Gefängnis:Vom Mörder zum Helfer

Gefängnis: Dunkler Anzug, elegante Krawatte - Pedro Holzhey ist seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis auf Jobsuche. Doch er weiß genau: "Es wird schwer."

Dunkler Anzug, elegante Krawatte - Pedro Holzhey ist seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis auf Jobsuche. Doch er weiß genau: "Es wird schwer."

(Foto: Peter Roggenthin)

Pedro Holzhey hat seine Frau mit einem Hammer erschlagen. Nach 15 Jahren Haft wird er vorzeitig entlassen - und will jetzt anderen Häftlingen helfen.

Von Wolfgang Görl

Es ist eine Szene wie im Fernsehkrimi, ein eindeutiges Bild, viel zu plakativ, um wahr zu sein - und doch ist es die Wirklichkeit: Das große Stahltor der Justizvollzugsanstalt Stadelheim öffnet sich, ein Mann tritt heraus, allein, unter dem Arm nur eine Aktentasche, seine übrigen Habseligkeiten sind noch in der Gefängniszelle. Ein neues Leben beginnt, ein anderes nach 15 Jahren Knast, oder sollte man besser sagen: Hoffentlich ein anderes, denn der offene Horizont, der sich aufgetan hat, bedeutet ja auch Ungewissheit; die Wege, die vor ihm liegen, könnten auch Irrwege sein. Aber egal. Endlich frei.

Sie ist kein fröhlicher Rausch, diese Freiheit, sie besteht vielmehr aus der Notwendigkeit, jetzt irgendwie zurechtzukommen. Zuerst gilt es, ein Quartier für die Nacht zu finden. Zum Glück gibt es noch alte Freunde. Die ersten Wochen nach der Entlassung lebt er in München. Die Welt, so der erste Eindruck, hat sich verändert: "Sie ist hektischer und oberflächlicher geworden."

"Die haben mich praktisch rausgeschmissen"

Es war der 24. Oktober 2016, ein milder Herbsttag in München. Die morgendliche Gefängnisroutine, der gleiche Trott wie seit 15 Jahren: Für Pedro Holzhey schien es ein Tag zu werden wie jeder andere. Nur gab es einen Lichtblick: In etwa einer Woche, so hatte man signalisiert, würde er aus der Haft entlassen werden. Darauf hatte er sich seit Wochen vorbereitet, hatte die ersten Schritte in die Freiheit geplant, seine sieben Sachen gepackt. Jetzt hieß es warten, geduldig sein. Da kam es schon überraschend, dass er plötzlich ins Anstaltsbüro gebeten wurde. Eine Stimme am Telefon verkündete, er könne gehen - und zwar sofort. Das war quasi ein Befehl. Es blieb nicht einmal Zeit, in die Zelle zurückzugehen und den Koffer mitzunehmen. "Die haben mich praktisch rausgeschmissen", erzählt er. Seine Habseligkeiten musste am nächsten Tag ein anderer abholen.

Rund zehn Wochen später sitzt Holzhey in einer griechischen Taverne, ein paar Autominuten entfernt von seinem neuen Wohnsitz in der Oberpfalz. Den Ouzo, den der Wirt spendiert, lässt er stehen, keinen Alkohol, nur Wasser. Er hat einen dunklen Anzug angelegt, dazu eine elegante Krawatte - klassisch zeitloser Chic, den er unprätentiös zu tragen weiß. Was er einmal besaß, das noch nicht abbezahlte Haus, das Geld auf der Bank, ist längst verloren, das geht rasend schnell, wenn man im Gefängnis sitzt.

Derzeit bezieht er Arbeitslosengeld, er ist auf Jobsuche, möglichst eine Stelle als Diplomingenieur, was er gelernt hat. Er macht sich keine Illusionen: "Es wird schwer, aufgrund meines Alters und wegen meiner Vorstrafe. Ich muss flexibel sein." Holzhey, geboren 1957 in Stuttgart als Sohn einer Künstlerfamilie, wurde im November 2002 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Gefängnis hat er einen so guten Eindruck hinterlassen, dass er ungewöhnlich frühzeitig freikommt.

