Süddeutsche Zeitung

Gesundheit: Im Geburtshaus dürfen nun endlich auch Geburten stattfinden

  • Wartelisten für werdende Mütter? In München fehlen Hebammen. Umso skurriler wirkt es, dass ein Geburtshaus an der Theresienwiese wegen bürokratischer Hürden monatelang nicht öffnen konnte.
  • Seit Anfang April dürfen aber nun endlich Geburten stattfinden.
  • Im Oktober soll das Haus endlich komplett fertig sein. Doch zunächst heißt es Warten auf Geld.

Von Lisa Böttinger

Die Szene, über die Anita Schultze heute lachen kann, hatte zum Glück ein gutes Ende. Es ist ein Morgen im April, das Geburtshaus an der Theresienwiese ist voll belegt. Sechs junge Mütter besuchen einen Babymassage-Kurs, während eine Flurlänge entfernt zwei Babys zur Welt kommen, eine weitere Frau wird wegen Schwangerschaftsbeschwerden behandelt. Drei abgeschlossene Zimmer gibt es bisher im Geburtshaus - kurzfristig also kein Platz für den anstehenden Termin mit den nächsten werdenden Eltern. Schultze muss improvisieren. "Am Ende saß ich mit dem Paar erst mal in der Teeküche", erzählt sie.

Nie zu wissen, was kommt - das ist die Hebamme und organisatorische Leiterin des zweiten Geburtshauses in München mittlerweile gewohnt. Gemeinsam mit ihrer Kollegin, der fachlichen Leiterin Larissa Löffler, und einem fünfköpfigen Hebammen-Team kämpft sie seit mehr als einem Jahr dafür, dass die Einrichtung für werdende Eltern ihre Arbeit aufnehmen darf. So lange hat es gedauert, bis die Genehmigung der Lokalbaukommission kam, zumindest den vorderen Teil der angemieteten Räume von Gewerbe- in Praxisräume umzuwidmen - denn nur in solchen dürfen baurechtlich gesehen auch Kinder zur Welt kommen.

Die letzten erforderlichen Unterlagen dafür hält Schultze seit Anfang April in den Händen. Damit dürfen im Geburtshaus nun endlich auch Geburten stattfinden. "Wir haben eine Warteliste für Schwangere bis Ende Oktober", sagt Schultze, die mit Löffler schon seit August 2017 Miete für das Geburtshaus zahlt, 3500 Euro pro Monat. Gemeinsam haben sie einen Kredit in sechsstelliger Höhe aufgenommen, um am Anfang durchzuhalten. Dabei könnten sie schon jetzt noch viel mehr Frauen begleiten - "wenn wir mehr Hebammen für die Geburtshilfe hätten", sagt die studierte Hebamme, "und Planungssicherheit". Der Gesundheitsausschuss des Stadtrats hat am Donnerstag beschlossen, den Umbau des Geburtshauses mit 75 000 Euro zu fördern, die Vollversammlung muss das noch bestätigen.

Auf das Geld sind Schultze und Löffler angewiesen, denn die Praxis-Genehmigung, die Schultze kürzlich aus ihrem Briefkasten geholt hat, gilt nur für den vorderen Teil des Geburtshauses. Der hintere Teil des Gebäudes war laut eines winzigen Bauaktenvermerks als Wohnfläche deklariert, deshalb musste zunächst die Zweckentfremdung genehmigt werden. Nun kommen weitere Kosten auf die Hebammen zu: Etwa 9000 Euro werden für diverse Gutachten wie Denkmal- oder Brandschutz fällig, dazu die Kosten für eine Architektin und den Umbau der hinteren Räumlichkeiten nach den Richtlinien für Barrierefreiheit. Für die 75 Quadratmeter Praxis müssen die beiden Frauen außerdem drei erforderliche Parkplätze von der Stadt ablösen - für je 10 000 Euro.

Schultze blickt auf den provisorischen Kursraum im Eingangsbereich des Geburtshauses. Bunte Gymnastikmatten liegen auf dem hellen Holzboden, darauf Kissen und Bälle, gleich beginnt ein Geburtsvorbereitungskurs. Eigentlich sollte hier stattdessen ein weiterer Behandlungsraum entstehen. Doch noch fehlt der Platz, an dem dann die täglichen Kurse stattfinden könnten: der große Raum im hinteren Gebäudeteil, der nun umgebaut werden muss. Dass Schultze und Löffler hier mit ihrem Team überhaupt schon Geburten betreuen dürfen, haben sie nicht zuletzt dem stetigen Engagement von Oberbürgermeister Dieter Reiter zu verdanken.

Reiter hatte bereits im November vergangenen Jahres auf seiner Facebook-Seite angekündigt, "das Verfahren schnell zu Ende zu bringen und die Öffnung zu ermöglichen". Im März besuchte er die Einrichtung persönlich. "Auch die Stadtratsfraktionen von Grünen, SPD und CSU signalisierten uns, das Projekt zu unterstützen", sagt Schultze. Trotzdem sammelt das Hebammenteam nun auch über den Verein "Geburtshaus an der Theresienwiese" Spenden für den Betrieb des Geburtshauses - und für Familien, die aufgrund besonderer Lebenslagen Unterstützung benötigen, um eine außerklinische Geburt finanzieren zu können.

Bis Oktober, schätzen Schultze und Löffler, könnte das Geburtshaus dann so aussehen, wie ursprünglich geplant: Vorne gäbe es neben den Geburtszimmern einen zusätzlichen Raum für Schwangerenvorsorge und die ambulante Wochenbettbetreuung. Kurse fänden dann nur noch im hinteren Teil des Hauses statt, der über einen separaten Eingang verfügt. "Nur so haben die Frauen auch Ruhe während der Geburt", sagt Schultze, die nun auf eine schnelle Freigabe der Fördergelder hofft. Ansonsten, sagt sie, würde im Zweifel nochmals die Teeküche herhalten.

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SZ vom 20.04.2018/huy/infu
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