Literatur:Herrscherin des Gottesackers

Literatur: Christiane Tramitz wuchs selber in einem kleinen oberbayerischen Dorf auf.

Christiane Tramitz wuchs selber in einem kleinen oberbayerischen Dorf auf.

(Foto: Fotostudio Charlottenburg)

Die Bestsellerautorin Christiane Tramitz erzählt in "Der Geruch von Erde" die Geschichte der Totengräberin Rosa Wegscheider.

Von Florian Welle

"Angst, ich hab keine Angst, nicht vorm Aufhören, weil ich nicht aufhöre!" Rosa Wegscheider war die unbestrittene Königin des Waginger Friedhofs. Denn wirklich aufgehört zu arbeiten hat die resolute Frau tatsächlich nie. Nicht mit 70 Jahren, mit 80 Jahren, mit 90 Jahren. Wäre sie nicht voriges Jahr mit über 90 gestorben, hätte sie wohl im kommenden Dezember ihr Dienstjubiläum zum 70-Jährigen als einzige Totengräberin Deutschlands gefeiert.

"Der Geruch von Erde" heißt das Buch von Christiane Tramitz, in dem die Bestsellerautorin das "einfache reiche Leben" von Rosa Wegscheider erzählt und uns eine außergewöhnliche Frau vorstellt, auf die das Wort Persönlichkeit wirklich zutrifft. Die Totengräberin, die sich mit den Jahren zu einer erfolgreichen Bestattungsunternehmerin hocharbeitete, war sicher kein einfacher Mensch, verstand sich als "Chefin, gestern, heute und morgen". Sie konnte ebenso eigensinnig und stur sein, wie sie ihr Leben lang bescheiden und fleißig war. Fleiß stand in ihrem Wertesystem an erster Stelle.

Das Buch nimmt sich sicher ein paar Freiheiten heraus, spitzt zu. Letztlich basiert es aber auf Gesprächen, die Tramitz noch zu Lebzeiten unter anderem mit Rosa selbst, deren Tochter, dem Schwiegersohn Max und dem Neffen Gustl geführt hat. Gustl, der im Buch Wastl heißt, schuftete jahrzehntelang für das Familienunternehmen Seite an Seite mit der Wegscheiderin und lieferte zahlreiche Anekdoten, die ihresgleichen suchen und erheblich zum Lesevergnügen beitragen.

Ihr zu widersprechen, war nahezu aussichtslos

So kam es immer wieder vor, dass Touristen, die während des Urlaubs in Waging am See gestorben waren, überführt werden mussten. Beispielsweise nach Berlin. Bei der Gelegenheit wollte Wastl auch einmal die Stadt sehen, was ihm von Rosa mit dem Argument verwehrt wurde, man kenne Berlin doch zur Genüge aus dem Fernsehen. Genauso irrwitzig: Angeblich wusste sie, dass ihrem einstigen Nachbarn der "Zeppelin Hindenburg" gehört hatte. Einwände, dieser sei doch lediglich einmal mitgeflogen, wehrte sie mit der bauernschlauen Nachfrage ab: "Warst etwa dabei?"

Die vielen Geschichten, die die biografische Nacherzählung von Rosas Leben auflockern, machen klar: Ihr zu widersprechen, war nahezu aussichtslos. Entweder sie wusste es besser, grantelte einfach weiter oder stellte auf Durchzug. Es ist ein ehrliches Buch, das nichts beschönigt und gerade deshalb eine verdiente Hommage an eine Frau, die ihren Weg gegangen ist.

"Der Geruch von Erde" ist auch die Geschichte einer Emanzipation. Rosa wächst auf dem Zözenhof in entbehrungsreichen Verhältnissen auf. Die Männer erlebt sie als stark, die Frauen, allen voran ihre weinerliche Mutter, als schwach. Die tiefgläubige Rosa will anders sein und ist anders. Sie ist für den Vater, einen Viehhändler, die größte Hilfe, was diesen dazu veranlasst, ihr nur noch mehr Arbeit aufzuhalsen. Sie steht barfuß im Stall und auf dem Feld, treibt bei Wind und Wetter das Vieh zusammen. Lektionen, die sie hart gegen sich und später gegen ihre eigene Tochter machen.

Mit zunehmender Lebenserfahrung merkt sie, dass sehr viele Männer nichts taugen

Mit zunehmender Lebenserfahrung merkt sie, dass sehr viele Männer nichts taugen und diese in Wahrheit das schwache Geschlecht sind. Wie ein roter Faden ziehen sich Sprüche durch das Buch wie "Geht mir weiter mit den Männern, die sind nix wert" und "die meisten taugen nichts, können nicht arbeiten. So wie wir Frauen". Eine Ausnahme gab es aber dann doch: Rosas fröhlichen Mann Anderl.

Den 17 Jahre Älteren vom Ödhof bewunderte sie schon als Kind. Als er nach sechs Jahren aus dem Zweiten Weltkrieg heimkam, verliebte sie sich in ihn, 1948 wurde gegen alle Widerstände geheiratet. Die beiden kämpften um ihre Zukunft, bis man ihnen Anfang der Fünfzigerjahre die Stelle des ständig betrunkenen Totengräbers antrug. Ihre Chance, die sie nutzten. Holten sie anfangs die Toten noch mit dem Handkarren ab, können sie sich später immer größere Autos leisten. Und als Anderl aufgrund seiner erlittenen Kriegsverletzungen im Laufe der Jahre schwächer wird, wird Rosa mit ihrem geblümten Arbeitskittel und den Gummistiefeln "alleinige Herrscherin über den Gottesacker".

Christiane Tramitz, "Der Geruch von Erde. Das einfache reiche Leben der Totengräberin von Waging", Ludwig Verlag, München 2022. 256 Seiten. 22 Euro.

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