Gerhard Polt:Das Leben mit Humor ertragen

Zum 65. Geburtstag philosophiert der Kabarettist über das Altern und Stellenstreichungen in der Hölle.

Franz Kotteder

Der Kabarettist Gerhard Polt wird am heutigen Montag 65 Jahre alt. Ein Alter, das für die meisten Menschen einen gravierenden Einschnitt bedeutet. Doch was heißt das für einen Satiriker?

SZ: Sie werden jetzt gerade viel gefragt, wie man sich mit 65 fühlt, oder?

Polt: Im Grunde weiß ich ja gar nicht, was ich dazu sagen soll. Wenn du 65 wirst, ist die Erwartung, dass du 66 wirst, ähnlich, wie wenn du 41 bist und willst 42 werden. Oder? Wenn Sie sagen: "Sie sind jetzt dann 65", dann kann ich sagen: Ja, des stimmt! Wahrscheinlich stimmt's... Man ist da immer in einer passiven Situation. Vielleicht gibt's welche, die sagen: "Ich habe die 65 gemacht!" Nicht: "Ich bin sie geworden." Das wäre eine Sichtweise! Aber die liegt mir nicht.

SZ: Mit 65 geht man normalerweise in den Ruhestand.

Polt: Ja, mei. Des war früher so etwas für höhere Beamte, die haben sich halt mit 65 verbieselt. Das Pensionsalter, wo die Leute, ohne dass was kracht, von der Bühne weggingen. So unscheinbar, dass man nicht weiß: Kommt der noch mal im zweiten Akt, taucht der noch mal auf? Und wenn, als was? Hat der überhaupt noch einen Text? Oder wird er nebenberuflich Souffleur?

SZ: In Ihrem Beruf gibt's kein Pensionsalter.

Polt: Das ist ja das Schöne an solchen Berufen - man kann sie theoretisch ganz lang machen. Es ist kein Beruf, wo man ständig gefragt wird: Und wann gehen Sie in Ruhestand? Man stelle sich mal vor, man hätte gefragt: "Herr Picasso, wann gehen Sie in Ruhestand? Jetzt hören Sie halt mal auf mit dem Malen!" Auf der anderen Seite: Ich möchte nicht an einem Hochofen stehen bis zum 67. oder 65.; ich glaube, wenn du das 20 Jahre machst, dann bist du fertig. Aber es gibt auch künstlerische Berufe, die kann man nicht ewig machen. Balletttänzer - da hupfst du nicht mehr sehr hoch mit 65.

SZ: Aber Ehrfurcht vor dem Alter ist doch auch was Schönes, nicht?

Polt: Wenn du vor einer Schildkröte stehst, und es sagt dir einer, die ist jetzt 260 Jahre alt, dann hast du schon einen Respekt. Du kannst allerdings auch sagen: 260 Jahre lang bloß Salat fressen, das ist die andere Seite der Medaille.

SZ: Stimmt. Was gibt's denn bei Ihnen am Geburtstag zum Essen?

Polt: Spargel. Ich bin quasi in den Spargel und in die Waldmeisterbowle hineingeboren worden. Die Waldmeisterbowle gibt's kaum noch, die ist quasi ausgestorben. Ich glaub' ich hab' schon 50 Jahre keine mehr getrunken, aber das weiß ich noch: Das war eine eigene Art, zum Kopfweh zu gelangen.

SZ: Wann ist Ihnen richtig bewusst geworden, wie das mit dem Altern ist?

Polt: Früh. Als ich so zwei, drei Jahre alt war. So mit das Erste, an das ich mich erinnern kann, war, wenn jemand gesagt hat: "Da wird der und der beerdigt." Ich bin ja nicht weit vom Friedhof aufgewachsen, und wir haben immer ins Leichenhaus reingeschaut. Die Leute da drin waren meistens alt und haben einen Bart gehabt oder so wächserne Gesichter. Aber es hat auch die Säuglinge gegeben. Die waren meistens in einem Schuhkarton drin. Zu einem Sarg hat's nicht gereicht. Das war beeindruckend. Dass jemand, der so jung ist, auch schon stirbt.

SZ: Heute fühlen sich manche mit 30 schon alt.

Polt: Die Leute werden heute immer gescheiter und älter, bis sie in einen Beruf kommen. Neulich habe ich einen jungen Menschen kennengelernt, der hat gerade das zweite Staatsexamen gemacht und ist jetzt 30 Jahre alt. Jetzt hat er noch zwei Jahre Praktikum vor sich. Und wenn er keinen Einser hat und nicht Staatsanwalt oder Richter werden kann, dann geht er zu einer Versicherung. Wenn er Pech hat, hockt er hinter einem Bildschirm und bearbeitet die Kratzer von Autos. Und dafür hockt der 32 Jahre in der Schule. Eigentlich unglaublich.

SZ: Was sollte man anders machen?

Polt: Es ist wirklich so schade, dass junge Leute und Kinder nicht hingeführt werden auf die Möglichkeit, das Leben anders zu sehen als eins zu eins aus der Froschperspektive. Man überlässt die Menschen einer Realität, die oft sehr stumpf ist, und gibt ihnen wenig Möglichkeit, sich dieser Realität zu erwehren. Man ist entweder zu respektlos oder zu respektvoll. Aber die Skepsis, die Vorsicht im Betrachten, das Sich-Fragen: Stimmt das? Das fehlt oft. Mit Ironie könnte man sich da schon ein Polster schaffen, mit solchen Leuten wie dem Valentin, dem Wilhelm Busch oder dem Loriot. Da könntest du eine Gaudi herbringen. Aber so verhungern die Menschen seelisch und geistig, bloß, damit sie's zu irgendwas bringen. Und das Ergebnis kann man sich ja manchmal anschauen. Und die haben dann das Gefühl, wenn sie das anders machen, verlieren sie ihre Zeit. Dabei gewinnen sie das Leben.

SZ: Humor als Lebenshilfe?

Polt: Freilich. Ich hab' neulich an einer Tankstelle ein Gespräch gehört zwischen zwei Frauen. Die eine hat erzählt von einer dritten. Der haben sie zuerst die eine Brust abgenommen, dann haben sie noch mal operiert, und es schaut ganz schlecht aus. Und die andere: "Ja entsetzlich!" Und so ging's weiter. Der eine Sohn ist auf Entzug, und der Vater? "Ja, der hat doch an Alzheimer!" Also: eine apokalyptische Aussage nach der anderen, und dann sagt die von der Tankstelle: "Da braucht's fei scho einen Humor, dass ma des ertragt." Da ist mir wieder klar geworden, dass Humor unter anderem auch das Vermögen bedeutet, etwas zu ertragen.

SZ: Da könnte man direkt religiös werden, oder?

Polt: Ja. Zurzeit lese ich den Ratzinger, bin schon auf Seite 200, etwa. Ich hab' mir gedacht, das muss ich schon lesen. Weil, wenn er's schon schreibt... Aber dass uns die Kirche jetzt die Vorhölle gestrichen hat, das ist ein Skandal, oder? Da glauben die Leute 2000 Jahre lang an eine Vorhölle, haben einen Mordsrespekt, und jetzt sagen die einfach: Die gibt's gar nicht. Da protestiert keiner und sagt: Des stimmt nicht, die gibt's schon! Der nächste Schritt ist dann, das Fegfeuer ist weg, und wenn's dann ganz ernst wird, kommt die Hölle auch noch dran. Da fährt die Hölle zur Hölle! Und was machen dann die ganzen Teufel? Da kümmert sich keiner. Die werden einfach gestrichen vom Management. Ein unglaublicher Vorgang!

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