Georg-Elser-Preis:Würdiger Preisträger, verpasste Chance

Sea-Eye-Gründer Michael Buschheuer erhält eine der wichtigsten Auszeichnungen Münchens. Es ist die perfekte Gelegenheit für die Stadt, ein starkes politisches Statement zu setzen - doch darauf wartet man an diesem Abend vergeblich

Von Bernd Kastner

Der Abend wird enden mit einem Rechtsruck. Und das ist nicht die einzige Überraschung im Gasteig, wo die Stadt München den Georg-Elser-Preis verleiht. Fast exakt an dem Ort, an dem Elser 1939 im damaligen Bürgerbräukeller versuchte, Hitler mit einer Bombe zu töten. Nach Elser hat die Stadt eine ihrer wichtigsten Auszeichnungen benannt, sie ist mit 5000 Euro dotiert und geht am Donnerstag in der "Black Box" an Michael Buschheuer. Der Regensburger Unternehmer hat 2015 den Seenotrettungsverein Sea-Eye gegründet, der nach eigenen Angaben mehr als 14 000 Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken bewahrt hat.

Es ist ein Zeichen. Die Stadt München ehrt einen Mann für seine Zivilcourage, der tut, was politisch in ganz Europa umstritten ist: Dürfen private Organisationen tun, was die Staaten weitgehend unterlassen? Angesichts dieser großen Frage und der tausenden Toten geht es erstaunlich wenig um Flüchtlinge an diesem Abend, sieht man von dem ergreifenden Videoclip von Sea-Eye ab, der viele Gerettete zeigt, erschöpft und erleichtert. Die Preisverleihung wäre die Gelegenheit für ein starkes politisches Statement der Stadt gewesen.

Wer erwartet hat, dass bei diesem Anlass die Stadt vom Oberbürgermeister repräsentiert wird, dürfte überrascht sein. Dieter Reiter ist nicht anwesend, nicht wegen fehlender Lust, sondern wegen eines anderen Termins. Dem Kulturreferat war es nicht gelungen, die Preisverleihung so zu organisieren, dass der OB dabei sein konnte. Mea culpa, heißt es aus dem Kulturreferat. Vertreten wird Reiter von Evelyne Menges. Sie ist Vize-Chefin der CSU-Fraktion im Rathaus und deren tierschutzpolitische Sprecherin. Sie erwähnt den "Mut gegen den Mainstream" des Preisträgers und beschäftigt sich ansonsten mit Georg Elser, dem ja lange die Anerkennung verwehrt worden sei. Inzwischen aber gebe es einiges zu seinen Ehren, zum Beispiel ein "Booklet", das die Stadt schon vor Jahren herausgegeben habe. Dass Menges den Hitler-Attentäter einmal "Elsner" nennt, ist nur ein Versprecher, aber vielleicht auch symptomatisch.

Verleihung Georg-Elser-Preis an Michael Buschheuer. Gasteig, Black Box

"Kein Mensch wirkt allein": Georg-Elser-Preisträger Michael Buschheuer mit Ehefrau Hanni und Tochter Julia, Vater Michael Buschheuer senior und Onkel Hans-Peter Buschheuer. Daneben Kulturreferent Anton Biebl und CSU-Stadträtin Evelyne Menges (von links).

(Foto: Florian Peljak)

Und die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer? Menges gehört zu einer Partei, die nicht so recht weiß, ob sie zivile Seenotrettung politisch gut finden soll. Und sie gehört zu einer Fraktion, die, so hört man, Bauchschmerzen hatte, einen Mann wie Buschheuer auszuzeichnen. Die Debatten hinter den Rathauskulissen dringen am Abend seiner Auszeichnung auch zu Michael Buschheuer durch, er findet das irgendwie interessant. Immerhin, die OB-Vertreterin Menges stellt auf der Bühne fest: "Jedes Leben zählt."

Als Laudator hat sich Buschheuer den Kabarettisten Hannes Ringlstetter gewünscht. Der sagt, er habe sich über diesen Wunsch gewundert, schließlich komme er "eher aus einem schwachsinnigen Unterhaltungsformat". Anschließend versucht Ringlstetter, der gerne über Ringlstetter spricht, dem Publikum seinen Freund Michael näher zu bringen, auf einer persönlichen Ebene. Hängen bleibt, dass der Sea-Eye-Gründer einer ist, der nicht als Held verehrt werden wolle, und immer freundlich Argumente austausche, "außer, es kommt ein Depp".

Kulturreferent Anton Biebl lässt keinen Zweifel daran, dass er die Wahl der Jury für gut hält. Ein kraftvolles politisches Statement aber würde anders klingen. Biebl liest seine Rede vor und erwähnt en passant, dass München dem Städtebündnis "Sichere Häfen" beigetreten ist. Und sonst? Die Stadt habe "in einem Schreiben Herrn Bundesaußenminister Maas aufgefordert, sich verstärkt für eine europäische Lösung" zur Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen einzusetzen. Biebl lobt den Preisträger, indem er Parallelen zu Elser zieht, der sein Wagnis mit dem Tod bezahlt hat: "Sich dem Unmenschlichen entgegenstellen und mutig zu handeln, selbst wenn dabei das eigene Leben in Gefahr gerät" - das verbinde die beiden.

Anton Biebl, Kulturreferent

"Angesichts Tausender Ertrinkender im Mittelmeer ist der Regensburger Familienvater seiner Verantwortung zur Mitmenschlichkeit nicht ausgewichen."

Buschheuer ist das eher unangenehm, schließlich sei sein eigenes Leben nie in Gefahr gewesen. Er hält seine Art der Hilfe ohnehin für selbstverständlich, das erzählt er beim Stehempfang: Wenn bei seinen Vorträgen über Seenotrettung einer sage, dass man doch zumindest darüber diskutieren können müsse, ob es okay ist, weil man ja Flüchtlinge anlocken könnte, sage er gerne: Klar, man kann über alles diskutieren. Lassen Sie uns doch auch mal über Kindesmissbrauch diskutieren, pro und contra. Buschheuer grinst sein Buschheuergrinsen, soll heißen: So einfach ist das.

Buschheuer jedenfalls ist es, der auch mit seinem Auftritt auf der Bühne zeigt, dass er ein würdiger Preisträger ist. "Kein Mensch wirkt alleine", sagt er und betont, dass er zwar 2015 den ersten Schritt gegangen sei, dass dann aber sehr viele Menschen mitgemacht hätten. Und schon nimmt er die Anwesenden in die Pflicht: Bitte vom Platz erheben! Nach rechts drehen! Jetzt einen Schritt nach vorne! Der Saal tut, wie geheißen, Buschheuer grinst, weil er das auch so erlebt habe: Sofort sei ein anderer hinter einem, wenn man aufstehe und einen ersten Schritt mache. "Sie haben", sagt Buschheuer zum Publikum, "Sie haben heute mal einen richtig positiven Rechtsruck erlebt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: