geht es weiter: Erwachsene Frauen verdienen im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer. Frauen leisten eineinhalb Mal so viel unbezahlte Arbeit in der Familie oder bei der Pflege von Angehörigen. Und später, im Alter, erhalten Frauen 53 Prozent weniger Leistungen zur Alterssicherung. Die Zahlen stammen von der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen - und sie sprechen eine deutliche Sprache.

Der Gender Pay Gap - die Gehaltslücke zwischen den Geschlechtern - ist in Deutschland seit vielen Jahren nahezu unverändert groß. Mit gut 21 Prozent Unterschied zwischen den durchschnittlichen Bruttogehältern von Männern und Frauen ist der Wert hierzulande vergleichsweise hoch, EU-weit liegt er bei 16 Prozent. Schlechter als in Deutschland sieht es innerhalb Europas nur noch in Tschechien (22 Prozent) und in Estland (25) aus. Die geringsten Unterschiede gibt es mit nur gut fünf Prozent in Italien und Rumänien.

In München setzt sich Nicole Lassal dafür ein, die Lücke zu verkleinern. Die 48-jährige Politikwissenschaftlerin leitet die Gleichstellungsstelle der Stadt und sagt: "Wir haben rechtlich gesehen viel erreicht. Aber in der Realität gibt es immer noch Punkte, wo Frauen und Männer nicht gleichberechtigt sind."

Die Münchner Gleichstellungsstelle gibt es seit 1985 - sie war die erste und lange Zeit auch die einzige in Bayern. Andere Städte wie Köln, Bremen, Berlin und Hamburg waren früher dran. Unter der Überschrift "Gleichberechtigung - amtlich überwacht" berichtete die Süddeutsche Zeitung am 17. Januar 1985 von dem Stadtratsbeschluss am Tag zuvor, der mit den Stimmen von SPD und Grünen zur Gründung der Gleichstellungsstelle führte. Vier Stunden lang diskutierte der Stadtrat, CSU und FDP sprachen von "grandioser Geldverschwendung" und von einem "simplen Modeartikel". Schließlich beschloss die Mehrheit die Einrichtung der Stelle trotzdem - gegen die Stimmen der CSU.

Das mit dem "Modeartikel" war offenbar eine krasse Fehleinschätzung, sieht man sich an, wie heute, 34 Jahre später, noch immer um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern gerungen wird. Bis heute sind in der Politik weniger Frauen als Männer aktiv. Im Deutschen Bundestag beträgt der Frauenanteil gerade mal 30,9 Prozent, im Münchner Stadtrat liegt die Quote immerhin bei 41,3 Prozent.

Der Frauenanteil in der obersten Chefriege liegt bei nur 35 Prozent

Auch als Arbeitgeber sei die Stadt inzwischen vorne, sagt Lassal. Frauen würden bei der Stadt fast die Hälfte aller Führungspositionen besetzen, und ein Fünftel aller Führungspositionen werde in Teilzeit ausgeübt. Nur auf der obersten Führungsebene liege der Frauenanteil lediglich bei 35 Prozent, berichtet die Gleichstellungsbeauftragte. "Daran arbeiten wir." Im Vergleich zur freien Wirtschaft seien das aber "Traumzahlen". Dort sei nur etwa jede vierte Führungsposition auf den oberen Etagen mit einer Frau besetzt.

Dass Frauen seltener in Spitzenpositionen arbeiten als Männer, sei einer der Gründe dafür, warum sie immer noch ein Fünftel weniger verdienen als Männer, sagt Lassal. Hinzu komme, dass viele Frauen in traditionellen Frauenberufen arbeiten, in der Erziehung und der Pflege zum Beispiel - und solche Jobs werden häufig schlechter bezahlt als Berufe im technischen Bereich. Außerdem würden Frauen oft die traditionellen Familienaufgaben übernehmen, sie kümmern sich um die Kinder oder die Pflege von Angehörigen. "Frauen machen mehr unbezahlte Arbeit und verzichten dafür auf bezahlte Arbeit. Daran hat sich nichts geändert."

Um die Lücke zwischen den Gehältern zu schließen, wird versucht, Mädchen bereits in der Schule gezielt für Naturwissenschaften zu begeistern. Und sie sollen darin bestärkt werden, sich für Berufe jenseits der klassischen Frauenjobs zu entscheiden. Denn noch immer würden Mädchen und junge Frauen vor allem schlechter bezahlte Ausbildungsberufe wählen wie Zahnarzthelferin, Friseurin oder Verkäuferin, berichtet Lassal. "Das sind jahrhundertelang eingeübte Rollen, die können wir nicht in kurzer Zeit aufbrechen. Wir müssen da einfach weitermachen."

Die Arbeit der städtischen Gleichstellungsstelle habe sich in den vergangenen 34 Jahren durchaus gewandelt, berichtet Lassal. Die Aufgaben seien mit der Zeit immer komplexer geworden. "Die Kämpfe sind immer hart gewesen. Und sie sind es immer noch." Gerade arbeite sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen an einem Aktionsplan zum Thema Geschlechterstereotype. Es gehe um die Zuschreibungen, mit denen Mädchen und Jungen schon im Kindergartenalter in Berührung kämen. Die Ungleichheit, sie beginnt früh.

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SZ vom 04.03.2019
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