Die Regierung von Oberbayern weist sie zu - und die Stadt München muss schauen, wo und wie sie die Menschen unterbringt. So läuft es, wenn Geflüchtete hierherkommen. Allein in den Jahren 2024 und 2025 rechnet das Sozialreferat der Stadt zum Beispiel mit 7200 zugewiesenen Geflüchteten, sowohl aus der Ukraine als auch aus anderen Ländern, das sind 300 Personen im Monat. Die Kommune zahlt die Kosten für die Unterbringung zunächst aus eigenem Budget. Die Regierung von Oberbayern (ROB) erstattet der Kommune aber die Gelder rückwirkend.
Zumindest in der Theorie. Denn auf vielen Ausgaben bleibt die Stadt sitzen, und das schon seit Jahren. Aktuell summieren sich die offenen Beträge auf 52,1 Millionen Euro. Dies geht aus einem Bericht des Sozialreferats hervor, der an diesem Donnerstag dem Stadtrat vorgelegt wird. Ob die Gelder jemals vollständig von der Regierung von Oberbayern zurückgezahlt werden, ist bislang ungeklärt. Dabei liegen die Ausgaben bereits zehn Jahre zurück. Wie ist das möglich?
Als 2015 zahlreiche Menschen in Deutschland ankamen, um hier Asyl zu suchen, mussten viele Dinge kurzfristig entschieden werden. Leichtbauhallen, aber auch stabilere Bauten für längere Aufenthalte mussten schnell geplant und errichtet, Notunterkünfte vorgehalten, Sicherheitsdienste engagiert werden. Was genau davon und in welcher Form der Kommune zurückgezahlt wird, wurde teilweise erst nachträglich geregelt.
Beispiel Sicherheitsdienste: Eigentlich scheinen sich die Beteiligten einig zu sein, dass in allen Unterkünften für geflüchtete Menschen ein Sicherheitsdienst notwendig ist. Etwa 13 Millionen Euro sind dafür bereits erstattet worden. Auch laufende Sicherheitskosten werden übernommen. Offen bleiben jedoch weitere acht Millionen Euro aus den Jahren 2015 und 2016. Der Grund: Die ROB zahlt erst ab Februar 2017, erst von diesem Zeitpunkt an sei die Erstattung durch einen Ministerratsbeschluss legitimiert, heißt es im Bericht. Alles, was davor lief, geht auf eigene Kosten der Kommune.
Das will die nicht auf sich sitzen lassen: „Sollte die ROB auch in Schriftform bei ihrer ablehnenden Haltung bleiben, wird geprüft, ob eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt wird“, heißt es in dem Bericht. Die Regierung von Oberbayern sagt, dass sie die Kosten für die Unterbringung von Geflüchteten unter Beachtung der geltenden Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vollständig erstatte. "Soweit Kreisverwaltungsbehörden im Rahmen der Kostenerstattung einzelne Entscheidungen der Bezirksregierungen für unzutreffend halten, steht es ihnen frei, insoweit eine gerichtliche Klärung herbeizuführen."
Der größte offene Posten sind die Baukosten für die Unterkünfte. Hier stehen 36 Millionen Euro unter einem Fragezeichen. Die Stadt München sagt: Wir haben die Unterkünfte errichtet und wollen das Geld dafür haben. Die Regierung von Oberbayern dagegen beruft sich auf pauschalierte Vorauszahlungen, die sie pro Objekt tätigt. Diese sind auf eine „prognostische Laufzeit“ von 15 Jahren ausgerechnet - und wenn eine Nutzung kürzer geplant ist, etwa weil auf dem Areal später eine Schule oder ein Alten- und Servicezentrum entstehen soll, werden auch die Vorauszahlungen weniger. Auf der Differenz zwischen den Ausgaben für den Bau und den nach Nutzungsdauer ausgerechneten Zahlungen bleibt die Stadt bislang sitzen. Auch hier steht im Raum, ob eine Klärung vor Gericht weiterhelfen könnte.
„Da sind sehr viele Menschen damit beschäftigt, hin- und herzurechnen“
Zunächst aber setzen beide Seiten auf Verhandlungen. Man arbeite gut zusammen, betont Gerhard Mayer, Leiter des Amts für Wohnen und Migration, auf Anfrage. Es sei ja auch beiden Seiten daran gelegen, zu klären, wer denn nun schlussendlich für die Ausgaben aufkommen soll. Jahr für Jahr werden neue Summen verhandelt und erstattet, es geht also langsam vorwärts, zumindest bei einigen Posten. Allein seit 2022 wurden der Stadt rund 13,6 Millionen Euro durch die ROB erstattet.
Eine Klage sei aktuell daher eher unwahrscheinlich, so Mayer. Aber nicht unmöglich. Im Bericht steht: „Soweit eine Einigung nicht erzielt werden kann, werden die Erfolgsaussichten einer klageweisen Geltendmachung geprüft und gegebenenfalls Klage erhoben.“
Die Verhandlungen bedeuten allerdings auch einen großen Aufwand, sowohl bei der Stadt als auch bei der Regierung von Oberbayern. Die sozialpolitische Sprecherin der Grünen/Rosa-Liste-Fraktion im Rathaus, Clara Nitsche, kritisiert die „wahnsinnige Bürokratie“, die damit einhergehe. „Da sind sehr viele Menschen damit beschäftigt, hin- und herzurechnen.“
Außer den noch offenen Millionenbeträgen, über die sich die beiden Verwaltungen streiten, gibt es noch viele weitere Millionen, die die Stadt für Geflüchtete ausgibt - und deren Übernahme überhaupt nicht zur Debatte steht. Daran erinnert auch Nitsche. Im Jahr 2017 bezifferte das Sozialreferat die Ausgaben für Geflüchtete, die nicht erstattet werden, bereits mit knapp 98 Millionen Euro. Höchster Posten darin waren die Verwaltungs- und Personalkosten der Kommune. Aktuellere Zahlen waren vom Sozialreferat in der Kürze der Zeit nicht zu bekommen.
Laut Nitsche ermögliche die Stadt außerdem doppelt so viele Sozialarbeiter, wie der Freistaat eigentlich erstattet, zusätzliche Sprachkurse, psychosoziale Unterstützung oder Pflegepersonal für vulnerable Personen. „Es ist ein hohes finanzielles Engagement und sinnvoll investiertes Geld“, findet Nitsche, da es für weniger Konflikte und eine bessere Integration sorge. Geld, das allein die Kommune trägt.