Gesundheit:Wenn fliegende Ärzte Leben retten

Gesundheit: Mit dem Hubschrauber fliegen die Spezialisten aus dem Harlachinger Krankenhaus in die Partnerkliniken. Hier ein Bild vom Start der Pilotphase 2018.

Mit dem Hubschrauber fliegen die Spezialisten aus dem Harlachinger Krankenhaus in die Partnerkliniken. Hier ein Bild vom Start der Pilotphase 2018.

(Foto: Catherina Hess)
  • In einem Pilotprojekt werden Schlaganfall-Patienten nicht mehr nach München gebracht.
  • Stattdessen kommen die Neuroradiologen der am Projekt teilnehmenden Kliniken im Hubschrauber zu ihnen.
  • Sollte sich wissenschaftlich belegen lassen, dass die fliegenden Ärzte medizinisch sinnvoll sind, sollen die Krankenkassen die Leistung in die Regelversorgung aufnehmen.

Von Inga Rahmsdorf

Wenn ein Patient in Mühldorf am Inn einen schweren Schlaganfall erleidet und bei ihm ein besonderer medizinischer Eingriff notwendig ist, wurde er bisher mit dem Hubschrauber in eine Klinik nach München gebracht. Nun fliegen die Ärzte zu dem Patienten. Das soll vor allem Zeit sparen. Wird der Schlaganfallpatient zum Arzt gebracht, bräuchte man von der Diagnose bis zum Eingriff etwa 170 Minuten. Fliegt umgekehrt der Arzt zum Patienten, könne man etwa 100 Minuten sparen, sagt Roman Haberl, Chefarzt der Klinik für Neurologie am städtischen Klinikum Harlaching. Wertvolle Zeit. In 100 Minuten sterben bei einem Schlaganfall bis zu 190 Millionen Nervenzellen.

Während die Münchner Neuroradiologen im Helikopter sitzen, können die Ärzte in Mühldorf am Inn oder in einem der anderen elf teilnehmenden Krankenhäuser den Patienten bereits für die Operation vorbereiten. Zudem muss der Betroffene nicht für den Transport stabilisiert werden, was ebenfalls Zeit kostet. Und er wird keinen zusätzlichen Belastungen und Risiken ausgesetzt.

Das städtische Klinikum hat das Projekt, das seit Februar 2018 läuft, am Montag vorgestellt. Es sei bisher weltweit einmalig, sagen die Vertreter der beiden beteiligten Münchner Krankenhäuser, dem städtischen Klinikum und dem Uni-Klinikum rechts der Isar. Angelegt ist es zunächst als dreijähriges Forschungsprojekt und wird von den Krankenkassen finanziert. Zwei Hubschrauber sind abwechselnd im Einsatz, von der ADAC Luftrettung und der Firma HTM Helicopter.

In den vergangenen drei Monaten sind die Münchner Neuroradiologen insgesamt 20 Mal mit dem Helikopter in Krankenhäuser im südöstlichen Bayern geflogen und haben dort operiert. Derzeit sind die fliegenden Ärzte nur von 8 bis 22 Uhr im Einsatz und auch nur jede zweite Woche. So könne verglichen werden, welche Vorteile das Projekt mit sich bringe im Vergleich zur bisherigen Vorgehensweise. Sollte sich wissenschaftlich belegen lassen, dass die fliegenden Ärzte medizinisch sinnvoll sind, ist es das Ziel, dass die Krankenkassen die Leistung in die Regelversorgung aufnehmen. Und die Hubschrauber und Mediziner dann 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr bereitstehen, um in Krankenhäuser in ländliche Regionen zu fliegen.

Patienten in München bräuchten sich keine Sorgen zu machen, dass ihnen dadurch weniger medizinische Kapazitäten zur Verfügung stehen, betont Gordian Hubert, Oberarzt am Klinikum Harlaching und Koordinator des Projektes. Die zusätzlichen Stellen seien eigens für das Projekt aufgestockt worden. Zudem habe die Zahl der Patienten dadurch nicht zugenommen. Denn die Betroffenen wurden ja bislang auch behandelt, nur eben in München und nicht in ihren Landkreisen.

Gesundheit: Ist ein operativer Eingriff notwendig, fliegen Ärzte vom städtischen Klinikum München und vom Klinikum rechts der Isar mit dem Helikopter in die bayerischen Krankenhäuser.

Ist ein operativer Eingriff notwendig, fliegen Ärzte vom städtischen Klinikum München und vom Klinikum rechts der Isar mit dem Helikopter in die bayerischen Krankenhäuser.

(Foto: Catherina Hess)

Bei der Neurologin Katharina Hohenbichler im städtischen Klinikum in München klingelt das Telefon. Eine Kollegin aus Ebersberg ruft an. Dort wurde ein Patient mit Schlaganfall eingewiesen. Sofort setzt Hohenbichler sich vor den Computerbildschirm, untersucht per Videoschaltung den Patienten in Ebersberg, kommuniziert mit den Ärzten am Krankenbett, analysiert die computertomografischen (CT) Bilder und stellt Diagnosen. Telekonsil nennt sich diese Untersuchungsform.

Schon seit 15 Jahren kooperieren das städtische Klinikum und das Klinikum rechts der Isar mit 20 Krankenhäuser in Südostbayern in einem telemedizinischen Schlaganfallnetz. Das Projekt nennt sich Tempis. Die Idee dahinter ist, die medizinische Expertise in großen Kliniken zu nutzen, um sichere Diagnosen auch in kleineren Krankenhäusern stellen zu können. Krankenhäuser, in denen kein Neurologe im Einsatz ist, oder in denen die Ärzte nur ab und an Schlaganfallpatienten betreuen, nicht aber, wie in München, mehrmals am Tag.

Bei einem Schlaganfall können Ärzte ein Medikament verabreichen, um das Blutgerinnsel im Kopf aufzulösen. Seit 2014 wird bei schweren Schlaganfällen eine neue Behandlungsmethode empfohlen, die sich Thrombektomie nennt. Die Ärzte führen einen dünnen Draht in eine Arterie an der Leiste des Patienten ein, den sie dann bis hoch in den Kopf schieben können. Mit dem Katheter wird das Blutgerinnsel im Kopf abgesaugt und entfernt.

Das sei ein Eingriff, der immer individuell ausgelegt werden müsse und sehr viel Erfahrung und Expertise voraussetze, sagt Benjamin Friedrich, Neuroradiologe vom Klinikum rechts der Isar. Etwa zehn Prozent der Schlaganfälle verlaufen schwer. Wird nicht rechtzeitig eingegriffen, können sie tödlich sein oder schwerwiegende Folgen für den Patienten haben. Die fliegenden Ärzte würden nicht nur die Behandlungschancen für den Patienten verbessern, sondern sogar Ressourcen sparen, sagt Haberl. Durch schnelle Eingriffe können spätere Pflegekosten reduziert oder sogar verhindert werden.

Wenn Katharina Hohenbichler per Videokonferenz feststellt, dass der Patient in Ebersberg den Eingriff mit dem Katheter benötigt, informiert sie ihren zuständigen Kollegen. Gemeinsam mit einem Assistenten und ausgerüstet mit einer Anglertasche sowie einem großen Koffer, in denen alle notwendigen Materialien sind, besteigen sie den Hubschrauber. Der Neuroradiologe Friedrich ist bereits zehn Mal mitgeflogen. Es sei ein spannendes Projekt und die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern in der Region funktioniere sehr gut. "Als wir dort ankamen, hatten die Kollegen schon eine tolle Vorarbeit geleistet", sagt Friedrich.

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