Pedro Holzhey hat einen Menschen umgebracht. Er hat schwere Schuld auf sich geladen. Er leugnet das nicht. Dies zu akzeptieren, es anzunehmen ohne Ausreden, ohne Wenn und Aber, war, so sagt er, der erste Schritt, um sich dem Leben nach der selbstverursachten Katastrophe stellen zu können. "Du musst dir eingestehen, was du getan hast." Holzhey spricht schnell, doch es wirkt überlegt, so als hätte er schon tausendmal über all diese Dinge nachgegrübelt. Und das hat er ja auch. Dabei hat er zu Gott gefunden, er ist ein religiöser Mensch geworden. Und er hat eine Mission, die er in seinem künftigen Leben erfüllen will: Den Menschen zu helfen, die im Gefängnis sitzen, ihre Resozialisierung zu fördern und den Strafvollzug humaner zu gestalten.

Ob er ein anderer geworden ist als der Mensch, der er vor der Tat war? Vielleicht kein anderer Mensch, sagt er, aber "mir sind andere Werte wichtig geworden". Ohnehin kann man der Vergangenheit nicht entfliehen, sie bleibt gegenwärtig in Erinnerungen, Erfahrungen und, wenn sie grausam war, in Albträumen. Aber verlief dieses frühere Leben, das Leben vor dem Verbrechen, nicht lange Zeit in grundsoliden Bahnen? War es nicht sogar eine Erfolgsgeschichte? Sie klingt jedenfalls so. Nach dem Abitur das Studium an der Bundeswehrhochschule in Neubiberg, Geodäsie, also Vermessungswesen, dann die Karriere bei der Truppe, Generalstabslaufbahn, der Aufstieg zum Oberstleutnant. Vordergründig waren das gute Zeiten.

"Ich würde diese Berufswahl immer wieder treffen", sagt er. "Nur sollte man nicht verheiratet sein." Aber Holzhey war verheiratet. Das Paar hatte eine gemeinsame Tochter, einen Sohn hatte Holzhey in die Ehe mitgebracht. Die Liebe, die Ehe, die Kinder - alles schien zu passen, und doch lief es schief. Die ständigen Ortswechsel, die der Soldatenberuf mit sich bringt, die häufigen Absenzen waren Gift für das Zusammenleben.

Um das Vagabundendasein zu beenden und in München sesshaft zu werden, hat Holzhey, so erzählt er es, bei der Bundeswehr gekündigt und seine Berufslaufbahn bei einer Bundesbehörde fortgesetzt. Gebracht hat es nichts, "die Ehe war zerrüttet". Unentwegt gab es Streit, Holzhey ist mehrmals ausgezogen, mal für ein paar Monate, mal für ein paar Tage, und dann kehrte er doch wieder zurück, nicht zuletzt wegen seiner Tochter, "die das Höchste für mich war, mein Lebensinhalt". Zwischen seiner Frau und ihm aber "gab es keine innere Verbindung mehr". Und dann war da noch eine andere Frau. Holzhey hatte eine Geliebte.

"Wenn auf beiden Seiten einer zieht, dann zerreißt es einen irgendwann"

Am 2. November 2001 ist Pedro Holzhey zum Mörder geworden. Wie es dazu kam, stellt er heute so dar: "Irgendwie hat sich so viel Druck aufgebaut, dass ich diese Ehe auf der einen Seite nicht mehr ausgehalten habe, auf der anderen Seite sie auch nicht aufgeben konnte. Wie wenn auf beiden Seiten einer zieht, dann zerreißt es einen irgendwann." Wieder tobte ein Streit, seine Frau habe verlangt, er solle sofort das Haus verlassen. "Als ich erfahren habe, dass ich jetzt mein Kind verlieren soll, bin ich ausgerastet." Holzhey hat seine Frau mit einem Hammer erschlagen, er hat exzessiv auf sie eingedroschen, etwa zwölfmal.

