Gericht:Prozess um Wiesn-Messerattacke: Zeuge noch im Gerichtssaal festgenommen

Oktoberfest 2011 - Last Day

Vor dem Käferzelt kam es zur Auseinandersetzung zwischen dem Lastwagenfahrer und der Angeklagten.

(Foto: Simon/Getty)
  • Melanie M. steht vor Gericht, weil sie auf dem Oktoberfest 2015 einen Mann niedergestochen hat.
  • Die Verteidigung versucht, die 34-Jährige in ein positives Licht zu rücken.
  • Ein Zeuge wurde nun wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage festgenommen.

Von Christian Rost

Dass man sich vor Gericht nicht schicksalsergeben in Gottes Hand wähnen muss, sondern auch mit allen Mitteln kämpfen kann, zeigt dieser Tage ein Verfahren in München. Die Lebensgefährtin eines Hamburger Millionärs steht wegen versuchten Mordes vor dem Schwurgericht, weil sie auf dem Oktoberfest 2015 einen rassistische Beleidigungen brüllenden Lastwagenfahrer niedergestochen hat.

Die Tat hat die 34-jährige Melanie M. eingeräumt, ihre Verteidigung spricht allerdings von einem Notwehrexzess und will auf einen Freispruch hinaus. Einer ihrer Anwälte, Steffen Ufer, sagte, die Frau sei erschreckt und verängstigt gewesen. Um dies zu beweisen, treibt Ufer mit seinen Kollegen Annette Voges und Gerhard Strate einen erheblichen Aufwand, den sich andere Angeklagte gar nicht leisten könnten.

An diesem Mittwoch präsentierten sie einen Zeugen aus der Schweiz, der so glatt zugunsten der Angeklagten aussagte, dass er auf Geheiß der Staatsanwaltschaft noch im Gerichtssaal wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt wurde. Am Donnerstag brachte die Verteidigung den Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel als Sachverständigen in den Zeugenstand. Und der Professor wusste ebenfalls einige günstige Umstände für Melanie M. auszuführen.

Mühen und Geld spielen in diesem Verfahren also keine Rolle, wenn es darum geht, die Angeklagte in ein möglichst positives Licht und den niedergestochenen Lkw-Fahrer, der wegen seiner offenkundig nicht fremdenfreundlichen Gesinnung auch der Staatsanwaltschaft kaum sympathisch sein kann, in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. Er wurde sogar von einem Privatdetektiv beschattet, der Negatives über ihn herausfinden sollte.

Der Zeuge aus der Schweiz sollte der Verteidigung ebenfalls helfen. Der gebürtige Deutsche hatte nach eigenem Bekunden von dem Fall im Spiegel, der sich auf Melanie M.s Seite geschlagen hat, gelesen und sich bei deren Verteidigern gemeldet. Er habe gesehen, was in der Nacht zum 20. September vorigen Jahres vor dem Käfer-Zelt auf der Wiesn vorgefallen sei, sagte der Mann bei einem Treffen, zu dem M.s Anwälte eigens nach Zürich geflogen waren.

Auch vor Gericht bestätigte der Zeuge nun, dass er nach Zeltschluss alleine über das Festgelände gebummelt und schließlich bei Käfer gelandet sei. Dort habe er einen Mann gesehen, der eine Frau an den Schultern packte und ihr mit der flachen Hand ins Gesicht schlug. "Sie versuchte, ihn mit den Füßen wegzutreten, traf ihn aber nicht", schilderte der Zeuge.

Wie die Staatsanwältin den Mann auf die Probe stellt

Damit stützte er Melanie M.s Behauptung, sie sei von dem Lastwagenfahrer derart angegangen worden, dass sie sich nicht mehr anders zu helfen gewusst habe, als sich mit einem Klappmesser gegen ihn zu wehren. Laut Anklage verletzte sie ihn mit dem Messer am Hals und stach ihm in die Milz, die in einer Notoperation entfernt werden musste.

Über die Aussage des Zeugen wunderte sich zunächst der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann. Aus dessen Sicht erinnerte sich der Geschäftsmann zu gut an alle möglichen Details aus jener Nacht. Riedmann fand es auch bemerkenswert, dass jemand allein zwei Stunden über das leere Wiesngelände bummelt, auf dem nur noch ein paar Besoffene umherirren.

Die Staatsanwältin schließlich stellte den Zeugen auf die Probe: "Sind sie vorbestraft?", fragte sie den Mann, der das zwei Mal gelassen verneinte. Die Anklägerin hielt ihm dann sein Strafregister mit zwei Eintragungen vor - Verurteilungen wegen Unterschlagung und Betrugs - und ließ den Mann festnehmen. Die Verteidigung verfolgte dies "wie vom Blitz getroffen", so Anwalt Ufer, das sei ein "Versuch von Beugehaft".

Nach diesem glücklosen Zeugen bot die Verteidigung den Hamburger Rechtsmediziner auf. Klaus Püschel meinte, der Messerstich in die Milz müsse nicht unbedingt so "wuchtig" gewesen sein, wie es in der Anklage dargestellt sei. Die Kraft für den Stich könnten auch seine Enkel aufbringen, sagte Püschel, und die seien noch keine zehn Jahre alt. Wenn Melanie M. nur leicht aus dem Handgelenk heraus zugestochen hätte, würde das der Verteidigung in die Hände spielen.

Püschel konnte aber nicht damit dienen, die Blutergüsse, die bei der Angeklagten am Ohr und Oberarm festgestellt worden waren, eindeutig einem Übergriff des Lastwagenfahrers zuzuschreiben. Der Professor zeigte sich in diesem Punkt vorsichtiger: "Sie könnte sich natürlich auch irgendwo gestoßen haben."

Der Prozess dauert an.

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