Süddeutsche Zeitung

Gespräche in der Taxi-Zentrale:"Hallo, es ist mir so peinlich"

Lesezeit: 4 min

Von Gerhard Fischer

Da war die Sache mit dem Korsett. "Hallo, es ist mir so peinlich", sagte die Dame, die nachts in der Taxi-Zentrale anrief. "Ich habe leider meine Korsage verloren." Im Taxi? "Ja, die hat mir mein Freund gestern geschenkt, und jetzt ist sie weg!" Man überlegt gemeinsam. Grundsätzlich geben die Taxifahrer alles, was verloren wird, bei der Polizei ab. Also dort anrufen. "Die Polizei kann sicher nichts mit Ihrer verlorenen Korsage anfangen und der Taxifahrer auch nicht", sagt der Mann von der Taxi-Vermittlung. "Rufen Sie einfach an, Telefon 110."

Der Mann bei der Taxi-Vermittlung heißt Hubertus Schmige. Er hat viele Anrufe erhalten, die lustig waren. Er hat sie dann aufgeschrieben und jetzt als Buch herausgegeben, es heißt "Können Sie mich abholen? Nachtschicht in der Taxizentrale." Die Geschichte mit der Korsage - sie ist Schmiges Lieblingsgeschichte.

Rüstiger Rentner mit Schlafproblem

Hubertus Schmige wohnt in einem Hochhaus in der Schleißheimer Straße. Als er im 14. Stock die Tür öffnet, ist man überrascht. Sehen 70-Jährige heute so aus? Schmige ist schlank, er hat volles Haar, trägt ein Polohemd und eine Jeans. Er tänzelt in die Wohnung zurück, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hat. Man muss an einen Slalomfahrer denken, der um Stangen tanzt, an Felix Neureuther. Oder an dessen Vater, den Christian, das ist eher Schmiges Generation.

"Ich jogge jeden zweiten Tag mit meinem Hund", sagt er und deutet vom Balkon hinab auf den Luitpoldpark. "Ist praktisch, dass der Park in der Nähe ist." Der Hund ist auch in der Wohnung, er ist süß. Ein Jack Russell Terrier. Elf Jahre alt. Weiblich. Sissy heißt sie. "Wie die Kaiserin", sagt Schmige. Seit er mit Sissy joggt und davon müde wird, ist es auch besser geworden mit seiner Schlaflosigkeit. Damit fing nämlich alles an, vor knapp eineinhalb Jahren.

Hubertus Schmige schlief damals um ein Uhr ein und wachte um drei Uhr auf, er schlief um vier ein und war bald wieder wach. Schlaflos in Schwabing sozusagen. Seine Frau meinte, er solle zum Arzt gehen oder sich nachts eine Arbeit suchen. Der Doktor sagte dann, eine Therapie würde 200 Euro kosten. "Da habe ich mir lieber eine Arbeit gesucht", erzählt Schmige.

Ein geduldiger Zuhörer

Er schrieb einen lockeren Brief an ein Taxi-Unternehmen, das einen Mitarbeiter für die Nachtschicht brauchte: Trotz seines Alters hätte er noch Lust auf Arbeit, wäre nie krank, seine Frau sei auch gesund und bräuchte keine Pflege. Kinder hätten sie keine, und die kränkelnde Schwiegermutter wäre weit weg; das mit der Schwiegermutter war ein Witz. Er bekam den Job.

Schmige erhielt dann im Schnitt 200 Anrufe pro Nacht, viele von Männern, die ein Taxi brauchten, um ins Bordell zu kommen. Er ertrug Beleidigungen, hatte hie und da einen netten Schwatz, war ein geduldiger Zuhörer, weil einsame Menschen nachts in der Taxizentrale anrufen, um überhaupt mit jemandem reden zu können. Und er bekam immer wieder skurrile Anrufe. Ein Mann wollte ein Taxi nach Grünwald. "Welche Straße, welche Hausnummer?", wollte Schmige wissen. "Weiß ich nicht", sagte der Anrufer, "aber ich kann Ihnen Längen- und Breitengrad sagen". Das GPS würde das dann umrechnen. Es klappte nicht.