Er versucht der Polizei weiszumachen, es handle sich um einen Raubmord

"Dann bin ich zu mir gekommen und hab' gesehen, was ich angerichtet habe. Danach hab' ich versucht, die Spuren zu beseitigen, ich hab' die Koffer durchwühlt, damit es so aussieht, als wäre ein Einbrecher da gewesen. Und dann bin ich in den Wald gelaufen und hab' dort den Hammer und die Klamotten weggeschmissen." Als er zurückkam und ein Bekannter vor der Tür stand, habe er Ahnungslosigkeit vorgetäuscht und sich überrascht gegeben, als sie die Leiche im Keller fanden. Der Polizei habe er weiszumachen versucht, es handle sich um einen Raubmord. "Noch in derselben Nacht bin ich eingeknickt und habe die Tat gestanden."

War es so? Ist das die Wahrheit? Oder ist das die Version, die sich ein Mensch, vielleicht mehr intuitiv als bewusst, zurechtlegt, um eine Geschichte zu haben, die geeignet ist, nicht ganz an sich zu verzweifeln? Das Landgericht München sah die Tat jedenfalls in einem anderen Licht. Dem Urteil zufolge hat Holzhey keineswegs im Affekt gehandelt, sondern vorsätzlich. Es war Mord, darauf steht lebenslänglich. Sein erster Gedanke: "Das war's. Ich habe mein Leben verwirkt." Rückblickend sagt er: "Ich hätte als Richter wahrscheinlich dasselbe Urteil gefällt."

Im Herbst 2002 verschwand Holzhey hinter den Mauern der Haftanstalt Stadelheim. Er fühlte sich, sagt er, wie ein Mönch in seiner Zelle: "Das sind jetzt meine vier Wände, meine Klamotten und mein Bett - mehr hab' ich nicht auf der Welt. Und ich hab' angefangen zu beten, obwohl ich kein Christ war." Bei den Mithäftlingen hatte er anfangs einen schweren Stand. Die hielten ihn für einen Kripobeamten, einen "inhaftierten Bullen", entsprechend feindselig begegneten sie ihm. "Jeder Staatsdiener hinter Gittern ist verhasst." Es war nicht einfach für Holzhey, sich zu behaupten. Die harten Jungs, die Mafia, die Junkies, die kaputten Typen, überhaupt das ganze Elend. "Man ist ja extrem labil. Man ist dort auch offen für illegale Geschäfte oder Drogen - oder aber für Gott."

Eines Tages fragte ihn der katholische Gefängnispfarrer: "Wollen Sie reden?" Ja, das wollte er. Er musste das alles loswerden, und er merkte, dass der Geistliche etwas zu sagen hatte, das ihm weiterhalf: "Mir haben sich ganz neue Gedankenwelten erschlossen." Gedanken über Schuld, Vergebung, Versöhnung, Barmherzigkeit. Es war wie ein Licht in der Nacht: "Einen Gott zu haben, an dem man sich festhalten kann - das ist in so einer Situation wie ein Geschenk des Himmels. Ich habe gelernt, den Rucksack zu tragen. Das ist mein Rucksack, der gehört zu mir - aber Gott hilft mir tragen."

Nach einem Jahr hat sich Holzhey, der in seinem ersten Leben nichts mit der Kirche zu tun hatte, von einem katholischen Pfarrer taufen lassen. "Es war mir wichtig, mein Bekenntnis zu Gott zu dokumentieren." Er las die Bibel von vorne bis hinten, auch den Koran und andere religiöse Schriften. "Ich bin sozusagen inhaltlich nachgereift." Später hat er als Mesner in der Stadelheimer Anstaltskirche gearbeitet, bis zu seiner Entlassung war er dort tätig. Auch zwei Fernstudiengänge hat Holzhey während seiner Haft absolviert, "um die grauen Zellen zu beschäftigen".

