Gewalt im Amateur-Fußball:Spucken, treten, schlagen

Faustschläge, Kung-Fu-Tritte und Bisse: Die Ausschreitungen im Jugend- und Amateurfußball nehmen zu - vor allem die Intensität der Gewalt beunruhigt die Funktionäre. Manchmal muss sogar die Polizei anrücken.

Andreas Liebmann

Es ging mal wieder um alles an jenem 6. November: Der Tabellensiebte traf auf den Zweiten, es stand 5:4 in diesem Neuntligaspiel - als ein gefoulter Fußballer des ATSV Kirchseeon seinem Perlacher Gegenspieler vor Wut den Ball in den Rücken bolzte. Ein Video dokumentiert, was weiter geschah: Der getroffene Perlacher biss seinem Kontrahenten in die Hand, dieser antwortete mit einem Faustschlag ins Gesicht; ein Perlacher Zuschauer stürmte aufs Feld und schlug den Kirchseeoner, wofür ein Kirchseeoner Anhänger sich mit einem Kung-Fu-Tritt am Perlacher Spieler rächte. Die Fans beider Seiten gerieten in mehreren Gruppen aneinander, der Schiedsrichter brach ab, was von diesem Kreisliga-Fußballspiel noch übrig war.

Der fehlende Respekt

Es ist ein unscheinbares Sätzchen, hinter dem sich Fälle wie der eben geschilderte verbergen: "Am 11. März 2012 beginnen wir wieder um Punkte zu kämpfen", hat Peter Schmid, Spielgruppenleiter des Kreises München, an Heiligabend seinen Vereinen geschrieben, und ergänzt: "Bitte das letzte Wort nicht weiter missverstehen. So viele Sportgerichtsfälle wie heuer gab es bisher noch nie." Am Briefende sieht man ein buntes Bild vom Weihnachtsmann auf seinem Rentierschlitten.

Zwei Sportgerichte beschäftigt der Fußballkreis München, beide haben im vergangenen Halbjahr jeweils etwa 600 Fälle bearbeitet. "Als ich vor zehn Jahren angefangen habe, war das die Jahresbilanz", schätzt Schmid. Es geht nicht etwa um Formalitäten, auch habe die Zahl der Fouls nicht zugenommen. "Ausschreitungen" sind es, die Schmid Sorgen machen, vor allem Angriffe auf Unparteiische: "Der Respekt gegenüber Schiedsrichtern fehlt. Spieler und Trainer schaffen es immer weniger, auch vermeintlich falsche Entscheidungen hinzunehmen", stellt Schmid fest. Das gehe schon in der Jugend los und werde dort von Trainern und Eltern vorgelebt. "Die Tabellen für die F-Jugend wurden abgeschafft, weil es an bayerischen Sportgerichten 5000 Fälle im Jahr gab, an denen Eltern beteiligt waren", so Schmid. Nun gehe es eben ab der E-Jugend weiter. Und noch eines ist Schmid wichtig: "Wenn Vereine gut geführt sind, haben sie kaum Sportgerichtsfälle - ganz unabhängig von einem etwaigen Migrationshintergrund."

"Wenn es schnalzt, dann g'scheit"

Der "falsche Ehrgeiz der Trainer": Auch Kreisjugendleiter Florian Weißmann ist er ein Dorn im Auge. Schon in untersten Jahrgängen gehe es "um die Champions League". Proteste der Betreuer übertrügen sich auf Eltern, schnell schaukle sich eine Situation hoch. Und wenn es schon in der U11 Polizeieinsätze gebe, ist naheliegend, dass die Aggressionen in älteren Jahrgängen nicht nachlassen. Weißmann erzählt von einem U17-Spieler, der im Frühjahr mit einer abgeschlagenen Glasflasche auf einen Schiedsrichter losging. "Ich weiß nicht, ob die Fälle mehr werden", sagt er, "aber die Intensität nimmt zu. Wenn es schnalzt, dann g'scheit."

