Gesundheit:Smartphones werden für Kinder zum Problem

Kind mit Smartphone

Die Auswirkungen der Smartphone-Sucht auf den Körper sollten nicht unterschätzt werden.

(Foto: dpa)

Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel - immer häufiger diagnostizieren Münchner Ärzte bei Kindern das Handy als Ursache. Die Folgen sind gravierend.

Von Christina Hertel

Auf den Armen ihrer besten Freundin sieht Lilli dünne Schnitte, in der Schule bleibt ihr Platz immer häufiger leer. Die Freundin ist 14, ihre Eltern streiten ständig. Lilli ist genauso alt, ihre Eltern haben sich schon vor Jahren getrennt. Lilli glaubt, wenn sie sich nicht um ihre Freundin kümmert, werden die Schnitte auf ihren Armen immer tiefer. Die Mädchen schreiben sich am Tag Hunderte Nachrichten mit ihren Smartphones - stundenlang, bis tief in die Nacht unter der Bettdecke. Am nächsten Tag ist Lilli müde. Sie hat immer häufiger Bauchweh und Kopfschmerzen. Die 14-Jährige kommt schließlich für zehn Wochen ins Krankenhaus - auf die psychosomatische Station.

Ärztin Petra Sobanski erlebt Fälle wie diese immer häufiger. Sie leitet die Kinder- und Jugendpsychosomatik im Klinikum Schwabing. Etwa Zweidrittel der 15 Kinder, die sie dort auf der Station betreut, verbringen zu viel Zeit am Handy und werden dadurch krank. Darunter sind Jungen und Mädchen, die schon vorher Depressionen und Angstzustände hatten. Aber auch welche, die sonst keine Probleme haben, die jedoch keine Hausaufgaben mehr erledigen, keine Mahlzeit mehr essen und keinen Familienausflug mehr unternehmen können, ohne ständig auf das Display ihres Smartphones zu schauen.

Kinder aus allen sozialen Schichten sind betroffen

Das Grünwalder Kind, das mit Au-pair und Swimmingpool aufwächst, sei genauso betroffen wie jenes, das im Hasenbergl bei einer alleinerziehenden Mutter lebt. Die meisten ihrer Patienten seien um die 13 Jahre alt, aber sie erlebe es auch, dass bereits Grundschüler mehrere Stunden am Tag am Smartphone hängen. Es sei typisch, dass solche Kinder nach einer Zeit so wie Lilli körperliche Symptome entwickeln, sagt Sobanski. Kopfschmerzen, Bauchweh, Schwindel, Müdigkeit.

Unter Kopfschmerzen hätten Kinder früher nie gelitten, sagt Cora Behnisch-Gärtner. Sie leitet die Kinderorthopädie am Schwabinger Krankenhaus und auch zu ihr kommen immer häufiger Kinder, die zu viel Zeit am Smartphone verbringen. "Wenn früher ein Kind mit Kopfschmerzen ins Krankenhaus kam, war es für die Ärzte immer gleich ein Alarmsignal." Sie fürchteten einen Hirntumor.

Heute müssten die Ärzte immer häufiger feststellen, dass eine andere Ursache dahinter stecke: Das Kind sitzt zu viel mit dem Handy auf dem Sofa und bewegt sich zu wenig. Der Nacken verspannt und davon kriegen die Kinder irgendwann Kopfweh. Die Orthopädin schätzt, dass etwa jede Woche drei Kinder zu ihr kommen, die über Kopfschmerzen klagen, aber eigentlich unter Bewegungsmangel leiden. "In den Siebzigern haben Kinder zwischen sechs und zehn Jahren noch vier Stunden am Tag außen gespielt", sagt sie. "Heute ist es bloß noch eine."

"Manche sind nachmittags zu nichts mehr fähig"

Auch die Form der Wirbelsäule könne sich verändern, erklärt die Orthopädin. Denn häufig sitzen die Kinder mit dem Kopf nach vorne gebeugt vor dem Handy. Doch dann drücke - aufgrund der Hebelwirkung - ein Vielfaches des Kopfgewichts auf die Wirbelsäule. Statt mit etwa zehn Kilo werde sie nun mit 30 bis 60 Kilo belastet. Die Folge sei im schlimmsten Fall ein Buckel. Häufiger komme es jedoch zu Haltungsproblemen, Verspannungen, Schwindel und Kopfweh. Manchen ihrer Patienten ging es nachmittags so schlecht, dass sie zu gar nichts mehr fähig wären. "Die Eltern denken gleich, es ist etwas ganz Schlimmes", sagt sie.

Doch meistens finde der Neurologe nichts Ernstes und die Kinder landen bei ihr in der Orthopädie. Häufig sind die Muskeln so verkürzt, dass sie ihre Patienten zum Physiotherapeuten schicken muss. Dieser macht mit den Kindern ein paar Wochen lang Übungen, um die Muskulatur wieder zu kräftigen. "Aber dann müssen sie sich einen Sport suchen, der ihnen gefällt."

Mit den langfristigen Folgen von zu viel Herumtipperei auf dem Bildschirm hat Matthias Pietschmann immer häufiger zu tun. Der Gelenkchirurg behandelt am Klinikum Großhadern auch Daumen, die sich von zu viel SMS-Schreiben und zu viel Spielen auf dem Smartphone entzündet haben. Meistens rät er seinen Patienten den Daumen regelmäßig zu dehnen oder eine Schiene zu tragen. Doch wenn die Entzündung nicht weggeht, muss er solche sogenannten "Smartphone-Daumen" manchmal sogar operieren. Jugendliche seien nicht unter den Patienten - weil ihr Gewebe belastbarer als das von Erwachsenen sei. Doch im Bereich der 17 bis 27-Jährigen hätten sich in die Zahlen in den vergangenen Jahren verdoppelt.

"Früher", sagt der Chirurg, "hatten so etwas nur Friseure oder Sekretärinnen." Heute seien alle möglichen Leute unter seinen Patienten. Nach zehn Wochen auf der psychosomatischen Station im Schwabinger Klinikum ging es Lilli wieder gut. Gemeinsam mit der Kinderärztin stellten Lilli und ihre Eltern Regeln für den Smartphonegebrauch auf. Bei 12 bis 14-Jährigen reichen aus Sobanskis Sicht etwa zwei Stunden mit dem Smartphone am Tag. "Natürlich kann es mal mehr sein, wenn es gerade Zoff mit dem besten Freund gibt." Wichtiger als mit der Stoppuhr neben dem Kind zu sitzen, findet Sobanski, dass Familien zu alten Ritualen zurückkehren. Gemeinsam Abendessen zum Bespiel und alle haben das Handy aus. Auch die Eltern.

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