Gewaltakt am S-Bahnhof Solln:Mord aus niedrigen Beweggründen

Bei dem Prozess zum Mordfall Dominik Brunner sind rund 50 Zeugen benannt. Es geht um Fragen wie "Wer hat zuerst zugeschlagen?"

B. Kastner

Die mutmaßlichen Täter vom S-Bahnhof Solln müssen sich wegen Mordes an Dominik Brunner vor dem Landgericht verantworten. Bei der Jugendkammer ist die Anklage der Staatsanwaltschaft eingegangen, wie in einem Teil der Donnerstagsauflage berichtet. Die Ermittler sehen das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe erfüllt: Markus Sch. und Sebastian L. sollen Brunner zu Tode geprügelt haben, "um sich an ihm für seine Einmischung zu rächen": Weil er sich schützend vor vier Schüler stellte, musste der Manager sterben, so der Vorwurf.

S-Bahnhof Solln

Die mutmaßlichen Täter sollen Brunner zu Tode geprügelt haben, um sich für seine "Einmischung" zu rächen.

(Foto: Foto: ddp)

Rund 50 Zeugen haben die Ermittler in der Anklageschrift benannt. Ob der Prozess, der erst im Frühjahr beginnen soll, öffentlich stattfinden wird, ist noch nicht klar. Zwar betont der Vorsitzende Richter Reinhold Baier, dass angesichts der Konstellation - ein Angeklagter zur Tatzeit minderjährig, einer volljährig - grundsätzlich öffentlich verhandelt werden müsse. Sollten die Angeklagten aber den Ausschluss von Zuschauern beantragen, müsse das Gericht darüber entscheiden. Sollte öffentlich verhandelt werden, dürfte dies angesichts des enormen Interesses im Schwurgerichtssaal geschehen, dem größten Sitzungssaal mit rund 150 Plätzen.

Dort saß Baier vor eineinhalb Jahren schon über die U-Bahn-Schläger vom Arabellapark zu Gericht. Während das Geschehen an jenem 12. September 2009 kurz nach 16 Uhr weitgehend bekannt ist, gibt es gewisse Details, auf die die Verteidigung abzielen dürfte. Sie könnten sich auf das Strafmaß auswirken. Zum Beispiel die Frage, ob Sebastian irgendwann versucht hat, Markus zu stoppen. Oder die Frage, wer auf dem Bahnsteig zuerst zugeschlagen hat. Mehrere Zeugen haben nach SZ-Informationen ausgesagt, dass Dominik Brunner dies gewesen sei. Doch in welcher Situation? Kam er nur den Schlägen der anderen zuvor, oder suchte er die körperliche Konfrontation, womöglich in der trügerischen Erwartung, als trainierter Kickboxer der Überlegene zu sein?

Interessant ist, was der S-Bahn-Fahrer beobachtet haben will, als er kurz vor der Weiterfahrt in Solln aus dem Fenster nach hinten schaute. Die beiden Angeklagten seien ruhig in Richtung Brunner gegangen, während dieser aggressiv gewirkt habe. Alles wäre wohl glimpflich abgegangen, wenn Brunner nicht zuerst zugeschlagen hätte, so die Einschätzung des Lokführers. Er beobachtete das Geschehen aus knapp 40 Metern Entfernung. Wie verlässlich ist seine Wahrnehmung? Wie passt sie zu den Angaben anderer Zeugen, die näher dran waren und aggressives Verhalten seitens der mutmaßlichen Tätern beobachtet haben?

Dass Markus Sch. und Sebastian L. seit September in Stadelheim in Untersuchungshaft sitzen, ist nicht verwunderlich. Dass aber auch ihr Kumpel Christoph T. einsitzt, in Neuburg-Herrenwörth, wirft Fragen auf: Bleibt er so lange im Gefängnis, weil der mediale Druck so groß ist? Fürchtet die Justiz vernichtende Schlagzeilen, falls T. freikäme und dann wieder etwas anstellen könnte?

Christoph T. soll getan haben, was unter Jugendlichen häufig geschieht: von anderen Geld gefordert und einem eine Ohrfeige verpasst haben. "Abziehen" nennen sie das. Vielleicht hätte es das Ereignis vom Nachmittag jenes verhängnisvollen 12. September an der S-Bahn-Station Donnersbergerbrücke nie in die Zeitung geschafft - wenn nicht wenige Minuten später ein Mensch gestorben wäre.

"Er büßt für die anderen mit"

Christoph T. wollte an der Donnersbergerbrücke zusammen mit Sebastian und Markus vier Schüler um ein paar Euro erpressen. So weit kam es aber nicht, weil zuvor T.s Zug nach Planegg einfuhr. Ehe er in die S 6 einstieg, soll er Sch. und L. angestachelt haben, es den Schülern noch so richtig zu zeigen. T. bestreitet dies. Niemand wirft ihm vor allem vor, jemanden getötet oder andere zum Töten aufgefordert zu haben. Und dennoch sitzt er seit fast fünf Monaten in U-Haft. "Er büßt für die anderen mit", sagen seine Verteidiger Tom Heindl und Christian Steinberger. Der Vorwurf gegen ihren Mandanten wirkt vergleichsweise gering: versuchte räuberische Erpressung und gefährliche Körperverletzung.

Dominik Brunner

Zeugen wollen beobachtet haben, dass Dominik Brunner zuerst geschlagen hat.

(Foto: Foto: ddp)

Mit dem Geschehen in Solln "hat er nichts zu tun", betonen die Anwälte. T. habe weder gewollt noch geahnt, was Dominik Brunner wenig später widerfuhr. Und deshalb halten sie die fortdauernde U-Haft, während der T. volljährig wurde, für sehr hart. Eine Haftbeschwerde blieb ohne Erfolg. Das Landgericht begründet die Haft mit Fluchtgefahr: Weil T. aufgrund seiner früheren Delikte eine hohe Strafe erwarte, bestehe ein hoher Fluchtanreiz.

T.s Anwälte räumen ein, dass ihr Mandant kein Unschuldslamm sei. Aber zu einer Gefängnisstrafe sei er bislang noch nie verurteilt worden, so schwer seien seine Vergehen nicht gewesen. Am Sonntag nach der Tat sei er zudem in sein Heim zurückgekehrt, wohl wissend, dass bald die Polizei kommen würde. Dann habe er sofort gestanden, dass er die Schüler habe "abziehen" wollen. Außerdem, fragen Heindl und Steinberger: Wohin solle T. denn fliehen? Und mit welchem Geld?

Ihr Mandant sei finanziell noch ganz von seiner Familie abhängig, und Bezug zum Ausland habe er auch nicht. "Es hätte vollkommen gereicht, ihm aufzuerlegen, dass er sich dreimal die Woche bei der Polizei melden muss", meinen sie. Immerhin, etwas Gutes habe T.s Haft: Er sei weggekommen von Alkohol und Drogen und auch von gewissen Freunden. Erstmals habe Christoph T. ein Ziel vor Augen: Eine Lehre wolle er machen, und irgendwann, so wünschten sich er und seine Familie, in die elterliche Firma einsteigen. Gegen T. wird in einem separaten Prozess verhandelt werden, nicht zusammen mit seinen Kumpels.

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