Provokationen aus dem Publikum

Interessant sind Weißmanns Gegenrezepte. Er hält es für falsch, junge Spieler dauerhaft auszuschließen. Oder gar Mannschaften wegen solcher Vorfälle abzumelden. "Nur über meine Leiche", sagt er, "so leicht will ich es niemandem machen." Es sei auch Aufgabe der Vereine und des Verbands, sich um solche Fälle zu kümmern. Der Jugendliche mit der Flasche zum Beispiel stecke nun in einem Resozialisierungsprogramm. Auf drei ehrenamtliche Konfliktmanager kann der Jugendleiter zurückgreifen, sich selbst sieht er als vierten. Wenn er von einem Fall höre wie jenem U17-Spiel Ende Oktober, wo es nach Provokationen aus dem Publikum zu Übergriffen unter anderem auf den Schiedsrichter kam, dann fahre er zu den Vereinen hin. "Ich rede mit den Spielern. Das ist ein Gießkannenprinzip, aber die Erfahrung zeigt, dass ich von Mannschaften, die ich besucht habe, nichts Negatives mehr höre", sagt er. Das bringe viel mehr als harte Strafen.

Kategorie Problemverein

Andreas Hitzlsperger spricht von "Jagdszenen". Der Bruder des ehemaligen Nationalspielers aus Forstinning ist Lehrwart und stellvertretender Obmann der Schiedsrichtergruppe Dachau. Auch er hat den Eindruck, "dass die Übergriffe mehr werden". Weißmann mache einen guten Job, aber bei der Menge an Vereinen stehe er "auf verlorenem Posten". Er berichtet von zwei abgebrochenen Jugendspielen der Jahrgänge U11 und U13, wo jeweils Trainer auf Schiedsrichter losgegangen seien - auf einen 14- und einen 16-Jährigen. "Ihre Vorbildfunktion ist denen völlig egal", schimpft Hitzlsperger. Und er sagt offen: "Manche Vereine stufen wir als Problemvereine ein. Dort schicken wir nur noch erfahrene Leute hin." Jungen Talenten könne man solche Partien nicht guten Gewissens antun.

Was den Schiedsrichtern die Arbeit zusätzlich erschwere: Seit einigen Jahren stelle er einen "Schmusekurs" der Sportgerichte fest, sagt Hitzlsperger, "seitdem eskaliert es wieder". Er fordert deutlich mehr Abschreckung. "Wir wirken gerne deeskalierend, aber es kann nicht sein, dass wir dabei nur noch Freiwild sind."

Keiner will mehr pfeifen

München ist nicht alleine. Auch Heinz Eckl, Vorsitzender des Kreises Zugspitze, stellt die Zunahme schwerwiegender Fälle fest: Handgreiflichkeiten, Tätlichkeiten, Spucken ("das ist das Mieseste"), auch gegen Schiedsrichter. Auch er finde, dass die Härte der Sportgerichtsurteile "eine Stufe nach unten gegangen" sei, aber diese Linie gebe der Verband vor. Die Einsätze der Konfliktmanager zeigten durchaus Wirkung, lobt er. Andererseits berichtet er von einem eklatanten Mangel an Schiedsrichtern: "Das will doch niemand mehr machen."

Zweigleisiges Konzept

Ein milder Kurs? "Das ist Unsinn", versichert Rainer Koch, Präsident des Bayerischen Fußball-Verbands: "Es gibt keine Vorgaben an die Sportgerichte." Der Verband fahre mehrgleisig, er setze auch auf Prävention. "Mit Strafen allein kannst du nicht viel bewegen", sagt Koch. Ziel müsse es sein, Taten zu verhindern. Ob es tatsächlich mehr Vorfälle in München gibt, wisse er leider nicht. Dieser erbitterte Kampf, er findet eben doch nur auf Kreisebene statt.

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