Süddeutsche Zeitung

Bundesnachrichtendienst:Wie aus einem schlechten Agentenfilm

  • Vor 70 Jahren zog die "Organisation Gehlen" nach Pullach. Aus ihr entwickelte sich später der Bundesnachrichtendienst (BND).
  • Der Standort Pullach war vermutlich ein Fehler: In Bonn wurden die Erkenntnisse aus Bayern oft kaum ernst genommen. Einige Bundeskanzler äußerten sich herablassend.
  • Besondere Nähe unterhielt der Dienst allerdings einige Jahre zur CSU.

Von Hans Leyendecker

Mit Verachtung, Spott und Misstrauen reagierte viele Jahre die Politik außerhalb Bayerns auf Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes (BND). CDU-Kanzler Ludwig Erhard verwies den Verbindungsstab der Geheimen aus der Dachstube des Kanzleramts, weil er "mit solchen Leuten" nichts zu tun haben wollte. Der SPD-Kanzler Helmut Schmidt höhnte über den "Dilettantenverein". Er ziehe den Berichten des Dienstes die Lektüre der Neuen Zürcher vor, sagte er. Auch Altkanzler Helmut Kohl (CDU) hielt von den Analysen der Geheimen wenig: Wenn "ich jetzt etwas sage", spottete Kohl, "dann lesen die das. Und eine Woche später habe ich eine vertrauliche Nachricht, deren Kernpunkt meine Einschätzung ist".

Das "Verhältnis der classe politique zu den Geheimdiensten" sei "gestört", diagnostizierte vor etlichen Jahren der frühere BND-Präsident Hans-Georg Wieck, ein ehemaliger Diplomat. Den Grund der Störung nannte er auch: Der Standort Pullach sei ein Fehler gewesen. Wäre der BND nicht im Isartal, sondern am Rhein, jedenfalls irgendwo in der Nähe von Bonn angesiedelt worden, hätte es möglicherweise ein "Vertrauensverhältnis der politischen Klasse gegenüber dem Dienst" geben können.

Es spricht manches für die Richtigkeit dieser Analyse. Aus Sicht des BND und aus Sicht des Landes auch war der Standort Pullach vermutlich ein Fehler.

Informationen des Dienstes, Nachrichten des Dienstes wurden - anders als heute in Berlin - von den Regierenden in Bonn kaum zur Kenntnis genommen. Was aus Pullach kam, wurde meist nicht gelesen. Es gab in den Achtzigerjahren Überlegungen, wenigstens die Leitung des Dienstes und die für die Auswertung zuständige Abteilung in die Nähe Bonns umzusiedeln. Das hätte der Regierung helfen können zu verstehen, nach welchen Kriterien die vom BND ihre Meldungen auswerten, auch hätte das die Kontrolle erleichtert, aber der Dienst machte nicht mit. Jeder dritte Geheimdienstler war ein waschechter Bajuware. Im Rheinland würde der Dialekt auffallen, sagten die in Pullach.

Eigentlich begann das Problem schon mit der Örtlichkeit Pullach. Während beispielsweise der amerikanische Geheimdienst CIA eine großzügig beschilderte Zufahrt in Langley bei Washington hat, betrieb der BND viele Jahre so etwas wie Mimikry. Offiziell residierte in Pullach die "Bundesvermögensverwaltung, Abteilung Sondervermögen, Außenstelle München". Keiner sollte wissen, was doch jeder wusste: Links und rechts der Heilmannstraße hatte der deutsche Auslandsgeheimdienst seine Zentrale.

Der BND, duckte sich weg, er versteckte sich - und liebte gleichzeitig den Mummenschanz. Fast jeder bekam früher beim Eintritt in den Dienst einen Decknamen verpasst, was andererseits manchem Mitarbeiter das Gefühl außerordentlicher Wichtigkeit gab. Offiziell durfte man die richtigen Namen der anderen nicht kennen. Bei Privateinladungen wurden manchmal sogar Klingelknöpfe überklebt.

Absolute Geheimhaltung schien wichtiger zu sein als professionelle Analyse. Wenn eine Ehefrau, die von der Sicherheit nicht überprüft worden war, ihren Mann nach einem der zahlreichen Betriebsausflüge abholte, konnte es passieren, dass der Gatte danach strafversetzt wurde. Seine Frau konnte ja die Gesichter der anderen gesehen haben. Nach der Wende stellte sich heraus, dass in östlichen Dateien 6800 BND-Mitarbeiter registriert waren: Mit Klarnamen, Decknamen, Arbeitsnamen.

All diese Wichtigtuereien, die in den Neunzigerjahren mehr oder weniger gestutzt wurden, waren schon ein bisschen Pullach-typisch. Als "voralpenländischen Kaffeetrinkerverein" hat ein früherer BND-Präsident den Dienst mal bezeichnet. Der BND war ein Kind des Kalten Krieges und so agierte er auch nach innen. Der erste Präsident, Reinhard Gehlen, umgab sich mit Ex-Nazis, ehemaligen Wehrmachtsoffizieren, und der Feind stand links. Überall. Den Unterschied zwischen NS-Diktatur und Demokratie hatte nicht jeder Mitarbeiter verstanden.

Angefeuert von konservativen Politikern, wurden die Sozialdemokraten kräftig ausgeforscht. Die Ostpolitik Willy Brandts sollte torpediert werden, Egon Bahr, Herbert Wehner galten als Staatsfeinde. Der erste Kanzler der Republik, Konrad Adenauer, verblüffte gern Partner und Gegner mit Intimkenntnissen, die ihm, wie jeder in Bonn wusste, der Dienst geliefert hatte.

Nachdem einer seiner Vizekanzler mal einen zweifelhaften Salon in Paris aufgesucht hatte, fragte ihn Adenauer: "Musste es denn ausgerechnet eine Mulattin sein?" Oder er sagte zu einem Parteifreund: "Weiß Ihre Frau eigentlich, dass Sie ein Verhältnis haben?" Diese Informationen seines Privatgeheimdienstes setzte Adenauer als Herrschaftsmittel ein. Andererseits hat er sogar mal überlegt, Gehlen wegen Verrats verhaften zu lassen. Eigentlich hat er zu eifrige Gefolgsleute verachtet.

Beim BND gaben etliche Jahre die Kasten und Cliquen, also vor allem die "Adelskaste" und die "CSU-Seilschaft", den Takt vor. Es ist schwer zu sagen, wer von den beiden dem Dienst mehr geschadet hat: Die Adeligen, die nicht viel drauf hatten und sich zum Gespött machten, weil sie sich beim Decknamen gern als akademische Hochwürdenträger aufspielten, oder die Christsozialen, die nur über die Partei Karriere gemacht hatten.

In den Siebzigerjahren hatten die Geheimdienstler in Pullach einen "Freundeskreis zur Durchsetzung der CSU-Interessen" gegründet. Anführer war der Gehlen-Mitstreiter und Strauß-Vertraute Kurt Weiss alias Winterstein. Ein Eiferer - gegen alle, die er für links hielt. In den dreizehn Jahren sozialliberaler Koalition versorgte er Strauß mit Material über dessen Gegner.

Es gab, was in den Neunzigerjahren sogar die Staatsanwaltschaft interessierte, einen eigenen Informationsdienst für christsoziale Spitzenpolitiker, dessen Material aus vertraulichen BND-Expertisen bestand. Ein BND-Vizepräsident, der CSU-Mann war, bestellte das Rohmaterial bei seinen Untergebenen; Kurt Weiss, der pensioniert war, aber einen Beratervertrag hatte, wertete dann das Material aus. Auch streng geheime Unterlagen waren darunter. Die Verbindung flog nach der Wende auf, weil auch eine Quelle der Stasi, die in Ost-Berlin den Decknamen "Schwarz" hatte, mitbeliefert worden war. Alles Pullacher Geschichten, die den Eindruck verstärkten, dass dieser Geheimdienst, der gar nicht so wenig herausfand, irgendwie merkwürdig tickte.

Die Kumpanei zwischen Dienst und CSU ging zeitweise sehr weit. Die CSU stellte mal, was für Parteien sehr ungewöhnlich ist, dem BND eine angeblich "hochwertige Quelle" im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei in Österreich zur Verfügung. Die Bedingung war, dass der BND den "Franzl", wie Strauß bei Veranstaltungen in Pullach gefeiert wurde, über alle Nachrichten aus dieser Verbindung informieren sollte.

Die "Plutonium-Affäre" hob die Nähe von CSU und BND auf

Als die sozialliberale Koalition 1969 an die Macht kam, versuchte der damalige SPD-Kanzleramtschef Horst Ehmke, mit den größten Verwerfungen in dem Pullacher Dienst fertig zu werden. Das löste Turbulenzen aus. Beim BND und in der CSU. Ende der Siebzigerjahre kursierte eine anonyme BND-Studie in der CSU-Zentrale, in der von der Machtübernahme der "Viererbande Brandt, Ehmke, Bahr und Wehner" sowie von einer "Horde roter Proleten" die Rede war.

Mit der sogenannten Plutonium-Affäre Mitte der Neunzigerjahre verlor der BND die Christsozialen als die letzten Getreuen. Die CSU-Oberen fürchteten damals, in den Strudel des Skandals gerissen zu werden, und setzten sich ein Stück ab. Die unheimliche Nähe von Pullach und der CSU war damit vorbei.

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SZ vom 01.06.2017/bhi
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