Gescheitertes Modellprojekt:Abschied von der Ganztagsschule

Eine Ablage für Schultaschen in der Grundschule an der Helmholtzstraße 6.

Gescheitertes Pilotprojekt: die Grundschule Helmholtzstraße.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Zu wenig Geld, ständig wechselndes Personal und schlechtes Essen: Der Münchner Kreisjugendring verabschiedet sich vom Modellprojekt Ganztagsgrundschule - und schlägt den Eltern zugleich eine bessere Alternative vor.

Von Melanie Staudinger

Nach zwei Jahren hat der Kreisjugendring (KJR) München-Stadt genug: Er steigt aus der Ganztagsbetreuung von Grundschülern aus. Fehlende Räume, unzulängliche Öffnungszeiten und eine chronische Unterfinanzierung erschwerten eine pädagogisch sinnvolle Arbeit im sogenannten gebundenen Ganztag erheblich.

Eigentlich sollten sich dort Lern- und Erholungsphasen am Vormittag und Nachmittag abwechseln - was aus Sicht des KJRs nicht funktioniert. Die Organisation empfiehlt Eltern die klassische Halbtagsschule plus Hort oder Tagesheim als die derzeit bessere Alternative. Gebundene Ganztagsklassen müssten hingegen dringend reformiert werden, fordert KJR-Geschäftsführer Franz Schnitzlbaumer.

Der KJR ist die Dachorganisation aller Jugendverbände in München. Im September 2012 startete er seine Zusammenarbeit mit der Grundschule an der Helmholtzstraße im Arnulfpark. Für den KJR, der seit Mitte der Neunzigerjahre Träger von Kitas, Horten und der offenen Nachmittagsbetreuung vor allem an Mittelschulen ist, war das ein Novum. "Wir standen dem Konzept des gebundenen Ganztags kritisch gegenüber, dachten aber, unter diesen Bedingungen könnte es klappen", sagt Schnitzlbaumer. Als ideale Voraussetzung bezeichnet er, dass die Einrichtung im Arnulfpark neu eröffnet habe, mit einer hoch motivierten Schulleiterin und einem jungen, engagiertem Team.

Überforderte Grundschulkinder?

Doch das Modellprojekt scheiterte. Nicht am Kollegium, wie Schnitzlbaumer betont, sondern an der Struktur der gebundenen Form des Ganztags. Zum Ende dieses Schuljahres wird sich der KJR zurückziehen. Einen leisen Abschied aber wird es nicht geben. Vielmehr hat die Organisation in einem Positionspapier nun öffentlich dargelegt, warum das System, das Kultusministerium und Stadt als Garanten für die Chancengleichheit im Bildungssystem feiern, in der Praxis kaum funktioniert.

Zum einen kritisiert der KJR die finanzielle Ausstattung der Ganztagsklassen. Während die zwölf zusätzlichen Lehrerstunden vom Freistaat gerade noch ausreichten, sei das Geld, das die Schulleiter für externe Partner aus den Bereichen Sozialpädagogik, Sport, Umweltpädagogik oder Kultur bekommen, zu gering. Dafür sehe das Kultusministerium etwa in der dritten Klasse 6000 Euro pro Jahr vor. Mehr Lehrer, weniger Erzieher - das bedeute für die Kinder aber auch mehr Schulbildung und weniger Freizeitgestaltung.

Der Kreisjugendring geht aber noch weiter: Der magere Zuschuss erschwere eine dauerhafte Erziehungsarbeit. Gut ausgebildetes Fachpersonal lasse sich mit der geringen Summe nicht einstellen. "Möglich ist damit nur der Einsatz von Honorarkräften und geringfügig beschäftigten Mitarbeitern, die häufig wechseln, sobald sie ein besser bezahltes und/oder dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis gefunden haben", schreibt der KJR. So seien die Kinder mit einer Vielzahl von Betreuungspersonen konfrontiert, was sie gerade im Grundschulalter überfordere.

Ungeeignete Räume

Als weiteren Punkt kritisiert die Organisation in ihrem Schreiben die generell ungeeigneten Räume in vielen Schulen. Kinder bräuchten für ihre Entwicklung offene Zimmer, die sie selbst gestalten könnten, und nicht nur Klassenräume, die einen Erfolgszwang symbolisierten. Die zentrale Forderung hier: "Kein Kind soll den Ganztag im Klassenzimmer verbringen." In einem Hort sei das anders. Als problematisch sehen die Experten auch, dass in der Schule keine Esskultur vermittelt werde - der Mittagstisch sei zu sehr an der Nahrungsaufnahme und viel zu wenig am gesunden und gemeinschaftlichen Essen ausgerichtet. Außerdem sei der Schulschluss für berufstätige Eltern problematisch: Von montags bis donnerstags gingen die Kinder zwischen 15.30 und 16 Uhr, freitags meist schon mittags nach Hause. In den Ferien fehle oftmals ein Angebot ganz. Für diese Randzeiten und unterrichtsfreie Tage würden dann wiederum Kooperationspartner gesucht - die Kinder bekämen noch mehr Betreuungskräfte.

Das Fazit des KJR ist eindeutig: Auch wenn ein Hort im Gegensatz zur Ganztagsschule Geld kostet, stelle er derzeit die bessere Alternative da. "Das finden wir schade, weil der Grundgedanke des rhythmisierenden Unterrichts in der gebundenen Ganztagsschule gut ist", sagt Schnitzlbaumer. Mit dem Brief hoffe der KJR daher, ein politisches Signal zu setzen: "Das Wirrwarr an unterschiedlichen Zuständigkeiten und Bedingungen muss endlich ein Ende haben." Indirekt bedeutet das auch: Der Freistaat, der für Bildung generell zuständig ist, und die Stadt, die als Sachaufwandsträgerin für den Ausbau der Schulen verantwortlich ist, müssen aus Sicht des KJR noch deutlich mehr Geld investieren.

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