Gedenktafel im KZ-Dachau:Auf heikler Mission am Ort des Grauens

Gedenktafel im KZ-Dachau: Um der ungarischen Opfer des NS-Regimes zu gedenken, kam der Minister Zoltán Balog aus Budapest nach Dachau.

Um der ungarischen Opfer des NS-Regimes zu gedenken, kam der Minister Zoltán Balog aus Budapest nach Dachau.

(Foto: Niels P. Jørgensen)
  • In der KZ-Gedenkstätte Dachau wird der ermordeten ungarischen Juden gedacht: Minister Zoltán Balog enthüllt im Auftrag seines alten Weggefährten Orbán eine Gedenktafel.
  • Weil die ungarische Regierung selbst mit Antisemitismus zu kämpfen hat, wird der Termin für die Ehrengäste Charlotte Knobloch und Ludwig Spaenle eine politisch heikle Mission.

Von Helmut Zeller, München/Dachau

Dachau kommt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán gerade recht, um sein schlechtes Image im Westen etwas aufzupolieren. Unterdrückung der Pressefreiheit, Menschenrechtsverletzungen - die rechtskonservative Regierung in Budapest erntet viel Kritik aus Brüssel. Da war die Enthüllung einer Gedenktafel am Donnerstag an der KZ-Gedenkstätte doch einmal eine gute Sache. Minister Zoltán Balog erinnerte im Auftrag seines alten Weggefährten Orbán an die 5500 ungarischen Juden, die in Dachauer KZ-Außenlagern ermordet wurden.

"Unsere Regierung tut alles, um den Vorwürfen des Antisemitismus zu begegnen", hieß es aus dem Generalkonsulat in München. Zum Beispiel Gedenktafeln in Sachsenhausen und Ravensbrück. Aber zu Hause tut sie auch viel, um die Vorwürfe zu bestätigen - und das machte den Akt zu einer politisch eher heiklen Mission für die prominenten Gäste, Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) und Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München. "

So erfüllt es mit Sorge, wenn in Ungarn die Rechtsextremisten der Jobbik zur zweitstärksten politischen Kraft erstarken", sagte Knobloch. Das wisse auch Viktor Orbán, der Hassreden gegen Minderheiten durch ein Gesetz verboten habe. Orbán ist jedoch ein Meister der Zweideutigkeit: So soll jetzt in Székesfehérvár, er stammt aus der Stadt, eine Statue zu Ehren des Historikers Bálint Hóman entstehen - eines Antisemiten, der die ungarischen antijüdischen Gesetze befürwortet hatte.

565 000 ungarische Juden starben

Darüber wurde in Dachau nicht gesprochen, auch nicht über das umstrittene Besatzungsdenkmal auf dem Freiheitsplatz in Budapest, das Ungarn zum Opfer macht, seine Nähe zum Hitler-Regime und seine Beteiligung am Holocaust runterspielt. Dazu hat sich Zoltán Balog, Minister für Gesellschaftliche Ressourcen, nie geäußert.

Insgesamt starben mehr als 565 000 ungarische Juden. Kritiker des Denkmals, darunter Mitglieder der jüdischen Gemeinde, haben Fotos von deportierten Frauen, Männern und Kindern, Steine, Blumen, Teddybären und Koffer zu einem Gegendenkmal gestaltet. Spaenle meinte, die Würde der KZ-Gedenkstätte erlaube es nicht, über diese Dinge zu sprechen. Heute stünden die Opfer im Vordergrund, sagte der Minister der SZ.

Balog ist kein Antisemit: Das sagt die Budapester Journalistin Agnes Böhm, die für israelische Zeitungen schreibt. Und: "Er macht, was Orbán ihm sagt." Darauf achtete im Gedenkraum der KZ-Gedenkstätte auch der stellvertretende Staatssekretär aus dem Amt des Ministerpräsidenten. Spaenle plädierte für eine "lebendige Erinnerungskultur". Nur an den historischen Fakten führt kein Weg vorbei, wie Knobloch betonte. Die seien auch in der deutschen Erinnerungskultur noch zu wenig bekannt, erklärte Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann.

Massenmord am Donauufer in Budapest

Sie wies darauf hin, dass Ungarn lange Zeit Hitler-Deutschland die Juden nicht ausgeliefert hat. Ohne die massive Unterstützung durch die ungarische Regierung jedoch hätten nicht Hunderttausende Juden im Sommer 1944 nach Auschwitz deportiert werden können, nachdem die Wehrmacht das Land besetzt hatte. Ungarische "Pfeilkreuzler" erschossen weitere 50 000 Juden am Donauufer in Budapest. Zehntausende wurden auf Todesmärsche Richtung Österreich getrieben. Doch natürlich waren die Nationalsozialisten Verursacher und treibende Kraft des Massenmords an den Juden.

"Wir sind doch keine Antisemiten", sagte ein Mitarbeiter des Generalkonsulats. Sonst gebe es doch in Budapest keine so große und blühende jüdische Gemeinde. Und zwei Gesichter: Die Katholische Péter-Pázmány-Universität führt ein Pflichtfach "Holocaust und Erinnerung" für ihre 9500 Studenten ein. Vielleicht gerade wegen des wachsenden Hasses auf Juden, Roma, Fremde und Schwule. Zoltán Balog, früher calvinistischer Pastor, tut viel für die Roma - vertritt aber auch die Forderung nach Segregation der Roma-Kinder in Schulen.

"Sehr opportunistisch, aber kein schlechter Mensch"

Ins KZ-Lagersystem Dachau wurden mehr als 21 000 Menschen aus Ungarn verschleppt. Die Mehrheit waren Juden, daneben 1150 Roma und 4000 politische Häftlinge, Kommunisten und andere Widerstandskämpfer. "Das sind unsere Opfer", sagt Minister Balog. "Es geht uns an, wenn wir eine Nation bleiben oder werden wollen", erklärt der Vertreter der Orbánschen Zweideutigkeit, der offenkundig gerne von der "Volksgemeinschaft" spricht. Zu der gehöre auch die Erinnerungskultur. "Wir sind verspätet", sagte Balog, unter der kommunistischen Diktatur habe keine Auseinandersetzung mit dem Holocaust stattgefunden.

Die Philosophin Ágnes Heller, prominenteste Gegnerin der Orbán-Regierung, beschreibt Balog so: "Es ist sehr opportunistisch, aber kein schlechter Mensch". Auch ein glühender Patriot, der unbequeme Abgeordnete schon mal als vaterlandslose Gesellen beschimpft.

Knobloch appellierte an die Wertegemeinschaft der EU - von der sich die Orbán-Regierung mit Blick auf die Jobbik-Stimmen immer weiter entfernt. Zuhause wird gerade über die Errichtung eines vier Meter hohen Zaunes zur Abwehr von Flüchtlingen diskutiert. Balog blieb noch in München. Das Konsulat schenkte ihm am Abend eine Lesung aus satirischen Texten. Das passt irgendwie.

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