Geläut:Lang ersehnter Klang

Nach 37 Jahren bekommt der Turm von St. Philippus endlich ein Geläut. Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg weiht die vier Glocken bei einem Festgottesdienst. In der Osternacht werden sie das erste Mal zu hören sein

Von Anna-Leandra Fischer

Es zischt, Funken sprühen durch die Luft und die heiße Bronze schießt durch die angelegten Kanäle in die Glockenform in der Erde. Es ist laut in der kleinen Glockengießerei Bachert in Neunkirchen bei Heidelberg. Der Ofen, der den Lärm macht, läuft schon lange. Es ist heiß im Raum. Die 50 Zuschauer freuen sich über die Wärme, ist es doch draußen bitterkalt. Es ist der 21. Dezember 2018 - und ein besonderer Tag für die Münchner Pfarrgemeinde St. Philippus: Vier Glocken werden nach langer Planung für den Campanile gegossen. 37 Jahre gab es kein Geläut im Glockenturm.

Ihren ersten großen Auftritt haben die Klangkörper nun im Gottesdienst zur Osternacht am Sonntag, 21. April. Um 6.15 Uhr werden sie das erste Mal läuten - fünf Jahre nach der ersten Spende. "Das wird ein sehr emotionaler Moment", prophezeit Sylvia Gräfenstein, Initiatorin des Glockenprojekts. Sie glaubt, dass die Kirche noch voller sein wird als an normalen Osterfesten. Doch schon an diesem Samstag, 6. April, 10 Uhr, weiht Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg das Geläut in einem festlichen Gottesdienst. Das erzählt Albert Limmer, der mit dem Projekt beauftragte Kirchenpfleger, während er zusammen mit Pfarrvikar Bernhard Bienlein die Stahltreppen im Turm nach oben steigt. Es sind 92 Stufen. Die beiden Kirchenvertreter schauen nach oben, dorthin wo die neuen Glocken hängen werden. Die Kirche an der Westendstraße 249 hat zwar auch einen Turm, doch ihr Bau und die Errichtung des Pfarrzentrums sei so teuer gewesen, dass das Geld für die Glocken fehlte, erinnert sich Albert Limmer, der schon damals Mitglied der Gemeinde war. Der frühere Pfarrer Eduard Stadler bewies aber Weitsicht. Er habe, so erzählt der Kirchenpfleger, schon den Grundstein legen wollen und die Stahlstreben für den Glockenstuhl einziehen lassen - falls man das Glockenvorhaben später umsetzen wollte.

Der Wunsch nach einem eigenen Geläut war in der Gemeinde groß. Doch nie reichte das Geld. 2014 aber wurde bekannt, dass die nahegelegene Simeonskirche ihre Glocken wegen eines Neubaus möglicherweise verkaufen wolle, sagt Gräfenstein. Die Simeonskirche behielt die Glocken dann zwar doch selbst - aber der Plan von einem Geläut für St. Philippus blieb. Noch im gleichen Jahr wurde ein Glockenausschuss gegründet. Der Impuls ging vorerst nur von Gemeindemitgliedern aus, die Kirchenvertreter waren skeptisch. "Der Pfarrgemeinderat hatte Angst, dass die Glocken die Gemeinde in zwei Lager spalten würde", sagt die Glockeninitiatorin. Diese Befürchtung habe sich aber nie bewahrheitet. Denn bei einer Abstimmung im Jahr 2015 sprachen sich fast zwei Drittel der Gemeinde für die Glocken aus.

Auch der Ausflug im Dezember 2018 nach Neunkirchen zeigt, wie viele Gemeindemitglieder hinter dem Projekt "Glocke" für St. Philippus stehen. 50 Kinder, Erwachsene und Senioren haben die vierstündige Fahrt mit dem Bus auf sich genommen, um beim Gießen ihres lang ersehnten Geläuts dabei zu sein. Das Interesse war so groß, dass eigentlich noch viel mehr mit wollten - für die aber der Platz in der Gießerei nicht reichte. Die anderen aber beobachteten jeden Arbeitsschritt. Die Gießer waren in hitzeresistente, bodenlange Kutten mit Gesichtsschutz gekleidet. "Fast ein bisschen wie in einem Science-Fiction-Film", so Gräfenstein. Pfarrer Georg Rieger sprach ein Gebet und alle zusammen sangen das Lied "Großer Gott wir loben dich". "Das war ein einzigartiger Augenblick", erinnert sich die Glockeninitiatorin.

Pfarrvikar Bienlein steht auf dem kalten Betonboden im obersten Stockwerk des Turms. Es ist stockdunkel in dem fensterlosen Raum. Bienlein räumt ein, dass er dem Projekt anfangs auch sehr skeptisch gegenüberstand. "Ich habe nie gedacht, dass wir das ganze Geld zusammenbringen", sagt er. Immerhin kosten die Glocken stolze 160 000 Euro, 60 000 Euro mehr als anfangs geschätzt. Der ganze Betrag für das Geläut sei auch noch nicht zusammengekommen, 25 000 Euro fehlten noch immer, erklärt Kirchenpfleger Limmer. Er betont, dass die Gelder nur aus Spenden stammen und dafür keine Kirchenmittel verwendet worden seien. Alleine in den vergangenen zwei Jahren gab es Spenden in Höhe von 80 000 Euro. "Der wachsende Kontostand hat uns motiviert, weiterzumachen", sagt Gräfenstein.

Nicht nur das Geldsammeln war ein langer Prozess, auch die Auswahl der richtigen Glockentöne und Glockenzier. Dafür bekam die Gemeinde Hilfe vom Münchner Glockensachverständigen Stephan Zippe und von Künstler Armin Maler. Entschieden hat sich der Ausschuss dann für ein Westminster-Motiv. Das ist majestätisch und feierlich. Die Zier spiegelt die Bedeutung der einzelnen Glocken wider: Die größte ist die des Friedens und der Vollendung, die kleineren stehen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese kleinen Glocken repräsentieren symbolisch den gesamten Pfarrverband: Die alten Menschen, junge Erwachsene und die Kinder. Alle sind Teil einer großen Gemeinschaft.

Nach 37 Jahren kommt also Klang in den Turm. Vor dem ersten Läuten werden die 800 bis 2200 Kilogramm schweren Kolosse aber zunächst einmal optisch für Aufsehen sorgen: Denn nach der Weihe am Samstag hebt ein Kran die vier Glocken am Montag von außen in den Dachstuhl hinein. Von Ostern an läuten die Glocken dann nicht viertelstündlich, sondern nur zu sakralen Anlässen - also zu Gottesdiensten, besonderen Gelegenheiten und als Gebetsläuten. Darauf hatte man sich gleich zu Beginn der Planung geeinigt, um die Anwohner nicht zu stören. Denn ringsherum sind die Wohnhäuser vom Campanile nur einige Meter entfernt. Überraschenderweise habe es aber während der Planung nie richtig Widerstand gegeben, sagt Bienlein. "Vielleicht", so erklärt es sich Albert Limmer, "weil die Glocken für unseren Stadtteil auch ein Gefühl von Zuhause vermitteln."

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