Geschichte:Mehr als das Werk einiger Träumer: Wie es 1918 zur Revolution kam

Kurt Eisner, 1918

Kurt Eisner rief am 7. November 1918 in München die Räterepublik aus und stand als Ministerpräsident und Außenminister an der Spitze einer sozialistischen Mehrheitsregierung.

(Foto: SZ Photo)

Die Spaltung der SPD, brutale Machtkämpfe in München und die Rolle Kurt Eisners: Ein neues Buch erklärt, was dem Sturz der Monarchie vorausging.

Von Wolfgang Görl

Im Januar 1919, knapp ein Jahr nach dem von den Arbeitern der Rüstungsbetriebe im Münchner Norden getragenen Streik für den Frieden, blickt Kurt Eisner, erster Ministerpräsident des Freistaates Bayern und führender Kopf der Novemberrevolution, bei einer Landtagswahlrede zurück: "Die revolutionärste Revolution, das war doch die vom 31. Januar. Damals stand Deutschland auf dem Gipfel seiner militärischen Macht, und wenn es uns damals gelungen wäre, die Massen aufzuregen und aufzurütteln zu jener Volksbewegung, wie sie uns damals schon vorschwebte, dann hätten wir noch einen Frieden haben können, in dem wir nicht auf Gnade und Ungnade dem Gegner ausgeliefert gewesen wären. (...) Hunger und Niederlage als Motive einer Revolution stehen moralisch sehr tief. Deswegen sage ich immer, dass der Streik vom 31. Januar eine noch viel würdigere Revolution geworden wäre als die vom November."

Wenige Wochen später, am 21. Februar, wird Eisner von dem völkisch-nationalistischen Offizier Anton Graf von Arco auf Valley ermordet. Der Machtkampf zwischen den revolutionären und konterrevolutionären Kräften wird härter. Im April ruft der revolutionäre "Zentralrat" die "Baierische Räterepublik" aus, die nach wenigen Tagen von einer kommunistisch dominierten Räteregierung abgelöst wird. Am 1. Mai rücken Reichswehr und Freikorps in München ein und massakrieren jeden, der im Verdacht steht, ein Roter zu sein. Offiziellen Quellen zufolge fallen 557 Menschen dem Terror zum Opfer, neuere Schätzungen sprechen von rund 1200 Toten.

Die Revolution ist in Literatur und Forschung recht gut ausgeleuchtet, nicht ganz so gut erhellt ist die Vorgeschichte. Da kommt ein Buch gerade recht, das soeben unter dem Titel "Der kurze Traum vom Frieden" im Verlag Edition AV erschienen ist. Geschrieben hat es der Autor und Maler Günther Gerstenberg, ein Spezialist für die Münchner Sozialgeschichte, der unter anderem die Webseite protest-muenchen.sub-bavaria.de betreibt.

Im Mittelpunkt des Buches stehen die Auseinandersetzungen innerhalb der Linken um die Frage, ob die Arbeiterbewegung und ihre Parteien die Kriegspolitik des Deutschen Reiches unterstützen sollen, oder ob es mit Blick auf die internationale Solidarität des Proletariats geboten sei, konsequent für den Frieden einzutreten.

Auch eine eindrucksvolle Frau hat ihren Platz in dieser Geschichte

Innerhalb dieser großen Erzählung hat Gerstenberg die Biografie der Revolutionärin Sarah Sonja Lerch eingebettet, eine eindrucksvolle Frau, die an der Seite Kurt Eisners für den Frieden und die Interessen des Proletariats gekämpft hat. Dafür bezahlte sie mit dem Leben: Sonja Lerch hat sich während ihrer Untersuchungshaft am 29. März 1919 in der Isolierzelle des Gefängnisses Stadelheim das Leben genommen. So hat es jedenfalls den Anschein, denn gründlich untersucht haben die Behörden die Todesursache seinerzeit nicht.

Die 1882 als Tochter jüdischer Eltern in Warschau geborene Sonja Sarah Rabinowitz - sie heiratete Ende 1912 den Romanisten Eugen Lerch - ist heute fast vergessen. Und so ist es höchst verdienstvoll, dass Gerstenberg und seine Co-Autorin Cornelia Naumann an diese erstaunliche Frau erinnern.

Verdienstvoll ist aber auch Gerstenbergs akribische Rekonstruktion des mit aller Härte ausgetragenen Konflikts innerhalb der Münchner Arbeiterbewegung, der die SPD spaltete und im Frühjahr 1919 zur völligen Niederlage der Linken führte, die das Erstarken nationalistischer Kräfte im Bayern der Zwanzigerjahre erleichterte und den Boden für Hitler bereitete.

Am 1. August 1914 erklärte das deutsche Kaiserreich Russland den Krieg. Die Kriegserklärung an Frankreich erfolgte zwei Tage später, und am 4. August marschierten deutsche Truppen völkerrechtswidrig ins neutrale Belgien ein, woraufhin Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg erklärte. Am selben Tag stimmte die SPD-Reichstagsfraktion für die Kriegskredite.

Der Parteivorsitzende Hugo Haase, der eigentlich größte Bedenken hatte, bekundete in seiner Rede: "Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich." Damit machten sich die Sozialdemokraten die Propaganda der Reichsregierung zu eigen, wonach die friedliebenden Deutschen von kriegslüsternen Feinden angegriffen würden.

Die Mehrheit der bayerischen und der Münchner Sozialdemokraten, allen voran der Landtagsabgeordnete und SPD-Landessekretär Erhard Auer, entdeckte den Patrioten in sich und unterstützte die Burgfriedenspolitik. Angesichts der zu erwartenden Eroberungen, von denen die Militärs sowie die Wittelsbacher Herrscher faselten, dachten "nicht wenige Münchner Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionäre, dass, wenn es dem Reich gut geht, es auch den deutschen Unternehmern gut gehen wird und damit im Endeffekt auch den Arbeitern", schreibt Gerstenberg.

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