Geyerwally:Anachronistisches Chichi

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Nicht nur für Stammgäste: Seit über 50 Jahren trotzt der Raucherclub Geyerwally erfolgreich neuen Bartrends und Abrissplänen.

Annette Wild

Die Geierwally war ein renitentes Weib: sperrig, widerstandsfähig, kraftvoll. Ähnliche Eigenschaften besitzt auch der etwas abseits von "Downtown Glockenbach" gelegene Raucherclub Geyerwally in der Geyerstraße. Seit über 50 Jahren trotzt er erfolgreich neuen Bartrends und Abrissplänen.

Die Geyerwally ist ihren Wurzeln als Arbeiterkneipe bis heute treu geblieben. (Foto: Foto: Annette Wild)

Was haben Film und Bierstüberl ansonsten noch gemeinsam? Zur Blütezeit des deutschen und österreichischen Heimatfilms entstand 1956 unter der Regie von Franz Cap der Film "Geierwally" mit Barbara Rütting. Ein Plakat ziert die Wände des fast gleichnamigen Lokals, das ein Jahr später, also 1957 sein erstes Bier verkaufte und die folgenden zwei Jahrzehnte regelrecht boomte.

Die kleine Kneipe an unserer Ecke

Deutsche Heimatfilme sind Filme, die oft eine heile Welt darstellen. Es geht um Freundschaft, Liebe, Familie und um das Leben in der Gemeinschaft. Kneipen bieten als soziale Treffpunkte unterschiedlichen Milieus eine Heimat und damit auch einen Ort, an dem ähnliche, wenn nicht dieselben Werte gelebt werden. Zu den liebsten Freizeitbeschäftigungen eines Mitteleuropäers, egal welchen Standes, zählt also von jeher der Besuch öffentlicher Orte, in denen es gesellig zugeht und das Bier in Strömen fließt.

Hier strömt das Bier zwar nicht aus dem Zapfhahn (es gibt keine Schanklizenz), aber aus den Flaschen (Augustiner und Maisacher Helle, 0,5 l, 2,50 Euro; Astra, 0,3l, 2,50 Euro; naturtrübe Kollermass 5,90 Euro). Die ersten Flaschen wandern hier oft schon um 16 Uhr (Freitags ab 13.30 Uhr) über den Original-Fünfziger-Jahre-Tresen.

Die Geyerwally ist aus einer Arbeiterkneipe entstanden und ist ihren Wurzeln bis heute treu. So kommen hier schon nachmittags Arbeiter auf ein erstes Feierabendbier vorbei - oder auch auf die legendäre Speckplatte. Der Brotzeitteller mit italienischem oder österreichischem Speck, Parmesankäse und Brot vom Viktualienmarkt (8,80 Euro) wird von vielen Stammgästen gepriesen.

Später folgt ein gemischtes Publikum unterschiedlichsten Alterns - nur die Jungen haben die Geyerwally noch nicht für sich entdeckt. Sie ist eben kein Szenelokal, das auf alt getrimmt ein junges Publikum anzieht - wobei jüngere Gäste durchaus auch willkommen sind!

Geyerwally
:Anachronistisches Chichi

Nicht nur für Stammgäste: Seit über 50 Jahren trotzt der Raucherclub Geyerwally erfolgreich neuen Bartrends und Abrissplänen.

Annette Wild

Fast wären die Geyerwally-Gäste in diesem Jahr heimatlos geworden. Nachdem der langjährige Wirt verstarb, stand das Lokal ein Dreivierteljahr leer. Dass das Kneipen-Kleinod wieder in neuem und zugleich altem Glanz erstrahlt, ist einem ehemaligen Stammgast zu verdanken: Rainer Strixner nahm sich des heruntergekommenen Etablissements an und renovierte es gemeinsam mit seiner Frau Christa drei Monate lang - wobei Schimmel und Moder den beiden derart zusetzten, dass sie das Unternehmen schon bald aufgeben wollten. Doch sie hielten durch - zur Freude aller Geyerwally-Freunde.

Am 1. Juli eröffneten sie die Stadtviertelkneipe neu. Innen ist die Geyerwally fast so geblieben, wie sie war - nur nicht mehr so schmuddelig und rustikal. Nun schmücken alte Metallschilder wie "Salamander Schuhfabrik" oder "Erdal Schuhpflege" das Lokal, das mit seinem vielen dekorativen Beiwerk einer nostalgischen, liebevollen Kuriositätensammlung gleicht.

Bewahrer alter Bar-Werte

Rainer Strixner ist nicht nur bekannter Bildhauer und Restaurator, er mimte auch über 30 Jahre lang den Quasimodo in der Münchner Varieté-Truppe "Spekakulum". Außerdem ist der 58-Jährige Sammler aus Leidenschaft und Antiquitätenhändler - naja, verkaufen tut er seine Schätze nicht so gern, lieber vermieten, denn er kann sich nur schwer von ihnen trennen.

So hat er auch den schwarz-gelben Tresen der Geyerwally, den ein großes Brandloch verunstaltete, nicht ausrangiert, sondern aufwändig instand gesetzt. Strixner ist eben ein Konservator und Bewahrer. Schon als Kind hat er nichts wegwerfen können. "Mit dem Leiterwagen bin ich rumgezogen und hab Eisen aus den Trümmern geholt. Ich hab nie was weggeschmissen. Meine Teddybären, Heftl und Indianerfiguren hab ich alle noch", erzählt Strixner.

Orte des kulturellen Gedächtnisses

Auch die Folie, die derzeit die Decke des im Kaffeehausstil eingerichteten Teils der Geyerwally schmückt und in allen Regenbogenfarben leuchtet, hatte er noch irgendwo gelagert. "Die war in den achtziger Jahren mal sauteuer. Da hat die Schlagersängerin Gitte drin gesungen. Anschließend wollte der BR sie einfach wegschmeißen. Da hab ich sie mir genommen und aufgehoben", sagt der Münchner.

Aber genug von Rainer Strixner, denn er ist zwar eher wider Willen das Geyerwally-Gesicht und -Aushängeschild, nicht aber ihr Wirt - steht doch meist seine Frau hinter dem Tresen. Christa Strixner behält auch in Stoßzeiten stets den Überblick über den Barbereich, den Kaffehaus-Teil mit den vier Biertischen sowie den fünf Tischen, die im Sommer draußen in der Sonne stehen. Wenn es einem Gast an Bier knapp wird, merkt die 47-Jährige das sofort und handelt.

Fazit: In Zeiten, in denen man sich abends immer öfter per Facebook oder Skype unterhält, trifft man in der Geyerwally noch Menschen aus Fleisch und Blut, kann mit ihnen am Tresen ratschen, Backgammon, Schach oder Schafkopf spielen und natürlich Bier trinken - wie lange noch, ist allerdings fraglich. Seit 26 Jahren steht das Haus leer, eine Abrissgenehmigung gibt es schon lange. Vorläufig haben die Strixners nur einen Jahresvertrag für die Geyerwally. Wir wünschen uns und allen anderen Geyerwally-Gästen jedoch noch mindestens 50 weitere Jahre des gepflegten Rausches und heiteren Beisammenseins!

Geyerstr. 17, 80496 München, Mo-Do und Sa ab 16 Uhr, freitags ab 13.30 Uhr geöffnet. Bis zum Schluss.

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