Gern:Zeitlos gutes "Satanswerk"

Nach 45 Jahren kehrt Jesus Christ Superstar in die Christuskirche zurück, am Sonntag wird das Musical dort aufgeführt. Mit anonymen Drohungen und Polizeieinsätzen wie bei der Erstaufführung 1974 ist nicht zu rechnen, dabei ist die Rock-Oper noch immer hochaktuell

Von Jutta Czeguhn

Der Garten von Gethsemane ist kein friedlicher Ort. Gruppendynamisch ist das letzte Abendmahl ein Desaster, alle unterdrückten Emotionen kochen nun über. Jesus knallt den entsetzten Jüngern vor die Füße, was gleich geschehen wird: Petrus wird mich verleugnen, drei Mal. Und einer von euch wird mich verraten. Showdown zwischen Jesus und Judas, die sich näher sind als alle anderen. Jetzt werden Wunden gerissen. Judas sieht das gemeinsame Projekt auf eine Katastrophe zusteuern. Maßlos sind Enttäuschung und Wut, weil ihn der geliebte Freund dabei mit eiskalter Härte zu seinem Werkzeug macht. "Verschwinde, sie warten schon auf Dich!", scheucht ihn Jesus davon, in Verleugnung all seiner Gefühle, denn er selbst ist mutlos und leidet bis zur Verzweiflung an der ihm auferlegten Mission. Er weiß, Judas und er, sie werden sich nicht mehr wiedersehen.

Gern: Marco Toth (rechts) singt den Judas.

Marco Toth (rechts) singt den Judas.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Es ist klamm in der Neuhauser Christuskirche an diesem Probennachmittag, und doch fühlt man, dass es Schweißarbeit ist, die da gerade auf der Bühne passiert. Die Gethsemane-Szene aus der Rockoper "Jesus Christ Superstar" verlangt den Akteuren alles ab, auch wenn die gar nicht aussingen. Es ist diese emotionale Hochspannung zwischen den Figuren, die die Musik von Andrew Lloyd Webber und der Text von Tim Rice transportieren. Auch knapp 50 Jahre nach Entstehung des Musicals funktioniert das erstaunlich gut. Marco Toth, der den Judas singt, und Jesus Julian Schier wirken erschöpft nach dieser kraftraubenden Szene. "Kurze Pause!", ruft Regisseur Manuel Dengler. Er und die meisten der Solisten, die an dieser halb-szenischen, in Originalsprache gesungenen Produktion der Rockoper arbeiten, sind noch keine dreißig. Seltsam fern muss ihnen das Jahr 1974 erscheinen, als in der Christuskirche am Dom-Pedro-Platz schon einmal geprobt wurde für eine Aufführung von Jesus Christ Superstar. Es war das erste Mal, dass das Rock-Oratorium in München auf die Bühne kam. Und es war ein Skandal, eine Zerreißprobe für die evangelisch-lutherische Gemeinde. Nach 45 Jahren kehrt Jesus Christ Superstar nun in die Christuskirche zurück. Für eine einzige Vorstellung am kommenden Sonntag, 24. Februar.

Gern: "Was ist Wahrheit?",fragt Sophie Mefanals Pilatus Jesus (im Hintergrund Julian Schier).

"Was ist Wahrheit?",fragt Sophie Mefanals Pilatus Jesus (im Hintergrund Julian Schier).

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Motor hinter dem Projekt damals war Kantor und Organist Christian Kabitz, 23 Jahre jung. Heute lebt er in Heidelberg und ist viel unterwegs mit dem dortigen Bach-Chor oder dem Cäcilien-Chor Frankfurt. Durch die katholische Jugend in Penzberg war er auf das Werk gestoßen. "Ich fand die Musik toll und natürlich für meinen sehr jungen Chor an der Christuskirche eine spannende Aufgabe!" In der Münchner Presse von damals kann man nachlesen, wie spannend die Sache wirklich wurde. Mit einer gewissen Lust am innerkirchlichen Zoff hat sie den Konflikt um das "jugendgefährdende Satanswerk" begleitet. "Judas ist an allem schuld" titelt am 19. Februar 1974 die AZ und zitiert bibeltreue Theologen, die die Entweihung der Kirche befürchten. Doch kommt auch Martin Bogdahn zu Wort, damals einer von vier Pfarrern der Christuskirche. Er gehört zu jenen, die das Projekt damals vehement verteidigt haben.

Gern: Regisseur Manuel Dengler hat die Rolle des Prokurators mit einer Frau besetzt.

