Geschichte:Münchens Schwimmbäder - ein Quell von Lust, Frust und Sehnsucht

In seinem Buch "Badelust in München & Oberbayern" schildert Karl Stankiewitz die Historie der städtischen Bäder - und das Verhältnis der Münchner zum Wasser.

Von Inga Rahmsdorf

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(Foto: N/A)

In Münchner Bädern liegt stets eine Rebhuhnfeder bereit. Schluckt ein Badegast zu viel Wasser, kitzelt man ihn damit am Gaumen, und ist die Rettungsaktion erfolgreich, erbricht er das Wasser. Zudem dienen ein Fläschchen Salmiakgeist und etwas Tabak zur Wiederbelebung des Verunglückten. Ein gerades und ein krummes Blasrohr zur Beatmung sowie ein weißer wärmender Wollmantel gehören ebenfalls zu dem Notfall-Rettungspaket. Erfreulicherweise ist das keine aktuelle Bestandsaufnahme der Münchner Frei- und Hallenbäder, sondern ein Blick etwa 500 Jahre zurück in die Geschichte. Mindestens fünf Bäder in der Stadt besaßen Ende des 15. Jahrhunderts solche Rettungsutensilien, schreibt Karl Stankiewitz. Der Münchner Journalist und Autor hat der Badelust ein ganzes Buch gewidmet. "Badelust in München & Oberbayern" bietet einen kulturgeschichtlichen Rückblick vom Mittelalter bis heute. Vom Hofbad über das Volksbrausebad bis hin zur Wellness-Oase. Stankiewitz schildert die Entwicklungen rund um das Wasser anhand von kuriosen Anekdoten, Fakten und politischen Debatten, veranschaulicht mit historischen und aktuellen Fotos. (Im Bild: das Ungererbad)

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(Foto: Aus "Badelust in München & Oberbayern")

Das Buch beschränkt sich nicht auf Badeanstalten jeglicher Art, die im Laufe der Jahrhunderte in München geplant, verworfen, errichtet, geschlossen, abgerissen, umgebaut und wiedereröffnet wurden. Stankiewitz widmet auch Flussbädern, Badeseen, Kurbädern und den Menschen im und am Wasser je eigene Kapitel. Zu letzteren zählt der Autor übrigens selbst, er lebt seit fast 80 Jahren an einer Uferstraße der Isar. So ist das Buch auch eine Würdigung des Flusses, der München seit jeher prägt, immer schon Badende angelockt - und auch in den Tod gerissen hat. Die Stadtchronik meldete bereits 1478, dass ein Kaufmann mit seinem Floß und einem Fass Wein untergegangen sei. 1949 ertranken innerhalb von nur sechs Wochen zehn Menschen in der innerstädtischen Isar. (Im Bild: das Germaniabad)

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(Foto: Aus "Badelust in München & Oberbayern")

Das Buch zeigt, dass das Verhältnis der Münchner zum Wasser auch die gesellschaftlichen Entwicklungen spiegelte. Wer wie wo badete, hing mit Mythen und Moralvorstellungen, mit politischen Vorgaben und der Wohnsituation der Städter zusammen. Schon im 15. Jahrhundert tauchten Münchner in Sole- und Schwefelbäder ein, in der Hoffnung, zu genesen. Doch die heilende Kraft des Wassers war damals schon umstritten. Manche befürchteten, dass Warmbäder zu Wassersucht und Schwachsinn führen könnten. Frauen galten als besonders gefährdet: Badeten sie im gleichen Wasser wie zuvor Männer, konnten sie angeblich davon schwanger werden. Um das 19. Jahrhundert, als die ersten städtischen Badeanstalten und Wannenbäder in München errichtet wurden, ging es vor allem darum, die dreckigen Industrie-Arbeiter zur Körperwäsche zu motivieren und für ein wenig Sport zu begeistern. In das heute leer stehende Tröpferlbad am Bavariaring kamen vor hundert Jahren die Bewohner des Westends, um sich im Brause- und Wannenbad zu waschen. Als immer mehr Stadtbewohner eigene Badezimmer bekamen, sank das Interesse an den Badeanstalten. Es war zu umständlich, nur aus hygienischen Gründen ein öffentliches Bad zu besuchen.

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(Foto: N/A)

Das erste Freibad Münchens, das Schyrenbad (im Bild), wurde 1847 eröffnet und existiert bis heute. Ein halbes Jahrhundert später, 1901, errichtete die Stadt für 1,8 Millionen Goldmark im Jugendstil das erste kommunale Hallenbad, das Müller'sche Volksbad. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurden zahlreiche weitere Bäder errichtet. 1953 zählte die Stadt bereits 15 stadteigene Bäder. Doch es ging nicht immer nur aufwärts. Eine Bäder-Flaute mit sinkenden Besucherzahlen in den 1980er-Jahren führte dazu, dass man die bestehenden Bäder für zu eintönig erachtete und sie zunehmend in spaßige Erlebnisbäder oder Wellness-Oasen umwandeln wollte. Heute gehe der Trend wieder zum sportlichen Schwimmen, heißt es bei Stankiewitz. Davon zeugen sicherlich auch die jüngsten Sanierungen der Olympia-Schwimmhalle und des Cosimawellenbads, das am vergangenen Samstag wiedereröffnet hat. Auch die Bade-Begeisterung für die Isar ist ungebrochen. Das Buch greift die aktuelle Diskussion auf, in der Isar ein Flussbad zu errichten, für das sich der Zweite Bürgermeister Josef Schmid (CSU) im Vorwort ausspricht. Selbstverständlich dürfen die Nackerten in einem Bade-Buch über München nicht fehlen. Der erste FKK-Verein in der Stadt hatte sich bereits 1927 gegründet, die Nackten durften sich zunächst nur in kleinen, begrenzten Bereichen aufhalten. CSU-Oberbürgermeister Karl Scharnagl handelte sich 1947 sogar ein Strafverfahren wegen Erregung öffentlicher Ärgernisse ein. Er war im Nacktbadeclub des Nordbads gesehen worden - unbekleidet versteht sich. Doch seit den 1970er-Jahren wollten die Nackten sich nicht mehr hinter Zäunen und Hecken verstecken. Sie rekelten sich ungeniert am Isarufer, planschten unbekleidet durch den Eisbach und sonnten sich in Parkanlagen. Das wiederum gefiel nicht allen im katholischen München. Stankiewitz zitiert den damaligen Sprecher des Katholikenrats damit, dass "diese pendelnden Penisse" ein peinlicher Anblick seien.

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(Foto: Aus "Badelust in München & Oberbayern")

Die ausführlichen Kapitel im zweiten Teil des Buches zu diversen Schwimm-, Erlebnis- und Heilbädern sowie Baggerseen auch im Umland mögen einem Vollständigkeitsanspruch geschuldet sein. Sie geraten mitunter etwas langatmig. Doch wer dem Wasser grundsätzlich zugeneigt ist, der möchte bei der Lektüre umgehend ins trübe Nass des Naturbads Maria Einsiedel eintauchen oder doch zumindest die Füße in der kühlen Isar baumeln lassen. Karl Stankiewitz: Badelust in München & Oberbayern; Edition Buntehunde; Regensburg 2017; 18,90 Euro. (Im Bild: das Prinzregentenbad)

© SZ vom 01.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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