Süddeutsche Zeitung

Gerichtsurteil:Mann springt vor S-Bahn - Lokführer erhält keinen Schadenersatz

  • Vor fast sieben Jahren ist ein Mann auf die Gleise vor einer Münchner S-Bahn gesprungen. Er wurde leicht verletzt.
  • Der Lokführer verlangte Schadenersatz von dem Mann, weil er wegen Angstzuständen in Frührente musste.
  • Das Oberlandesgericht München hat nun entschieden, dass der Lokführer kein Geld bekommt.

Von Stephan Handel

Ein Lokführer der Münchner S-Bahn bekommt keinen Schadenersatz von einem Mann, der in Suizidabsicht vor seinen Zug gesprungen ist. Das Oberlandesgericht (OLG) hob ein anderslautendes Urteil des Landgerichts auf. Der Lokführer war nach dem Vorfall frühverrentet worden und wollte mit seiner Klage dadurch entstandene Einkommensverluste geltend machen.

Es war am 18. Oktober 2011, kurz vor 10 Uhr, als der Lokführer mit seiner Bahn der Linie 6 in den Bahnhof Gauting einfuhr. Vor dem Zug sprang ein Mann auf die Gleise - er blieb aber am Bahnsteig hängen und wurde nur leicht verletzt. Der Lokführer leitete zwar eine Notbremsung ein, trotzdem wäre der Mann aller Wahrscheinlichkeit nach tot gewesen, hätte ihn der Zug überrollt.

Nach dem Vorfall, so trägt der Lokführer in seiner Klage vor, sei er nicht mehr arbeitsfähig gewesen: Eine posttraumatische Belastungsstörung und Angstzustände machten ihm die Berufsausübung unmöglich. Er wurde zwei Jahre lang psychotherapeutisch behandelt - weil der Erfolg aber ausblieb, wurde er Mitte 2014 verrentet. Für den daraus entstandenen Schaden wollte er den Verursacher haftbar machen.

Dies gelang jedoch nicht: Der Mann litt zum Zeitpunkt des Suizidversuchs an einer psychischen Erkrankung. Und da heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), wer "im Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit" einen Schaden verursache, sei für diesen Schaden nicht verantwortlich, kann also auch nicht haftbar gemacht werden.

Das Landgericht, das dem Lokführer recht gegeben hatte, behalf sich mit einem rechtlichen Trick: Ein Schadenersatz kann nämlich auch bei Schuldunfähigkeit in Betracht kommen, wenn der Verursacher über genügend Geld verfügt, wenn es also zwischen Schädiger und Geschädigtem ein "wirtschaftliches Gefälle" gibt. Der verhinderte Selbstmörder war und ist zwar mehr oder weniger mittellos - er verfügt jedoch über eine freiwillige Haftpflichtversicherung. Und diese wollte das Landgericht heranziehen, um dem Lokführer zu seinem Geld zu verhelfen.

Das aber geht nicht, sagt das OLG jetzt. Die Haftpflichtversicherung sei nämlich kein Bestandteil des Vermögens des Schädigers. Der Anspruch des Geschädigten bestehe aber nur gegenüber dem Schädiger, nicht gegenüber der Versicherung. Diese hatte sich geweigert zu bezahlen, eben weil ihr Kunde ja schuldunfähig war, als er vor den Zug sprang. Soweit korrekt, sagt das OLG im Urteil, und deshalb: Kein Geld für den Lokführer.

Aus der Urteilsbegründung des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts spricht durchaus Bedauern: Das Gericht verkenne nicht, heißt es dort, "dass Zugführer besonders unter der Gefahr leiden, dass potenzielle Selbstmörder ihnen vor den Zug springen und auch Erstere dabei unfallabhängige Gesundheitsschäden erleiden. Dieses gesamtgesellschaftliche Problem ist jedoch nicht im Verhältnis der Parteien zu berücksichtigen".

Das bedeutet: Das Risiko, als Lokführer mit einem Suizidversuch konfrontiert zu sein, existiere zwar - die Rechtslage lasse aber in diesem einzelnen Fall keine andere Entscheidung zu. (AZ: 13 U 3421/17)

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SZ vom 09.08.2018/ebri
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