"Es ist menschenunwürdig. Der Gefangene ist kein Individuum mehr"

In seinem früheren Leben ist er oft an Stadelheim vorbeigefahren, und wenn er überhaupt etwas dabei dachte, dann das: Es wird schon in Ordnung sein, was da hinter den Mauern passiert. Jetzt sagt er: "Es ist menschenunwürdig. Der Gefangene ist kein Individuum mehr, sondern nur noch eine Nummer oder eine Marionette, die gesteuert wird." Den Freiheitsentzug habe er als Strafe akzeptiert, nicht aber die tausend "Nebenstrafen", die damit einhergingen: die "Willkür" des Aufsichtspersonals ("die können mit dir machen, was sie wollen"), die Fremdbestimmung ("man kann nicht einmal über sein eigenes Geld verfügen"), die restriktiven Besuchszeiten, zweimal 30 Minuten im Monat. Alles in allem sei es kein Wunder, dass viele Gefangenen wieder rückfällig würden: "Der Strafvollzug kann gut verwahren, aber er versagt bei seinem Auftrag der Resozialisierung."

Im Jahr 2005 gab es in Stadelheim eine sogenannte Begegnungswoche, bei der ehrenamtliche Helfer mit den Gefangenen zu Gesprächskreisen zusammenkamen und ehemalige Häftlinge erzählten, wie sie aus dem Sumpf herausgekommen sind. "Das hat mich begeistert", erinnert sich Holzhey. Da waren Leute, die in puncto Strafvollzug "dieselben Visionen von Barmherzigkeit, Strafvollzug und Gesellschaft hatten wie ich". Wie, wenn er da mitmachen würde? Holzhey machte mit. Zusammen mit der Kriminologin Angelika Lang und der Erzieherin Conny Schöllkopf gründete er das Netzwerk "Set-Free". Der gemeinnützige Verein hat sich zum Ziel gesetzt, "soziale Gefängnisarbeit aus dem christlichen Glauben zu fördern und zu verbreiten". Seine Mitarbeiter wollen eine Brücke bauen zwischen Strafvollzug und Gesellschaft, sie kümmern sich um die Häftlinge und deren Angehörige, betreiben Sucht-, Gewalt- und Kriminalprävention, vermitteln Werte, die nicht zuletzt in der christlichen Ethik wurzeln. Und sie helfen auch den Opfern von Straftaten.

Holzhey fungiert inzwischen als Geschäftsführer des Vereins. Davon leben kann er nicht, es ist ein ehrenamtlicher Job. Aber es ist ein "neuer Lebensinhalt", der, so die Hoffnung, eines Tages zu einem Beruf wird, der ihn ernährt. Er weiß ja, dass es keine Brücke zurück gibt ins alte Leben. "Da ist kaum etwas, woran ich anknüpfen kann, außer die alten Freundschaften, die erhalten geblieben sind. Ansonsten läuft alles auf einen kompletten Neustart hinaus."

Noch führt auch kein Weg zu seinen beiden Kindern. Die Tochter, die zu Pflegeeltern kam, hat ihn die ersten zwei Jahre noch im Gefängnis besucht, dann ist die Verbindung abgebrochen. Sie wollte nicht mehr. Die Briefe, die er ihr schrieb, sind ungeöffnet zurückgekommen, ebenso die Briefe an seinen Sohn. Mittlerweile ist dieser 36 Jahre alt, die Tochter ist 13 Jahre jünger. Holzhey hofft, den beiden über dritte Personen wieder näherzukommen. "Dass irgendwie ein Kontakt mit meinen Kindern stattfindet, ist meine tiefste Sehnsucht. Aber ob sie mir jemals verzeihen können, weiß ich nicht."

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