Streckenbesprechung:Die schönsten Stellen beim München-Marathon

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Teilnehmer beim 33. München-Marathon im Jahr 2018 (Foto: Claus Schunk)

Die Strecke führt an den schönsten Orten der Stadt vorbei, die ein Läufer oft erst dann wahrnimmt, wenn er den Blick von der Straße hebt. An welchen Stellen ein Blick nach oben lohnt.

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Lerne Laufen, und du enteilst der Zeit. Sagt der Dichter. Das klingt schön, ist aber, zumindest wenn man einen Marathonlauf wie an diesem Sonntag in München vor sich hat, etwas weltfremd. Denn zunächst geht es hier darum, "überhaupt mal ins Laufen zu kommen". Man sei, sagt Jochen Temsch, einer der Marathon-erfahrensten SZ-Kollegen, am Anfang "wahnsinnig aufgeregt. Schau am Start, dass du im Schwarm der Mitmarathonesen erst einmal auf die Strecke kommst, und lass' es nur ja nicht zu schnell angehen."

Bis man sich eingegroovt hat, dauere es bei ihm schon an die fünf Kilometer. Und so hatte er damals, als er den München-Marathon mitlief, weder vom Olympiaberg, noch von der eleganten Großzügigkeit der baumgesäumten Elisabethstraße viel mitbekommen. Vom Bärenbrunnen am Elisabethmarkt ganz zu schweigen, den übersieht man ja sogar als Fußgänger. Obwohl in ihn Weisheiten eingemeißelt sind, die auch Langstreckenläufer motivieren könnten, zum Beispiel: "Froh und munter rauf und runter".

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Der München-Marathon unterscheidet sich ja in einigen Aspekten von ähnlichen Läufen in London, Hamburg oder Berlin. London, sagt Kollege Temsch, sei schon sehr beeindruckend, wenn man nach den ersten Kilometern den Kopf frei hat, um die Umgebung etwas zu genießen. Auch Hamburg habe eine ganz spezielle Atmosphäre. Berlin biete die Strecke mit den wenigsten Steigungen, weshalb sich dort auch die Weltspitze trifft. Die fehlt in München, wohl auch deshalb, weil es hier, anders als anderswo, kein Preisgeld gibt.

Dafür aber den Englischen Garten. Doch bis man in Münchens grüne Lunge von der Osterwaldstraße einbiegen darf, passiert man die Franz-Joseph-Straße, an der auch die Weihenstephaner Biermeile liegt, ein etwas seltsam anmutender Hotspot, weil den Läufern da sicher der Sinn nach vielem steht, nur nicht nach einem Weißbier. Eher schon wächst bei der Überquerung der Leopoldstraße die Hoffnung, diese Straße munter und gesund bald wieder zu sehen, denn hier schließt sich nach gut 30 Kilometern der Kreis des München Marathons, und es geht zurück zu Start und Ziel, zur legendären Runde im Stadion. Das sei dann, sagt Jochen Temsch, schon ein sehr großartiges Gefühl.

Aber so weit sind wir noch lange nicht. Denn zunächst geht's an Münchens Hochzeitstempel an der Mandlstraße vorbei in Richtung Nord-Nord-Ost, entlang des Schwabinger Bachs, bis in Sicht- und Hörweite der Aumeister-Biergarten auftaucht, eine Verlockung, gegen die der Gesang der Sirenen zu Odysseus' Zeiten ein müder Abklatsch war. Und damit nicht genug: Beim Rückweg durch den Englischen Garten gilt es beim Mini-Hofbräuhaus, dem Schweinsbratenparadies, am Seehaus vom Kleinhesseloher See und - ein echter Härtetest - am Chinesischen Turm vorbeizulaufen, ohne schwach zu werden. Hier ist - schon? - Halbzeit und Start des Halbmarathons.

Doch kommt dann schon nach der Tivolibrücke die größte läuferische Herausforderung; den schier endlosen Montgelasberg hinauf zur dann, Gott sei Dank, wunderbar schattigen Oberföhringer Straße, wo man am Ende Münchens edelste private Kunstgalerie, die Sammlung Goetz, fast übersieht in ihrem unscheinbaren Ockergrau. Dann geht's schon über die Straße "An der Salzbrücke", die Heinrich der Löwe 1158 zerstörte, um etwas südlicher München zu gründen (so die extreme Kurzfassung), zur weitgehend schmucklosen Cosimastraße und ihren Verlängerungen, bis der anthrazitfarbene Block des Süddeutschen Verlags aufragt, dieses Meisterwerk moderner Hochhausästhetik.

Nun richtet sich der Läufer - endlich - gen Westen, also - im noch sehr weiten Sinne - dem Ziele zu. Und passiert Münchens große Image-Hoffnung, das demnächst kulturelle Zentrum Werksviertel, derzeit überragt von einem riesigen Riesenrad. Über die Rosenheimer Straße, vorbei an der guten alten Drehleier, einer der ältesten Kleinkunstbühnen der Stadt, vorbei am Gasteig, der statt Leonard Bernsteins Forderung ("Burn it!") zu folgen, teuerst saniert wird, über die Ludwigsbrücke samt Deutschem Museum Richtung Marienplatz und Residenzstraße (im gleichnamigen Theater gibt man an diesem Abend übrigens "Die Verlorenen", was nicht sonderlich hoffnungsfroh stimmt).

Und dann, nach der Staatsbibliothek mit ihren vier weisen Griechen am Portal (darunter Homer, der in der Ilias vom "schnellen Läufer Polites" erzählt), die verfluchte Abzweigung! Wo man doch schon das Siegestor und die Abzweigung zur Franz-Joseph-Straße sieht, jenen Punkt, an dem der Kreis sich schließt hin zu den letzten vier Kilometern. Da gilt es noch, diverse Haken zu schlagen über die Luisen-, die Karl-, die Brienner- und die Schellingstraße. Und dann kommt der Punkt, von dem Jochen Temsch sagt: "Wenn du 38 von den gut 42 Kilometern geschafft hast, hast du noch 80 Prozent vor dir." Danach aber: das große, große Glücksgefühl.

© SZ vom 11.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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