Gericht verurteilt Boulevardzeitung:Haarscharf daneben

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Durch eine Schlagzeile "zum Tagelöhner ohne festen Job gemacht": Sportjournalist Wolfgang Nadvornik.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Eine Münchner Boulevardzeitung schreibt über einen "Haftbefehl" gegen den BR-Sportreporter Nadvornik, der Mann ist seither praktisch arbeitslos. Nun wurde die Zeitung wegen der verkürzenden Schlagzeile zu Schmerzensgeld und Schadensersatz verurteilt.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Einen Knüller auf den Punkt bringen - das ist der Sinn von Schlagzeilen auf den Titelblättern der Boulevardzeitungen. Juristische Feinheiten dürfen trotzdem nicht auf der Strecke bleiben, hat nun die Pressekammer des Landgerichts München I unterstrichen. Sie verurteilte ein Münchner Blatt dazu, 9000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz an den Sportmoderator Wolfgang Nadvornik zu bezahlen.

Die Gazette hatte über einen "Haftbefehl" gegen den früheren BR-Journalisten geschrieben und nach Meinung des Gerichts so den Eindruck erweckt, er stehe unter dem Verdacht einer schweren Straftat. Nadvornik ist seither praktisch arbeitslos.

Aus strafrechtlicher Sicht war es damals nur um eine Petitesse gegangen: Der führerscheinlose Nadvornik hatte nicht nur unerlaubt am Steuer eines Autos gesessen, sondern mit dem Handy am Ohr auch noch eine Polizeistreife auf sich aufmerksam gemacht. Dafür sollte er sich vor einem Amtsrichter verantworten.

Da der Journalist just zum Zeitpunkt der Verhandlung eine Live-Sendung moderieren sollte, hatte er seinen Verteidiger Lutz Libbertz gebeten, um eine Verlegung des Termins zu ersuchen. Das tat die Büroleiterin des Anwalts kurz vor der Verhandlung und löste damit beim Richter höchsten Ärger aus: Er soll am Telefon angedroht haben, Nadvornik per Vorführhaftbefehl zum nächsten Sitzungstermin bringen zu lassen.

Dies erzählte die Anwaltsangestellte brühwarm einem Boulevardreporter. Prompt erschien am nächsten Tag die "Haftbefehl"-Schlagzeile samt Foto von Nadvornik auf der Titelseite. Dass es sich aber nur um einen Sicherungs- und nicht den sehr viel schwerer wiegenden Untersuchungshaftbefehl handelt, erfuhr der Leser erst bei genauerer Lektüre des Artikels - nach Ansicht der Pressekammer zu spät.

Eindruck einer "steckbriefgleichen Fahndung"

Das Landgericht hatte für seine Beurteilung des Falls den Kiosk-Leser ins Auge gefasst. Also Passanten, der aus einiger Entfernung nur die fette Schlagzeile und ein Foto wahrnehmen kann. Und der müsse beim Stichwort "Haftbefehl" hier den Eindruck einer "steckbriefgleichen Fahndung" gewinnen.

Angesichts dieser Prangerwirkung könne sich die Zeitung nicht mehr auf ihr Recht zur verkürzenden Betitelung ihrer Berichterstattung berufen.

Natürlich durfte grundsätzlich über die für den damals sehr bekannten Sportmoderator "in höchster Weise abträgliche Nachrichtenlage" berichtet werden, sagt das Gericht. Zumal die Kanzlei von Nadvorniks Anwalt diese Berichterstattung lanciert habe. Das sei eine privilegierte Quelle, so dass der Reporter nicht zwingend weitere Recherchen anstellen musste.

Die Kammer spricht dabei die Vermutung aus, dass solche Mitteilungen "ständiger werbender Praxis" entsprochen haben dürften. Immerhin hätten in dem Prozess mehrere Zeugen bestätigt, dass es regelmäßig inszenierte Berichterstattungen gegeben habe.

Also nur wegen der Schlagzeile sprach das Gericht Nadvornik 5000 Euro Schmerzensgeld zu. Dazu weitere 4000 Euro, weil dieser Artikel trotz einer strafbewehrten Unterlassungserklärung später noch an einen Interessenten herausgegeben worden war.

Der Sportjournalist hatte ursprünglich 220.000 Euro gefordert. Ihm war es darum gegangen, durch die hohe Klageforderung den Gerichtsreporter zum Sprechen zu bringen und die Anwaltskanzlei mit in den Prozess zu ziehen, um so Material für die eigentliche Schadensersatzklage zu gewinnen, die er demnächst gegen Libbertz einreichen will. Offen ist noch, ob die Boulevardzeitung Berufung gegen das am Mittwoch verkündete Urteil einlegen wird.

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