Gespaltene Community:Die Saat geht auf

Gespaltene Community: Angst vor Problemen in der Türkei: Onur Altay (Name geändert).

Angst vor Problemen in der Türkei: Onur Altay (Name geändert).

(Foto: Robert Haas)

Viele Deutsch-Türken in München unterstützen den Kurs Erdoğans nicht, doch sie sind vorsichtiger und leiser geworden - zumindest in der Öffentlichkeit

Von Deniz Aykanat

Ein Abend im Herbst in der Evangelischen Stadtakademie. Onur Altay sitzt in der ersten Reihe bei einem Vortrag des Historikers Joseph Croitoru. Altay, 27, ist gebürtiger Münchner. Die Mutter kam in den Siebzigerjahren als Gastarbeiterin nach Deutschland, der Vater 1980, um als Elektroniker seinen Meister zu machen. Der Referent spricht über die Türkei als aufstrebende islamische Großmacht. Altay besucht viele solcher Veranstaltungen. Für einen Politikwissenschaftler ist das normal. Es scheint aber auch, als wolle er sich vergewissern, dass es noch mehr kritische Geister gibt wie ihn, die dem türkischen Präsidenten nicht blind hinterher laufen und jeder Propaganda aufsitzen.

Ein Mann meldet sich, er will etwas fragen, erklärt mit leichtem türkischen Akzent, dass er seit Jahren in München lebe, dass das hier seine Heimat sei. Und dann wird er lauter, er will, dass ihn alle verstehen, als er sagt, dass keiner den Putsch wollte und dass die Hälfte der Türken Recep Tayyip Erdoğan nicht gewählt habe. "Wir haben es euch vor Jahren schon gesagt, dass dieser Erdoğan gefährlich ist!" Altay kennt den Mann vom Sehen. "Ein Vollblut-Kemalist der alten Schule", sagt er und grinst. Es gibt sie also noch, die kritischen Geister.

Am Abend des 15. Juli saß Altay mit seiner Familie vor dem Fernseher. "Als die ersten Bilder vom Putschversuch liefen, haben wir uns minutenlang verwundert angestarrt", erinnert er sich. "Und dann riefen bis 4 Uhr früh abwechselnd meine panische Tante und mein fluchender AKP-Schwager an." AKP-Schwager - in Altays Familie sind die politischen Ansichten so breit gestreut, dass er seinen Verwandten Chiffren verpasst hat: Da gibt es den CHP-Schwager, Anhänger der größten Oppositionspartei, und den Kemalisten-Onkel, die Schwägerin mit dem Gülen-Ehemann und den Nationalisten-Cousin. Er selbst bezeichnet sich als Patrioten und Kemalisten, also als Anhänger des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk.

Gegen Ende der Nacht stellte Altays Vater trocken fest: "Das war doch kein Putsch." Altays Vater hätte viel zu erzählen über die Putschgeschichte der Türkei. Kurz nach dem dritten Putsch im Jahr 1980 verließ er das Land. Zuvor hatte er miterlebt, wie Ultranationalisten und linke Schüler und Studenten brutal aufeinander losgingen. Altays Vater will aber nicht reden - es ist ihm zu gefährlich.

Präsident Erdoğan kündigte, noch während der Putschversuch im Gange war, an, jeden Anhänger des Predigers Fethullah Gülen aufspüren zu wollen, den er für den Umsturzversuch verantwortlich macht. Seither grassiert Denunziantentum. Kollegen, Nachbarn und sogar vermeintliche Freunde schwärzen sich gegenseitig an. Und das nicht nur in der Türkei. Auch in Deutschland reichten sich Türkeistämmige untereinander Listen herum, auf denen Restaurants, Läden und Bildungseinrichtungen von angeblichen Gülen-Anhängern aufgeführt waren. Kritiker der türkischen Regierung wurden angefeindet und bedroht. Erkan Inan, der Kulturveranstaltungen am Münchner Forum für Islam leitet, berichtet von großen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der deutsch-türkischen Community nach dem Putschversuch. Einig seien sich die Menschen aber darin, dass sie gegen einen Putsch sind.

