Süddeutsche Zeitung

Geheimer Prüfbericht:Rechnungshof prangert Milliardendeal am Münchner Flughafen an

  • Der Oberste Rechnungshof übt scharfe Kritik am Flughafen und seinen Eigentümern. Demnach lassen Freistaat, Stadt und Bund die Lufthansa über Gebühr profitieren.
  • Im Kern kritisieren die Prüfer, dass die Flughafengesellschaft der Airline zu weit reichende exklusive Nutzungsrechte des Terminals 2 eingeräumt habe - samt dessen Satellitengebäude, das in vier Wochen in Betrieb gehen soll.

Von Katja Riedel

Der Münchner Flughafen soll der Lufthansa Vorteile in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro verschafft haben - ohne angemessene Gegenleistung. Zu dieser Einschätzung kommt ein bisher unter Verschluss gehaltener Prüfbericht des Bayerischen Obersten Rechnungshofes (ORH), der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Im Kern kritisieren die Prüfer, dass die Flughafengesellschaft (FMG) der Lufthansa zu weit reichende exklusive Nutzungsrechte des Terminals 2 eingeräumt habe - samt dessen Satellitengebäude, das in vier Wochen in Betrieb gehen soll. Dessen Kosten und Nutzen stünden in einem eklatanten Missverhältnis, kritisiert der ORH in dem 150 Seiten starken Papier weiter. Auch hätte das Projekt unbedingt an den Bau einer dritten Start- und Landebahn geknüpft werden müssen, die derzeit wegen des Vetos der Stadt München aber auf Eis liegt. Ohne sie sei der Satellit für die FMG unwirtschaftlich.

Die FMG und das bayerische Finanzministerium, das den 51-Prozent-Anteil des Freistaats am Flughafen verwaltet, bestreiten die Befunde der Prüfer. Dies hätten sie auch in Stellungnahmen bekräftigt. Das Ministerium hat dazu bei der Unternehmensberatung PWC ein Gegengutachten in Auftrag gegeben - mit dem Ergebnis, dass sich das Satellitenterminal wirtschaftlich sehr wohl rechne und die Vorteile zugunsten der Lufthansa falsch berechnet und völlig überzogen seien; in einigen Punkten sei mit einem bis zu 20-fach überhöhten Wert hantiert worden. Auf welchen Betrag sich der Vorteil der Lufthansa laut PWC belaufe, nennt das Ministerium nicht. "Der ORH verkennt fundamental die Bedeutung der strategischen Partnerschaft zwischen FMG und Lufthansa für das Luftverkehrsdrehkreuz", sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Der Bericht sei "inhaltlich falsch".

Der ORH bestätigte, dass der Bericht vom Mai 2014 und dessen Inhalte authentisch seien - für diesen hatte er die Geschäftsjahre 2003 bis 2011 sowie den FMG-Gesellschaftervertrag in einer vier Jahre dauernden Prüfung unter die Lupe genommen. Zur Stellungnahme des Ministeriums könne man sich aber wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern. Die Öffentlichkeit habe man über das Prüfergebnis wegen einer Änderung des Aktiengesetzes nicht informieren dürfen. Seit Anfang des Jahres gehört die FMG demnach zu den Unternehmen, deren Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse besonders geschützt sind - auch, wenn sie in mehrheitlich staatlicher Hand sind.

Gemeinsam mit der Lufthansa hat die FMG schon das Terminal 2 im Erdinger Moos gebaut und im Jahr 2002 eröffnet, in einem bis dahin einmaligen Joint Venture. Dadurch wurde München zum zweiten Drehkreuz des Luftfahrtkonzerns. Der Betrieb des Terminals wurde damals in eine eigene Gesellschaft ausgelagert, an der die FMG 60 Prozent hält, die Lufthansa 40 Prozent. Sie sollte bis 2036 mit ihren Verbundpartnern der Star Alliance das Terminal exklusiv nutzen. Danach sollte die FMG das Terminal allein betreiben und auch allein von den Erträgen profitieren - eigentlich.

Doch im Juli 2011, kurz vor Baubeginn der "Satellit" genannten Erweiterung, unterschrieben Gesellschafterversammlung und Lufthansa ein "Memorandum of Understanding Satellit". Demnach darf die Lufthansa das Terminal 2 samt Satellit für 20 weitere Jahre exklusiv nutzen, woraus die ORH-Prüfer einen Vermögensvorteil von etwa 880 Millionen Euro errechnet haben. Zudem soll die Betriebsgesellschaft, die dann zum Restbuchwert an die FMG zurück verkauft wird, von der Lufthansa erst vom Jahr 2051 an Marktmieten verlangen. Hieraus ergibt sich laut ORH ein Gewinn von weiteren 180 Millionen Euro für die Lufthansa.

