Giesing:Tür auf, Tür zu

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Das Theaterstück "So Lonely" - schon vor Corona konzipiert - gibt Einblicke in die Einsamkeit. Die Pandemie hat das Thema noch verstärkt

Von Ben Bergleiter

Giesing - Als "Collage der Einsamkeit" beschreibt Regisseurin Anette Weber ihr Stück "So Lonely", das an diesem Donnerstag im Kulturzentrum Giesinger Bahnhof seine zweite Premiere feiert. Zweite Premiere, denn es wurde bereits im Oktober 2020 uraufgeführt, musste aber nach nur einer Vorstellung pandemiebedingt auf Eis gelegt werden. Jetzt, ein Jahr später, wird es wieder aus dem Kühlschrank geholt, und es hat sich gut gehalten: Das namensgebende Thema der Einsamkeit ist trotz Lockerungen und Rückkehr zur Normalität in der Gesellschaft weiter omnipräsent. Das sieht man nicht zuletzt an der Ratlosigkeit und Verwirrung, die aufkamen, als am Dienstagabend Facebook, Whats-App und Instagram auf einmal für mehrere Stunden ausfielen. Welches Gefühl kommt dann auf, wenn alle Freunde und Verwandte in einem Moment noch mit einem Klick erreichbar sind und im nächsten Moment plötzlich "weg" sind? Nach kurzer Freude über den ausbleibenden Spam der Gruppenchats schleicht sich doch irgendwann Einsamkeit ein.

Es ist erstaunlich zu hören, aber die Idee für das Stück kam nicht erst mit Corona: 2019 stellten sich Künstler und Freiwillige auf die Straße und sammelten in einem "Ministerium für Einsamkeit" Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern über ebendieses Thema. Aus den Gesprächsfetzen setzte die Regisseurin Anette Weber das Skript für "So Lonely" zusammen.

Einsamkeit ist etwas, das jeder und jede unabhängig vom Alter spürt, und so werden in den Haupterzählstrang des Paares, das sich in seiner Beziehung einsam fühlt, kurze Nebengeschichten von altersübergreifender Einsamkeit gewebt. Zum Beispiel die Siebtklässlerin, die von ihren Mitschülern nicht akzeptiert wird und darunter leidet, dass sie so wenige Instagram-Follower hat; oder die ältere Frau, die Zuflucht vor ihrer Obdachlosigkeit auf dem Friedhof sucht und dort nur mit abschätzigen Blicken gewürdigt wird.

In Zugluft: Die drei Damen, jede für sich, jede allein mit ihrer Einsamkeit auf der Bühne im Kulturzentrum Giesinger Bahnhof. (Foto: Thomas Bruner/oh)

Dabei verfällt das Stück aber nicht in eine Schwere, die das Publikum depressiv in die Sitze drückt. Es findet vielmehr eine gute Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Klamauk. Es gibt Szenen zwischen den beiden Hauptdarstellern, die so ernst und real wirken, dass man selbst kurz abdriftet und vertieft in die eigenen Assoziationen einfach nur dasitzt. Dann wird man aber wieder herausgerissen, aufgeweckt vom Tanz und Gesang der Laienschauspieler.

Diese sorgen generell für Dynamik, denn neben ihren unterhaltsamen Einlagen führt die Tatsache, dass sie immer wieder durch die beiden großen Eingangstore vom Giesinger Bahnhofplatz auf die Bühne drängen, zu einer permanenten Bewegtheit des Stücks. Dieses Auf und Zu der Tore, erzählt der Dramaturg Walter Gratz, sei daher gekommen, dass es die Kontaktbeschränkungen im vergangenen Jahr nicht erlaubt hätten, dass Hauptdarsteller und Laienschauspieler zusammen auf einer Bühne gestanden seien. Deswegen kam die Idee, die Laien immer wieder reinzuholen und rauszuschicken. Dieses ewige Rein und Raus, dieses sich immer wiederholende Auf und Zu, hat die Gesellschaft in den zurückliegenden eineinhalb Jahren ziemlich gut kennengelernt. Mehr als 20 Mal gehen die Tore während des Stücks auf und wieder zu. Das Auf und wieder Zu der Tore entwickelt sich von einer pandemiebedingten Notwendigkeit zu einem kommentierenden Stilmittel.

Die Kälte hört nicht auf, mehr als zwanzig Mal sind die Protagonisten des Theaterstücks "So Lonely" der Außentemperatur ausgesetzt. (Foto: Thomas Bruner/oh)

Dieses Stilmittel hat auch ganz reale Auswirkungen auf das Publikum, denn jetzt im Oktober zieht ein recht kalter Wind vom Giesinger Bahnhofplatz in das Kulturzentrum. Das ist aber gar nicht so schlimm, denn erstens werden kuschelige Decken ausgeteilt und zweitens unterstreicht die spürbare Kälte des Windes ja geradezu die menschliche Kälte der Einsamkeit. Das versucht das Stück auch aufzuzeigen: Alleinsein ist nicht immer so befreiend und schön, wie es Anfang des Jahres 2020 von vielen propagiert wurde - man habe ja jetzt viel Zeit für Lesen, Schreiben oder Yoga. Wenn die Einsamkeit extern auferlegt wird, zieht sie wie ein eiskalter Wind durch die Korridore der Psyche, und man wird zur Belastung durch sich selbst.

"So Lonely" wird am Donnerstag und Freitag, 7. und 8. Oktober, um 20 Uhr, und am Samstag, 9. Oktober, 18 und 20 Uhr, im Kulturzentrum Giesinger Bahnhof, Giesinger Bahnhofplatz 1, gezeigt. Karten gibt es für zwölf Euro bei München Ticket. Es gilt die 3-G-Regelung (Zutritt nur für Geimpfte, Genesene und Besucher mit aktuellem Test).

© SZ vom 07.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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