Gewaltdelikte bei Nacht:Zwischen eins und fünf

Die Polizei hat einen Anstieg der Gewaltdelikte bei Nacht festgestellt. Die Stadt schlägt sich jedoch auf die Seite der Nachtschwärmer und will nicht zurück zur alten Sperrstunde.

Dominik Hutter

Entwarnung für Münchens Kneipengänger: Die Stadt bleibt wohl trotz der bayernweiten Debatten über eine Wiedereinführung der Sperrstunde auf liberalem Nachtschwärmer-Kurs. Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle will dem Stadtrat am kommenden Dienstag vorschlagen, offiziell bei Staatsregierung und Bayerischem Städtetag gegen neue Restriktionen zu opponieren.

Nach Einschätzung von Münchens Ordnungs-Chef wäre die von der Polizei monierte Zunahme der nächtlichen Kriminalität auch durch eine Neuauflage des Zapfenstreichs nicht wirksam zu bekämpfen.

Der Vorstoß geht auf einen Antrag der Grünen zurück, die bei einer Einführung der Sperrstunde um das in den vergangenen Jahren sichtlich aufgeblühte Nachtleben bangen. Die Debatte ist auf Landesebene aber ohnehin leiser geworden. Die Koalitionsparteien CSU und FDP konnten sich auf keine gemeinsame Haltung verständigen, und selbst innerhalb der CSU-Landtagsfraktion kursieren unterschiedliche Meinungen. Im Münchner Rathaus herrscht dagegen große Einigkeit - für die Beibehaltung der liberalen Linie, die nur noch eine Putzstunde zwischen 5 und 6Uhr früh vorsieht.

Die Münchner Polizei befürwortet eine rigidere Haltung. Während in den vergangenen zehn Jahren die Straftaten insgesamt um 12,6Prozent zurückgegangen sind, habe die Zahl der Anzeigen zwischen 1 und 5Uhr um 51,6 Prozent zugelegt - besonders stark war das Plus bei den sogenannten Roheitsdelikten. Und: 53,9 Prozent der Tatverdächtigen stehen unter Alkoholeinfluss. Vor zehn Jahren habe der Anteil noch 32,5 Prozent betragen. Typische Kriminalitätsschwerpunkte bei Nacht sind nach Beobachtungen der Polizei die "Feiermeile" zwischen Maximiliansplatz und Sendlinger Tor sowie Kultfabrik und Optimolgelände am Ostbahnhof. Also Stellen, an denen tagsüber praktisch nichts passiere.

Blume-Beyerle glaubt allerdings nicht, dass der nächtlichen Gewalt durch frühere Kneipenschließzeiten beizukommen wäre. Denn die 2003 zunächst als Modellversuch eingeführte "Putzstunden"-Regelung (bis dahin war stets schon um ein Uhr Schluss gewesen) sei nicht der Auslöser eines geänderten Ausgehverhaltens, sondern viel mehr die Reaktion darauf gewesen. Soll heißen: Die Münchner gehen immer später und immer länger weg - und werden sich davon auch nicht durch behördliche Restriktionen abhalten lassen.

Der Kreisverwaltungsreferent vermutet vielmehr, dass eine Wiedereinführung der Sperrstunde einen Berg von Anträgen auf Ausnahmegenehmigungen nach sich ziehen würde. Und dass sich das nächtliche Geschehen schlicht an die dann reduzierte Anzahl von Spätlokalen verlagern würde - mit verschärften Belastungen für die dortigen Anwohner. Ohnehin würden die meisten Straftaten auf offener Straße und nicht in Kneipe oder Club begangen, erinnert Blume-Beyerle. Wenn aber ein Wirt den Behörden negativ auffalle, könne man auch nach jetziger Rechtslage wirksam einschreiten.

Stimmt der Stadtrat dem Vorschlag des Kreisverwaltungsreferats zu - was wahrscheinlich ist -, werden Staatsregierung und Städtetag wohl Post von Oberbürgermeister Christian Ude erhalten. Mit dem Inhalt, dass die Landeshauptstadt die derzeitigen Sperrzeitregelungen als zeitgemäß und sinnvoll erachtet und keine Änderung für erforderlich hält.

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