Giesing:Des einen Freud, des anderen Leid

Mit der Entdröhnung von Brücken enden die Lärmschutzmaßnahmen entlang der Bahngleise in Giesing. Darüber sind viele Anlieger glücklich, aber beileibe nicht alle: Am Bergsteig soll die Belastung höher als zuvor sein

Von Hubert Grundner, Giesing

Wie viele Tausende Personen- und Güterzüge im Laufe eines Jahres auf ihrer Fahrt von München nach Rosenheim durch Giesing rollen, wissen wohl nur die allerwenigsten Anwohner. Eines aber wissen sie genau: Laut ist es, wenn Lokomotive und Waggons über die Schwellen rattern. Nicht zuletzt deshalb hatte die Deutsche Bahn AG im Februar 2013 in Untergiesing damit begonnen, entlang der Gleise eine drei Meter hohe Lärmschutzwand zu errichten. Auf einer Gesamtlänge von 1,7 Kilometern sollten nach damaligen Angaben exakt 1051 Wohnungen vom Schienenlärm abgeschirmt werden. Davon versprachen sich die Verantwortlichen eine durchschnittliche Absenkung des Lärmpegels um zwölf Dezibel. Und da die Züge vor allem beim Überqueren der Brücken ordentlich Radau machen, der kilometerweit zu hören ist, wurden auch sie seitlich mit Aluminium-Paneelen eingekleidet. "Die geltenden Lärm-Grenzwerte von 70 Dezibel tagsüber und 60 während der Nacht werden dann eingehalten", versprach damals Bahn-Projektleiter Alexander Pawlik.

Tatsächlich attestieren heute viele Anwohner der Bahn, durch die Installation von Schutzwänden den Lärm im Umfeld auf ein zumindest erträgliches Maß reduziert zu haben. Doch dabei will es der Logistikkonzern nicht belassen: Die DB Netz AG investiert 2015 mehr als 70 Millionen Euro in die Instandhaltung und Modernisierung des Münchner S-Bahn-Netzes. So stehen heuer vor allem Gleiserneuerungen auf vier Außenästen und der Bau eines elektronischen Stellwerks in Geltendorf auf dem Programm.

Lärmschutzwand Südring der Bahn, Am Bergsteig 10

Noch mit unbefriedigendem Ergebnis: Die Lärmschutzwand links und rechts des Südrings der Bahn bringt am Bergsteig keine Ruhe.

(Foto: Florian Peljak)

Sehr viel direkter profitieren werden die Giesinger hingegen von der sogenannten Entdröhnung von vier Stahlbrücken auf dem Südring. Es handelt sich dabei um die Eisenbahnüberführungen Stadtbach/Isartalstraße, Braunauer Isarbrücke, Pilgersheimer Straße und Giesinger Bergstraße. Die Bahn entdröhnt diese Bauwerke, indem sie die Schallübertragung zwischen Schienen und Brücke durch elastische Gleisbefestigungen oder Unterschottermatten dämmt.

Nach Angaben des Konzerns dauern die Arbeiten von Ende April bis Ende Mai und verschlingen 1,8 Millionen Euro, finanziert aus dem Lärmsanierungsprogramm des Bundes. So sagte Volker Hentschel, Leiter Produktion bei der DB Netz AG in Bayern, bei der Vorstellung des Projektes: "Die Brücken-Entdröhnung sorgt von Juni an für Ruhe bei den Anwohnern in Giesing." Und auch jenseits der Isar im Dreimühlenviertel dürften die Menschen aufatmen: Das Quartier wird bislang noch großflächig mit bis zu 100 Dezibel beschallt, wenn ein Güterzug die Braunauer Brücke quert.

Fast ist man also versucht, unter das Kapitel "Lärmschutz entlang der Bahngleise in Giesing" einen Strich zu ziehen und in Gedanken hinzuzufügen: Ende gut, alles gut. Doch leider ist dem keineswegs so. Die Installation von Lärmschutzwänden hat zumindest entlang des Giesinger Bergsteigs offenbar das genaue Gegenteil bewirkt. Im Abschnitt zwischen Gietlstraße und Nockherberg klagen die Anwohner, dass sie seitdem noch höher belastet sind. Franca Eichhorn kann das nur bestätigen. "Wir fielen fast aus dem Bett", erinnert sie sich daran, wie im Frühjahr vergangenen Jahres eines Nachts an den Gleisen plötzlich die Arbeiten begannen.

Lärmschutzwand Südring der Bahn, Am Bergsteig 10

Genervt: Franca Eichhorn berichtet, dass der Lärmpegel gestiegen ist.

(Foto: Florian Peljak)

Kein Anwohner war damals von der Bahn vorab darüber informiert worden, berichtet Eichhorn, die am Bergsteig als Hausmeisterin mehrere Anwesen betreut. Die Arbeiten dauerten nur wenige Tage, doch danach war nichts mehr wie zuvor: "Jetzt ist es definitiv lauter", sagt sie. Zwar hätten sich einige Wohnungseigentümer bei der Bahn beschwert, ihres Wissens habe es darauf aber keine Reaktion gegeben.

Tatsächlich sind, wie Unternehmenssprecher Bernd Honerkamp erklärt, die Schallschutzmaßnahmen in dem genannten Bereich noch nicht abgeschlossen. Zwar stünden die Wände schon östlich der Giesinger-Berg-Brücke, aber noch nicht auf der Brücke. Diese momentan vorhandene Schalllücke werde erst im Juli geschlossen. Zudem werde Wohnungseigentümern beim Kauf von Schallschutzfenstern finanziell geholfen - der Bund übernehme dann drei Viertel der Kosten. Allerdings seien die Eigentümer bisher über dieses Programm noch nicht informiert worden, sagt Honerkamp. Das aber werde in den kommenden Wochen passieren.

Bis Abhilfe winkt, haben vor allem die Bewohner zu leiden, deren Schlafzimmer zum Bergsteig hin liegt. Da nur jeweils ein Zug die Brücke am Kolumbusplatz passieren könne, so Eichhorn, werden sie des öfteren Ohrenzeugen eines Vorgangs, der sich rund zehn Minuten hinzieht: Ein Zug nähert sich, muss abbremsen und stoppen, um dem Zug aus der Gegenrichtung die Vorfahrt zu lassen, erst dann kann er die Fahrt wieder fortsetzen. Besonders nachts, wenn der tagsüber gewohnte Lärmpegel deutlich zurückgegangen ist, stört das Quietschen der Bremsen und das Rumpeln der Waggons umso mehr. Und warum ist es nun lauter? Franca Eichhorn und weitere Bewohner vermuten, dass die Schallschutzwände den Lärm des Zugverkehrs vom tiefer gelegenen Gleis nach oben zu den Häusern hinlenken. Und daran werden auch isolierte Fenster nichts ändern.

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