Elif Cindik-Herbrüggen ist Psychiaterin und Psychotherapeutin, eine der wenigen türkischsprachigen in München. In ihrer Praxis in Riem spricht sie täglich mit vielen türkeistämmigen Patienten, viermal pro Woche leitet sie auf Türkisch Gruppentherapien. "Der Putschversuch war natürlich eine Zeit lang Thema. Da sitzt dann das Lager Erdoğan auf der einen Seite des Stuhlkreises und die Gegner auf der anderen Seite. Aber an die Gurgel geht sich keiner." In Köln etwa, wo die kontroverse Groß-Demo für Erdoğan stattfand, aber auch in Berlin sei die deutsch-türkische Community anders strukturiert. "Aber hier gibt es keine Ghetto-Bildung. Türkeistämmige in München sind im Schnitt auch gebildeter und haben mehr Geld." Die Anbindung an Deutschland sei weit größer als in anderen Migranten-Milieus in Deutschland.

"Wie die Erdoğan in der Türkei angehimmelt haben, das war ekelhaft!", platzt es aus Altay heraus, der vor einer Bar an der Landwehrstraße sitzt. Wenn Altay über die Türkei spricht, versucht er erst gar nicht, leise zu sein. Zumindest nicht hier in München. Kurz nach dem Putsch reiste er für mehrere Wochen in seine zweite Heimat, so wie jedes Jahr. Daheim bleiben kam für ihn nicht in Frage. "Die Anschläge vor dem Putschversuch waren doch eigentlich viel krasser." Und überhaupt, er ist es gewohnt, in der Familie in München von Erdoğan-Unterstützern umzingelt zu sein. Redet man da überhaupt noch miteinander? "Klar verstehen wir uns!" Das sei ein normales Diskussionsthema. "Bei Türken geht es immer um zwei Dinge: Politik und Fußball. Darüber wird ständig gestritten."

Viel schwieriger sei es in der Türkei: "Bei meinen Verwandten gilt schon Hinterfragen als Sünde." In der Türkei hielt er sich mit Kritik in der Öffentlichkeit zurück. Doch zuhause bei den Verwandten wurde es hitzig. "Einmal haben wir uns so gestritten, dass mein Onkel mich und meinen Vater rausschmeißen wollte. Aus unserer eigenen Wohnung in Istanbul!"

In München fühlt er sich zwar sicher. Doch seinen richtigen Namen will er trotzdem nicht in der Zeitung lesen. "Was, wenn ich dann in der Türkei Probleme bekomme?" Altay hat nur einen türkischen Pass. "Andersdenkende sind jetzt leiser", sagt auch Gökhan Kaya. Dem 24-Jährigen ist die Lust auf die Türkei vergangen, er blieb diesen Sommer in München. "Ich mache mir Sorgen um meine Verwandten dort. Viele sind politisch engagiert, sind Mitglied in der Gewerkschaft." Auch Kaya heißt in Wirklichkeit anders. Die Saat, die die türkische Regierung mit ihrer "Säuberungswelle" und Denunzianten-Hotlines gesät hat, sie gehe auf. Sie treffe bei vielen Deutsch-Türken auf fruchtbaren Boden, findet Kaya.

Inzwischen ist der Putschversuch in der Türkei fast vier Monate her, trotzdem ist der Theatersaal in der Pasinger Fabrik an diesem Abend Ende Oktober bis auf den letzten Platz besetzt. Auch Altay ist gekommen: Çiğdem Akyol, deutsche Journalistin mit kurdisch-türkischen Wurzeln, liest aus ihrem Buch "Erdoğan - Die Biographie". Dann kommt wieder dieser Moment: ein älterer Herr, feiner türkischer Akzent. Wieder diese Aufregung in der Stimme. Wieder ein Statement: Dass er seit Jahren in München in der Gewerkschaft engagiert sei, dass er sich einiges aufgebaut habe, dass in der Türkei die Islamisierung eingesetzt habe, erzählt er minutenlang. Die Moderatorin versucht, ihn zu unterbrechen, doch er denkt gar nicht ans Aufhören.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: