Süddeutsche Zeitung

Gewalt:Wenn Polizei-Einsätze zum Event werden

Wie kann man verhindern, dass Beamte und Retter gefährdet werden, wenn die Situation eskaliert? Diese Frage stellt sich nach drei aus dem Ruder gelaufenen Vorfällen am Wochenende in München.

Drei Szenen vom Samstagabend: Bis zu tausend junge Leute lagern am Monopteros im Englischen Garten, Alkohol fließt reichlich, es kommt zu Schlägereien, Provokationen, schließlich zu Übergriffen gegen Rettungsdienst und Polizei. Fast zur selben Zeit eine Schlägerei an der Tierparkbrücke in Thalkirchen, ein 36-Jähriger tritt und würgt zwei Polizisten, bis sie dienstunfähig sind. Gaffer feuern den Schläger noch an, eine junge Frau filmt das Ganze und weigert sich, die Aufnahmen der Polizei zur Verfügung zu stellen; ihr Handy muss beschlagnahmt werden. In Feldkirchen brennt eine Lagerhalle, mehr als 200 Einsatzkräfte bekämpfen den Großbrand, S-Bahnen können nicht vorbeifahren - aber nicht wegen des Feuers, sondern wegen der vielen Gaffer, die auf die Gleise laufen, um möglichst spektakuläre Fotos zu bekommen, und die sich selbst von Bundespolizisten nur mit Mühe in Schach halten lassen.

Drei Szenen, ein Problem: Wie verhindert die Polizei, dass Einsätze derart eskalieren, dass Betroffene, Retter und die Gaffer selbst gefährdet werden? Wie verhindert sie zugleich, dass derartige Fälle zum "Event" und möglicherweise sogar provoziert werden? Dass etwa der Monopteros an jedem halbwegs warmen Wochenende zum "Schauplatz für das Gebaren von Halbstarken" wird, wie es Polizeisprecher Marcus Da Gloria Martins formuliert.

Denn bereits eine Woche zuvor war am Monopteros eine Feier komplett aus dem Ruder gelaufen. Rund 800 Jugendliche hatten sich über Facebook verabredet. Dann soll es zu einer Massenschlägerei gekommen sein. Das berichtete zumindest ein Anrufer. Als die ersten Polizisten im Englischen Garten eintrafen, prügelte sich jedoch niemand. Dafür gingen zahlreichen Jugendliche und junge Erwachsene auf die Polizisten los. Erst flogen Beleidigungen, dann Flaschen.

Die Polizisten riefen Verstärkung und musste am Ende die Schlagstöcke einsetzen, um den harten Kern von etwa 200 Randalierern zu vertreiben. Nun wird gegen drei 17-jährige Schüler und einen 18-Jährigen wegen Angriffen auf Polizeibeamte ermittelt, zwei 16 und 17 Jahre alten Mädchen wird Beleidigung vorgeworfen.

Auch eine Woche später sollen am Monopteros mehrere Geburtstage gefeiert worden sein. Wieder wurden Schlägereien gemeldet. Ob die echt oder inszeniert waren, ist bislang offen. Echt war der suffbedingte Kollaps eines Jugendlichen, zu dem ein Feuerwehr-Rettungswagen gerufen wurde. Und echt waren die anschließenden Attacken betrunkener Umstehender auf die entsetzten Helfer. Wie in der Woche zuvor waren mehr als hundert Beamte im Einsatz. Sie hatten alle Hände voll zu tun, die Situation zunächst unter Kontrolle zu bringen - mit den Worten von Polizeisprecher Martins: "Durch Präsenz und durch die Entzerrung einzelner Brennpunkte eine weitere Eskalation zu vermeiden".

Wie schnell eine solche Eskalation da ist, erlebte die Münchner Polizei, als die Situation im Englischen Garten gerade geklärt war. Nach einer Schlägerei an der Isar ging ein 36 Jahre alter Mann mit äußerster Brutalität auf zwei Streifenbeamte los. Eine Polizistin wurde durch Schläge und Tritte im Gesicht, am Oberkörper und am Knie verletzt, ihr Kollege erlitt Faustschläge. Immer mehr Schaulustige rotteten sich zusammen und stachelten den Angreifer an, um ihn zu filmen, auch noch, als dieser bereits am Boden liegend versuchte, mit den Beinen die verletzte Polizistin zu würgen.

Bei Ausschreitungen wie am Monopteros sind die Übergänge fließend: zwischen der Masse von oftmals alkoholisierten Jugendlichen, die nur dabei sind und im Ernstfall brav nach Hause gehen, den "Halbstarken", wie die Polizei sie nennt ("Die machen dann verbal gerne mal einen auf dicke Hose", sagt ein Beamter), und den Rädelsführern von Taten, die dann allerdings bis hin zum Landfriedensbruch gehen können. Und für den gibt es bis zu drei Jahre Haft. "Wir schauen genau, wer dort auffällt", sagt Martins. Genauso wichtig sei aber die Deeskalation. Viel Arbeit also in den nächsten Tagen für die Jugendbeamten.

Aber für die Polizei wichtiger Bestandteil ihrer "Münchner Linie". Die entstand übrigens in den Sechzigerjahren nach Auseinandersetzungen mit Jugendlichen.

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SZ vom 24.04.2018 / bm/infu
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