Regisseur Manuel Dengler hat die Rolle des Prokurators mit einer Frau besetzt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Martin Bogdahn, von 1967 bis 1978 Pfarrer an der Christuskirche und heute Oberkirchenrat im Ruhestand, hat für die Gemeindemitglieder seine noch sehr lebendigen Erinnerungen an die spannenden Wochen im Februar/März 1974 niedergeschrieben. Während sich das Projekt wie ein Lauffeuer bei den Rock-Fans in der Stadt herumspricht, und im Pfarramt die Telefondrähte wegen der vielen Kartenwünsche glühen, mehren sich bei den Älteren in der Gemeinde die Bedenken: "Darf man die Passion Christi in Form einer seichten Rockoper darbieten, wo doch Johann Sebastian Bach diese Bibeltexte so großartig vertont hat? Und darf ein solches Machwerk aus der Unterhaltungsmusik in einem Kirchenraum erklingen?" Der junge Pfarrer merkt, dass es nicht um die Musik geht, sondern dass das Werk nur der Katalysator ist für einen theologischen Richtungsstreit in seiner Gemeinde, der schon lange schwelt. Die Anhänger einer evangelikal-konservativen Kirche und die Vertreter einer weltoffenen Theologie stehen sich scheinbar unversöhnlich gegenüber.

Jesus Christ Superstar 1974

Unbezahlbare Werbung: Der Proteststurm gegen die Aufführung habe die Kartennachfrage immens gesteigert, sagt der damalige Organist der Christuskirche, Christian Kabitz, der 1974 auch selbst mitspielte (am Keyboard).

(Foto: Privat)

Und das Musical-Projekt steht auf der Kippe. Bogdahn berichtet von einer Sondersitzung des Kirchenvorstands, diesmal geht es nicht um Heizkosten oder reparaturbedürftige Dachrinnen. Über Stunden diskutieren die Mitglieder über das Verständnis von Wahrheit, über ihr Christusbild. Am Ende dieses Ringens steht ein einstimmiger Beschluss. Die Aufführung darf stattfinden. Mit der Auflage, dass es eine erläuternde Einführung geben soll.

Die Entscheidung des Kirchenvorstands löst dann - heute würde man sagen - einen Shitstorm aus, der laut Bogdahn "in manchem Formen einer Hexenjagd annahm". Die Gemeinde bekommt anonyme Drohungen, gewaltsam soll das Konzert verhindert werden. Die Gemeinde fordert Polizeischutz an. Dann kommt der Tag der Aufführung von Jesus Christ Superstar, mit mehr als 1300 Menschen ist die Kirche heillos überfüllt, viele werden abgewiesen. Die Besucher müssen an einer Phalanx von Protestlern vorbei, die ihnen Flugblätter in die Hand drücken. Ansonsten aber bleibt alles ruhig, die Besucher erleben einen intensiven Abend, hernach wird diskutiert. Wohl gerade deshalb muss Mitakteur Christian Kabitz einräumen: "Mir fehlen komplett alle Erinnerungen an das musikalische Geschehen, es muss aber toll gewesen sein!" Denn statt der angekündigten einen Aufführung habe es dann gleich eine zweite tags darauf gegeben. "Die Werbung, die die Protestler gemacht haben, war unbezahlbar", scheint ihm heute.

Revoluzzer-Rabbi

"Jesus Christ Superstar" erscheint 1970 zunächst als Konzept-Album, mit Deep-Purple-Sänger Ian Gillan als Jesus und Murray Head als Judas. Komponist Andrew Lloyd Webber, 23, und sein Librettist Tim Rice, 26, haben offenbar den Nerv der Zeit getroffen. Woodstock liegt gerade ein Jahre zurück, für einen höllisch attraktiven, sensiblen Revoluzzer-Rabbi namens Jesus, der sich mit dem Establishment anlegt, gibt es in der Ära der Studenten-Unruhen, der Hippie- und Bürgerrechtsbewegung ausreichend Resonanzboden. Und musikalisch liefert das Duo Lloyd Webber/Rice schon damals jenen unwiderstehlichen Mix aus triefendem Pathos, Persiflage und zarter Poesie, aus Bombast-Rock, lässigem Funk und Ohrwurmballaden. Binnen kurzem verkauft sich die Platte mehr als drei Millionen Mal. Nach ungeheuer erfolgreichen Konzerttouren in den USA ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Passionsgeschichte nach Lloyd Webber/Rice auf die Bühne kommt. Londons Westend-Theater scharren gierig, haben jedoch das Nachsehen: Im Oktober 1971 wird das Werk im Mark Hellinger Theater in New York uraufgeführt.

Die Theaterkritiker fallen über die Produktion ebenso her wie religiöse Aktivisten, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Die Zeitungen nennen "die Musik banal, die Songtexte infantil, die Inszenierung vulgär". Christliche Gruppierungen verdammen das Werk, weil sie eine nicht ausschließlich keusche Beziehung zwischen Jesus and Maria Magdalena zumindest angedeutet sehen und es überhaupt als Sakrileg empfinden, dass Judas der eigentliche Held der Geschichte ist. Und von jüdischer Seite gibt es Vorwürfe gegen die Show, die sich durch stereotype Darstellungen von Judas, Kaiphas und Herodes in keiner Weise vom christlichen Antisemitismus distanziere.