Schmige erkennt das lustige Potenzial der Dialoge. Er beginnt, sich Notizen von den Gesprächen zu machen. Und als er dann morgens heimkommt, kurz nach sechs Uhr, schreibt er die Geschichten in seinen Computer. "Manche habe ich zugespitzt, die Dialoge geglättet, flüssiger gemacht, damit sie lesenswert wurden", sagt Schmige. Aber im Kern stimmen sie. Nach einem halben Jahr wechselt er zu einem anderen Taxi-Unternehmen, und als er 100 Geschichten beisammen hat, sucht er einen Verlag. Er schickt die Dialoge an einen Literatur-Agenten, der sich rasch meldet: "Meine Sekretärin hat Ihr Manuskript heute morgen gelesen und immer nur gelacht", soll der Agent gesagt haben. Etwa über die Geschichte, wie Taxi-Vermittler Schmige einen Anruf aus dem Münchner Süden erhielt. "Hallo, können Sie mich abholen?", fragte der Anrufer. Sicher, wo sind Sie denn? "In Stadelheim." Im Gefängnis Stadelheim? "Moment." Drinnen oder draußen? "Pssst!"

"Wir finden einen Verlag für Sie", sagte der Agent zu Schmige. Er hielt Wort. Doch der Verlag will mehr als die 100 Dialoge, er will erst 111, dann 130, schließlich 166, damit es ein richtiges Buch wird. Schmige hat nicht so viele, er ruft Ex-Kollegen an, ob sie welche beisteuern könnten, und es werden schließlich die gewünschten 166. Leider sind bei dieser Menge auch Geschichten dabei, deren Zuspitzung eher flach ist. Manchmal laufen Dialoge, die im Ansatz kurios sind, ins Leere. So ist das Leben, aber man hätte sie, die schwächeren Dialoge, nicht in ein Buch schreiben müssen.

Schmige erzählt die schönesten Anekdoten

Auf dem Buch-Cover steht Hubertus F. U. Schmige. Hubertus Friedrich Ulrich - auf diesen Namen wurde er in Schlesien im Jahre 1944 getauft. Nach dem Krieg musste die Familie in den Westen fliehen, sie landete schließlich in Igling bei Landsberg. Die Flüchtlinge - Mutter, Vater, drei Söhne - wohnten im dritten Stock des Schlosses von Igling. "An einem Sonntag war die gräfliche Familie beim Frühstück", erzählt Schmige. "Und wir drei Brüder haben aus dem dritten Stock auf den Frühstückstisch gepinkelt." Schmige hat keine Scheu, so etwas zu erzählen. Wie haben die Grafen reagiert? "Das weiß ich nicht mehr", sagt Schmige. Es wird den drei Brüdern nichts passiert sein, denn ihr Vater war der Dorfpolizist.

Hubertus Schmige erzählt viele Details, nicht nur aus der Kindheit, sondern auch aus seinem Berufsleben bei einer Werbeagentur und von seinen Umzügen nach Hamburg, Bremen, Kassel, Düsseldorf, Frankfurt und München. Schmige erzählt schöne Anekdoten, er kann sich auf seine Wahrnehmung für Humorvolles meistens verlassen, aber auch hier verliert er sich manchmal in der Masse.

Joggen statt telefonieren

Er ist jetzt nicht mehr Taxi-Vermittler, Anfang des Jahres hat er aufgehört. Er geht nun mit dem Hund joggen und schläft pro Nacht vier bis sechs Stunden, mit Unterbrechungen. Das reiche ihm, sagt Schmige. Er sieht auch so aus. Er wirkt - nun ja: aufgeweckt.

Und dann erzählt er noch eine zweite Lieblingsgeschichte aus seinem Buch: Ein Mann bestellt ein Taxi. "Wo sind Sie denn?", fragt Hubertus Schmige. Keine Ahnung. "Schauen Sie auf das Straßenschild!" Der Mann läuft die Straße entlang, auf der Suche nach dem Schild. Schmige wartet. Der Mann läuft. Schmige wartet. Der Mann kommt an einem Schild an, endlich, und liest es ab: "Ich bin in der Einbahnstraße."

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Quelle:
SZ vom 21.07.2015
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