Gesprächsreihe der SZ:Der notorische Optimist

Zum Auftakt der Reihe "Wärme und Wallung" der "Süddeutschen Zeitung" und des Münchner Kammerorchesters spricht Theo Waigel (CSU) über die Folgen des Mauerfalls

Von Thomas Jordan

Für Clemens Schuldt ist das Symbol der deutschen Teilung ein Stasi-Zaun. Ein Zaun, der nicht an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze stand, sondern auf der Bühne einer Fidelio-Inszenierung in der Semperoper in Dresden. 1991 war das. Schuldt, der heute das Münchner Kammerorchester (MKO) leitet, war damals als 15-Jähriger mit seinen Eltern gerade aus Bremen nach Dresden gezogen. Deutschland war frisch wiedervereinigt, der Stasi-Zaun aber sollte in Dresden noch lange auf der Bühne bleiben.

Gesprächsreihe der SZ: Theo Weigel, früher Bundesfinanzminister, diskutiert über Deutschland, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung.

Theo Weigel, früher Bundesfinanzminister, diskutiert über Deutschland, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Es sind persönliche Erinnerungen an die politischen Ereignisse rund um den Mauerfall vor 30 Jahren, die das Publikum zum Auftakt einer neuen Gesprächsreihe von MKO und Süddeutscher Zeitung am Donnerstagabend im Prinzregententheater zu hören bekommt. "Wärme und Wallung" heißt die Reihe. Jeweils vor Konzerten des Münchner Kammerorchesters wollen Redakteure der SZ das Gespräch mit Politikern und Musikern suchen.

Neben Clemens Schuldt sitzt mit dem ehemaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) zum Auftakt einer der Akteure der Wiedervereinigung auf der Bühne. Waigel, "eine der Stützen der westdeutschen Republik", wie SZ-Chefredakteur Kurt Kister den heute 80-Jährigen ankündigt, zeigt im Gespräch, wie eng im Jahr 1989 große Politik und private Sorgen der Menschen verbunden waren. Ein ostdeutscher Tenor etwa zögerte in Dresden im Wendejahr lange, bevor er eine Essenseinladung des damaligen Bundesfinanzministers der BRD annahm - aus Angst vor Repressionen, denn der Sänger hatte seinen Personalausweis nicht bei sich. "Das zeigt, wie tief die Verletzungen sind", sagt Waigel.

Gesprächsreihe der SZ: Waigels Gesprächspartner ist Clemens Schuldt, Leiter des Münchner Kammerorchesters.

Waigels Gesprächspartner ist Clemens Schuldt, Leiter des Münchner Kammerorchesters.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung existieren zwischen Ost und West noch so manche Vorbehalte. Im Gespräch mit dem Moderator, SZ-Außenpolitikchef Stefan Kornelius, lässt Waigel durchaus Selbstkritik durchscheinen: "Wir haben den Menschen in der DDR nicht genügend gesagt, wie verkommen die Wirtschaft ist", sagt der ehemalige Bundesfinanzminister. Man habe den Menschen 1989 nicht zu viel zumuten wollen. Für Waigel hängt es auch mit einer in den vergangenen Jahren verloren gegangenen Toleranz zwischen den politischen Lagern zusammen, dass der Ton in Deutschland wieder schriller geworden ist, und eine Partei wie die AfD im Bundestag sitzt. Clemens Schuldt warnt vor einem grassierenden "unterschwelligen Rassismus", wenn etwa asiatische Musikerinnen im Orchester der Dresdner Semperoper massiv beleidigt werden. Der Dirigent wirbt dafür, auch mit den Mitteln der klassischen Musik die großen Probleme der Gegenwart zu thematisieren. Dazu gehört für ihn auch das Thema Klimawandel. So steht in dieser Saison das Werk "Overheating" auf dem Spielplan des Münchner Kammerorchesters. Komponist Miroslav Srnka spürt darin der Verbindung von gesellschaftlicher Überhitzung und Klimaerhitzung nach.

Der notorische Optimist, wie Kornelius Waigel nennt, will sich am Ende des Abends dennoch keiner kulturpessimistischen Deutung der Gegenwart anschließen. In den Fünfzigerjahren, "wo noch viele alte Nazis in ihren Nestern saßen", seien die Unterschiede genauso krass und böse gewesen, sagt Waigel und zeigt sich trotz alledem mit Blick auf 30 Jahre Mauerfall davon überzeugt: "Wir leben in der besten aller Zeiten."

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