Geplante Gartenstadt:Hohe Ideale

Warum die Esperanto-Hauptstadt "Parkurbo" nie gebaut wurde

Von Martin Bernstein

"Ein Familienparadies im wahren Sinne des Wortes" sollte die Parkstadt werden, die Architekt Fritz Sievers 1912 am Ostufer der Würm gegenüber von Gräfelfing plante. Das eine Million Quadratmeter große Areal umfasste das Gebiet, das heute von der Allguth-Zentrale, dem Kieswerk Glück und dem Westteil Martinsried begrenzt wird. 500 Einfamilienhäuser waren projektiert, eine Kirche, ein Geschäftszentrum, ein Theater, ein Ferienheim, ein Kasino, eine Bibliothek, ein Restaurant an der Würm und viel Grün. Das Startkapital war bereits vorhanden: rund zwei Millionen Mark. Und das alles sollte erst der Anfang sein. Denn die neue Stadt sollte die "Hauptstadt von Esperantujo" werden, der weltweiten Esperanto-Gemeinde. Die Kenntnis der 1887 von Ludwik Lejzer Zamenhof begründeten Plansprache durch mindestens ein Familienmitglied war Voraussetzung, um sich in der Gartenstadt "Parkurbo" niederlassen zu können.

Geplante Gartenstadt: Eine Villa in "Parkurbo": Das war der Hauptpreis der Lotterie, mit der die Esperantostadt finanziert werden sollte. Abbildungen: Bayerische Staatsbibliothek

Eine Villa in "Parkurbo": Das war der Hauptpreis der Lotterie, mit der die Esperantostadt finanziert werden sollte. Abbildungen: Bayerische Staatsbibliothek

Zamenhof entstammte einer assimilierten jüdischen Familie im polnischen, damals russisch beherrschten Bialystok. Als Student liebäugelte er zunächst mit dem Zionismus, wandte sich dann aber von jeder Form des Nationalismus ab. Sein Ziel: Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt. Sein Mittel: eine neue, neutrale Sprache, die die Menschen zusammenbringen sollte, Esperanto. Schon vier Jahre später, 1891, gründete der frühere Kapitän und vormalige Anhänger einer anderen Kunstsprache, des Volapük, Ludwig Meier zusammen mit Franz Müller, Ludwig Kahn und Herman Ermold in der Barerstraße 70, der Wohnung Meiers, die "Societo Esperantista Münĥen". In der Zeitschrift "La Esperantisto" kündigten sie an, sie würden nun "beginnen, kostenlos öffentlich zu unterrichten, mit anderen und ausländischen Esperantisten zu korrespondieren, um es einfach zu sagen: die internationale Sprache mit vereinten Kräften zu verbreiten." Zwanzig Jahre später gab es in München sechs Esperanto-Gruppen mit 190 Mitgliedern. In 14 Kursen lernten 323 Schüler die Sprache Zamenhofs. Ein "Monument unseres Meisters" (Zamenhof starb 1917 mit 57 Jahren) sollte die neue Gartenstadt zieren, kündigte der "Propagandabund Parkstadt Esperanto Gräfelfing-München" an.

Virtueller Rundgang

Auf der Website der Bayerischen Staatsbibliothek finden Sie einen virtuellen Rundgang durch die geplante Stadt.

Die neue Esperanto-Stadt an der Würm (ein ähnlicher Versuch war 1907 im Osten Belgiens gescheitert) war keine bloße Utopie: Das Grundstück war "mit Hilfe eines bekannten Bankiers in München, welcher unserer Bewegung sehr wohlwollend gegenübersteht", bereits gesichert. Es handelte sich um Bernhard Wilhelm Schuler, den Gründer des Bankhauses "A. & B. Schuler" und Erbauer der heute städtischen Villa Waldberta. Möglicherweise stammte von Schuler auch die Idee, wie man die Gartenstadtpläne finanzieren konnte: mit einer Lotterie - ein Los kostete eine Mark, eine Million Losbriefe sollten verkauft werden. Denn Schuler betrieb zusammen mit seinem Bruder Oscar ein Lotteriegeschäft für Wohltätigkeiten und Kirchenbau.

Parkurbo wurde nie gebaut. Die Gründe sind bis heute nicht geklärt. Vielleicht scheiterte das Projekt, weil Bernhard Schuler nach dem Tod seines Bruders 1914 das Lotteriegeschäft und sein Bankhaus aufgab. Möglicherweise hätte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs dem Projekt aber ohnehin ein Ende gesetzt. "Alle Bewohner unserer Esperantostadt sind absolut gleichberechtigt und unterscheiden sich weder durch nationale, noch religiöse oder politische Bekenntnisse." Für solche Ideale der Völkerverständigung war in Zeiten des nationalen Chauvinismus kein Platz. Schon Ende August 1914 wurden die amtlichen Berichte des deutschen und österreichischen Generalstabs von der Vereinigung Leipziger Esperantisten in die Kunstsprache übersetzt, die einst die Völker hatte verbinden sollen.

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