Süddeutsche Zeitung

Gentrifizierung in Sendling:Achtung, die Yuppies kommen!

Wird Sendling das nächste Opfer der Gentrifizierung? Klar ist: Das Viertel verändert sich - nicht zum Guten, wie viele Sendlinger finden. Ein Rundgang in Bildern.

Sabrina Ebitsch

Ein Mann steht in einer Häuserschlucht, unter dem Arm die Aktentasche, sieht ein wenig nach Spitzweg und ein wenig nach BND aus und schaut nach oben. Er schaut sich die Dächer der Altbauten an und notiert, wo die Dachstühle ausgebaut sind und wo nicht. Für Investoren eine wichtige Information. Der graue Mann ist eine Kunst-Figur, er stammt aus einem Linolschnitt von Marion Kropp (hier ein Foto aus dem Atelier der Künstlerin), die diese und andere ebenso kritische wie künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Wandel in Sendling unlängst in einer Ausstellung gezeigt hat. Aber er erzählt eine wahre Geschichte, die auch die von Marion Kropp ist.

Sendling, vor allem das alte Untersendling, verändert sich. Und viele Menschen, die nicht erst seit einer Altbausanierung hier wohnen, haben Angst...

...vor dieser Veränderung, die sich neudeutsch und ein wenig euphemistisch Gentrifizierung nennt: ein stets gleich ablaufender Prozess, der reihum mehreren Vierteln Münchens diagnostiziert wird.

Es sind günstige, unsanierte, oft einstige Glasscherbenviertel, die zunächst die Jungen und Kreativen für sich entdecken. Durch sie wird die Gegend auch für andere interessant, bekommt den Nimbus eines In-Viertels und wird schließlich bürgerlicher und teurer. Altbauten werden saniert und an Menschen vermietet, die sich das leisten können. Die anderen werden verdrängt.

Untersendling ist davon bisher, trotz hohem Altbaubestand von 47 Prozent und Innenstadtnähe, noch einigermaßen verschont geblieben. In den 1970er Jahren dampften am Stemmerhof in drei Kilometer Entfernung vom Rathaus noch die Misthaufen.

Der Stadtrat hat Ende Mai die Erhaltungssatzung für das Areal zwischen Theresienwiese und Brudermühlstraße, Großmarkthalle und Plinganserstraße, verlängert, die die angestammte Wohnbevölkerung vor dem wachsenden Verdrängungsdruck schützen soll. "Es hat nicht mehr das hohe Tempo, aber es ist ein permanent laufender Prozess. Es ist zu vermuten, dass noch heftig aufgewertet werden wird", sagt Ernst Dill, Mieteranwalt und stellvertretender Vorsitzender im Bezirksausschuss Sendling.

Es machen Agenturen mit Milchglasfenstern dort auf, wo Obst und Gemüse verkauft wurden. Es finden in schwarz und weiß gehaltene Cafés ein Publikum, wo Eckkneipen und Pizzerien dominierten. Es werden Baulücken geschlossen und Wohnungen beworben mit der Lage im "In-Viertel Sendling". Und dann natürlich die Baugerüste, hinter denen saniert wird.

Ernst Dill wohnt seit 37 Jahren in Untersendling und seit Monaten hinter einem Gerüst. "Durch Modernisierung und damit verbundenen Mieterhöhungen kommen schnell Beträge in Höhe von 300, 400 Euro mehr pro Monat zusammen - das verkraftet der durchschnittliche Sendlinger mit seinem Einkommen nicht", sagt Dill.

Auch Ernst Dills kennt das Gebaren der Investoren nun nicht mehr nur von Mandanten, sondern auch aus eigener Erfahrung. "Das ist häufig mit Terror verbunden", sagt Dill. Die meisten halten das nicht durch und ziehen weg. Marion Kropp hat in ihrem Haus in der Kidlerstraße zweieinhalb Jahre lang gekämpft und dann doch aufgegeben. Hinten hatte sie ihr Atelier, vorne die Wohnung, 670 Euro für vier Zimmer. Nach Feierabend hat sie sich mit den Nachbarn auf die Treppe gesetzt, Bier getrunken, Tischtennis gespielt. "Das war Sendling. Jetzt wird alles schick hier."

Ihr Haus wurde eine Dauerbaustelle, Lärm, Staub, Dreck, Stromausfälle, nach mehreren Gerichtsterminen zog sie aus. Das "Gehenmüssen" hat sie in Bildern festgehalten, "Vor leeren Tellern" heißt eines mit einer tristen Küchenszene, im Hintergrund ist ein Baugerüst zu sehen - es erinnert an den letzten Abend in der Wohnung. "Wenn die Wohnung keine Sicherheit mehr bietet, trifft einen das an einem empfindlichen, existentiellen Punkt", sagt Kropp.

Eben noch wurde das kreative Sendling mit seinen vielen Ateliers gefeiert. "Kunst in Sendling" verzeichnet 48 Standorte. "Aber der Jubelschrei ist eigentlich schon ein Schwanengesang: Es gibt kaum noch jemanden, der hier ein neues Atelier findet", sagt Dill. Ein Indiz, wie weit der Strukturwandel fortgeschritten ist.

Um die Großmarkthalle sei der Prozess schon so gut wie abgeschlossen, dort wohne das Geld, sagt Dill: "Da fahren schon die Porsches aus der Tiefgarage.

Das ist das Wesen von Gentrifizierung: Der Kaufkräftige zieht ein und vertreibt den, der es sich nicht mehr leisten kann." Alte Menschen ziehen weg, auch Familien. Mehr als die Hälfte aller Wohnungen sind Single-Haushalte.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2011
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