Kritik und Proteste begleiten die Rockoper auch noch die folgenden Jahre, ihr Welterfolg allerdings ist nicht aufzuhalten. Die Verfilmung durch Norman Jewison 1973 trägt noch einiges zum Kult bei. Und irgendwann beginnt selbst Radio Vatikan, die "Jesus- Christ"-Musik zu spielen, auch wenn der offizielle Bann Roms erst 1999 aufgehoben wird. In Deutschland singt Reiner Schöne 1972 die Titelrolle in der deutschen Uraufführung, ausgerechnet im erzkatholischen Münster. Die Bundesrepublik, so unkt der Spiegel nach erfolgreichsten Premieren in Münster, Hamburg und Berlin, werde der Heiland nun zum "Show-Business-Star". Für Lloyd Webber und Rice ist das Musical in der Tat ein Riesengeschäft. Premiere in München ist am 17. März 1974 in der Christuskirche. Zuletzt konnte man "Jesus Christ Superstar" 2018 am Gärtnerplatz sehen. Jutta Czeguhn

Am kommenden Sonntag will Christian Kabitz unbedingt dabei sein. "Wenn man heute auf den Text schaut, ist der eigentlich völlig unanstößig, und die Fragen, die die Gestalt des Judas aufwirft, sind hochaktuell." Auch für die Generation von Judas-Darsteller Marco Toth. Der Absolvent der Bayerischen Theaterakademie August Everding spielt nicht zum ersten Mal in der Rock-Oper, dennoch hat er als Vorbereitung für seine Rolle noch einmal das Markus-Evangelium studiert. Den Skandal von damals kann der junge Sänger nachvollziehen. "Die ganze Grundlagenforschung über die Figuren kam ja erst viel, viel später. Kann Judas ein Verräter sein, wenn er im Prinzip nur Gottes Plan ausführt?" Judas und all die anderen seien bei Lloyd Webber und Rice sehr menschlich dargestellt. Und die Musik - Marco Toth hat sehr viel zu singen - sei großartig.

"Ich glaube, dass er sehr viel Sympathie für Jesus hat, die er aber nicht zulassen kann, wegen der äußeren Zwänge", sagt Sophie Mefan. Die Sängerin und Tänzerin, Jahrgang 1995, spricht über Pontius Pilatus, ihren Part. Regisseur Manuel Dengler hat die Rolle des römischen Statthalters mit einer Frau besetzt. "Mir fiel auf, es gibt keine Frauenrollen in diesem Stück außer Maria Magdalena", sagt er. Für ihn geht es in der Geschichte aber eigentlich nicht um Geschlechterrollen, sondern um Machtverhältnisse, um Energien, die gegeneinander spielen. "Das wollte ich auf heute übertragen". Er habe sogar überlegt, Judas mit einer Frau zu besetzen.

Weil nur zwei Wochen für die Proben angesetzt sind, ist das Arbeiten intensiv. "Das ist sehr wenig Zeit, um eine gewisse Tiefe, gerade bei so einem Stück, zu erreichen" sagt Manuel Dengler. Umso schöner sei es, mit dem Chor der Christuskirche, gläubigen Menschen, zusammenzuarbeiten. "Den emotionalen Subtext zu finden, fällt in diesem Rahmen wahnsinnig leicht." Chorleiter Andreas Hantke war es, der die Idee hatte, das Werk noch einmal in die Christuskirche zu bringen. Das Konzept-Album (1970) mit dem Deep-Purple-Sänger Ian Gillan als Jesus sei für ihn eine prägende Hörerfahrung gewesen. Eigentlich wollte Hantke die Rock-Oper schon 2014, also 40 Jahre nach der umstrittenen Aufführung, zurück in die Christuskirche holen. Nicht etwa innerkirchliche Querelen haben das Projekt verzögert, es gab schlicht Probleme mit den Aufführungsrechten. An diesem Probennachmittag sitzt der erfahrene Kirchenmusiker und Komponist in der kalten Kirchenbank, um den Solisten zuzuhören. Er ist gespannt, wie die Rockoper im Kirchenraum wirken wird. Für den Abend ist die Probe mit allen Akteuren angesetzt, den Solisten, dem Chor und dem Seraphin-Ensemble unter Orchesterleiter Winfried Grabe. "Probenpause bis 20 Uhr!", ruft Regisseur Dengler. Jesus und Judas, die für die Dauer der Produktion zusammen wohnen, beschließen, nach Hause zu fahren und Spaghetti zu kochen. Auch Petrus ist eingeladen.

"Jesus Christ Superstar", 24. Februar, 20 Uhr, Christuskirche am Dom-Pedro-Platz, Restkarten unter www.muenchenticket.de.

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