Das Interesse des Münchner Airports an der Fluglinie liegt auf der Hand: Sie ist die mit Abstand wichtigste Fluglinie im Erdinger Moos. Gleichwohl kritisiert der Rechnungshof, das Verhandlungsergebnis für den Bau des Satelliten sei "nicht interessengerecht und unausgewogen". Der Lufthansa werde faktisch unentgeltlich eine weitere Beteiligung an der lukrativen Beteiligungsgesellschaft eingeräumt, all das sei "betriebswirtschaftlich nicht darstellbar" und als "einseitige Vorteilsgewährung" an die Fluglinie zu werten. Der ORH sieht darin auch rechtliche Risiken wegen des EU-Beihilferechts. Laut Finanzministerium profitiert der Flughafen jedoch von der Vereinbarung außerordentlich, die Lufthansa habe ein enormes Passagierwachstum gebracht.

Doch offenbar hat selbst das Ministerium den Deal nicht immer so positiv eingeschätzt. Die Gesellschafter betrachteten die Forderungen der Lufthansa nämlich ursprünglich als überzogen. Das geht aus einer Aktennotiz des Ministeriums hervor. "Es ist gemeinsame Auffassung, dass die von der Lufthansa verlangten vertraglichen Bindungen ab dem Jahr 2036 nicht zugestanden werden sollen, zumal keine Gegenleistungen in Sicht sind, die derartige Zugeständnisse rechtfertigen könnten", heißt es anlässlich der Gesellschafterversammlung vom 29. April 2010. Nur zwei Wochen später folgt ein weiterer Vermerk, ein Gesprächsprotokoll. Darin heißt es nun: Die "staatliche Seite" habe dem Vorstandsvorsitzenden der Lufthansa unentgeltlich die Verlängerung des gemeinsamen Betriebs des Terminal 2 inklusive Satelliten um 20 Jahre eingeräumt.

Wie es zu dieser Kehrtwende kam und ob sich das Finanzministerium in diesen Wochen mit Bund und Stadt abgestimmt hat, geht aus dem ORH-Bericht nicht hervor. Laut Ministerium wurden die Grundsätze der Vereinbarung in einem Spitzengespräch ausgehandelt. Anwesend waren Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der damalige Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) und der einstige Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber.

Die Gremien des Flughafens hätten mit Unterstützung des Bundes und des damaligen Münchner Wirtschaftsreferenten und heutigen Oberbürgermeisters Dieter Reiter (SPD) der Vereinbarung zugestimmt. Der Bund besitzt 26 Prozent der Anteile an der FMG, die Stadt München 23 Prozent. Reiter wollte auf Anfrage aus terminlichen Gründen zunächst nicht Stellung nehmen.

Pikant ist auch, wie sich der Rechnungshof über die Informationspolitik Fahrenschons gegenüber dem Landtag mokiert. Anfang Februar 2011 teilte Fahrenschon dem Haushaltsausschuss mit, dass die Erweiterung des Terminals um einen Satelliten ein "rentables Projekt" darstelle. Die ORH-Prüfer bezeichnen dies als unzutreffend: Insbesondere der Gewinnverzicht und die gesenkten Mietkosten führten dazu, dass sich die Investition für die FMG nicht amortisiere. Hätte der Ausschuss davon gewusst, hätte er das Projekt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einstimmig durchgewunken, unterstellt der ORH. Fahrenschon äußerte sich nicht zu den Vorgängen, betonte jedoch, dass er den Landtag stets umfassend informiert habe.

Die Lufthansa trägt 40 Prozent der Baukosten des Satellitenterminals, etwa 336 Millionen Euro. Sie teilte mit, sie habe gegenüber dem ORH Stellung genommen, wolle sich öffentlich aber nicht zu Inhalten äußern. Das Joint Venture sei für beide Parteien "äußerst erfolgreich", insbesondere "durch das Engagement und die milliardenschweren Investitionen". Bei der FMG hieß es, die Lufthansa erziele für ihr Investment eine "marktübliche Rendite".

Die Lufthansa – ein wichtiger Kunde

Dass der Münchner Flughafen zu einem internationalen Drehkreuz geworden ist, hängt stark mit der Lufthansa und ihren Partnern der Star Alliance zusammen. Die Lufthansa beschäftigt im Erdinger Moos inzwischen 11 000 Mitarbeiter. 1998 haben sich die Flughafengesellschaft (FMG) und die Lufthansa zum gemeinsamen Bau und Betrieb des Terminals 2 entschlossen, das nun um den Satellitenterminal erweitert wird. Seitdem sind die Fluggastzahlen laut Finanzministerium von 16,9 auf 41 Millionen jährlich gestiegen; allein am Terminal 2 seien 11,4 Millionen Passagiere hinzugekommen. Die FMG betont, dass das Drehkreuz 70 Langstreckenverbindungen und ein europaweites Netz gebracht habe, das größer sei als das in Frankfurt. Mit eingerechnet sind Flüge der Star Alliance.

Der Oberste Rechnungshof stößt sich nun daran, dass der Lufthansa dafür zu große Zugeständnisse gemacht worden seien. Die zeigen sich laut seinem Prüfbericht auch in einer 2011 geschlossenen Wachstumsvereinbarung. Danach hätte der Konzern der FMG eine Entschädigung von 50 Millionen Euro gezahlt, sofern sich die Passagierzahlen nicht positiv genug entwickelt hätten - doch nur, wenn der Satellit 2015 fertiggestellt und eine dritte Startbahn gebaut worden wäre. Beide Bedingungen wurden nicht erfüllt. kari

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SZ vom 01.04.2016/infu
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