Am 10. Februar 1970 versuchten palästinensische Terroristen am damaligen Münchner Flughafen Riem, eine Maschine der israelischen El Al zu entführen. Zwei Männer wurden dabei zu Helden: Pilot Uriel Cohen griff einen der Attentäter an und vereitelte dadurch wohl die geplante Entführung. Passagier Arie Katzenstein warf sich auf eine von den Terroristen gezündete Handgranate und starb – rettete aber dadurch das Leben anderer Menschen. Am Dienstag ist am Ort des Anschlags ein Gedenkort eröffnet worden – 55 Jahre nach dem erschütternden Geschehen.
Lange Zeit war das aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Nun sollen ein Kunstwerk der renommierten Künstlerin Alicja Kwade und eine Gedenktafel vor dem früheren Flughafen-Tower die Erinnerung an die Geschehnisse von damals wiedererwecken.
Auch für die Familie des Todesopfers ist das von besonderer Bedeutung, wie Ofer Katzenstein, eines der drei Kinder von Arie Katzenstein, bei der Eröffnung des Gedenkorts sagte: „Von nun an gibt es einen Ort für uns.“ Er war gerade einmal drei Monate alt, als sein Vater starb, seine älteren Schwestern Miki Dror und Tami Mairowich fünf beziehungsweise zwei Jahre alt. Über ihren Vater, so berichteten sie, sei nach dem Anschlag in ihrer Familie nicht viel gesprochen worden, sie hätten nicht viel über ihn gewusst.
Ihre Mutter habe sich nach dem Anschlag entschieden, den Kindern ein glückliches Zuhause zu bieten und sie vor dem „entsetzlichen Schmerz und vor ihrer eigenen Trauer zu schützen“, indem sie nicht darüber sprach. Auch ihr Großvater habe darüber geschwiegen. Doch auf diese Weise „schien das Ereignis zu verschwinden – ohne Erklärung“, sagte Tochter Tami laut der deutschen Simultanübersetzung aus dem Hebräischen. Man habe das Gefühl gehabt, keine Fragen stellen zu dürfen. „Doch unter der Oberfläche brodelte ständig der Schmerz über seine Abwesenheit.“


Vor sechs Jahren dann wandten sich die Kinder Katzensteins auf Anregung von Freunden an die Stadt München – und stießen auf mehr Resonanz als erwartet. Statt einer kleinen Gedenktafel wurde nun auf dem jetzigen Standort der Medizintechnik-Firma Brainlab das mehrere Meter hohe Kunstwerk geschaffen. Sie habe erst dann gemerkt, wie viel ihr das bedeute, berichtete die älteste Tochter Miki Dror.
Es sei „beschämend“, dass es ein halbes Jahrhundert gedauert habe, bis in München des Anschlags gedacht werde, sagte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Bedeutung und Tragweite der vereitelten Flugzeugentführung, die zu Beginn der 1970er-Jahre in einer ganzen Reihe von antisemitischen Angriffen stand, seien damals „eklatant unterschätzt“ worden.

Attentat am alten Münchner Flughafen 1970:„Milliardstel Sekunden, die entscheiden“
Alicja Kwade hat die Skulptur für den Gedenkort München-Riem 1970 geschaffen, mit dem an ein antisemitisches Attentat erinnert wird. Welche Rolle die Zeit dabei spielte, wie ihr die Polizei geholfen hat, und warum die Familie Katzenstein so wichtig war.
Mit dem Attentat vom 10. Februar 1970 rückte der Nahostkonflikt München erstmals ganz nah. Crew und Passagiere einer El-Al-Maschine landen gegen Mittag auf dem Münchner Flughafen und wollen nach London weiterreisen. Im Transitbereich werden sie von drei mit Handgranaten und Pistolen bewaffneten Männern überfallen, die das Flugzeug entführen wollen. Doch Pilot Uriel Cohen greift einen der Terroristen an, es kommt zu einem Gerangel, eine Handgranate explodiert.
Einige Passagiere – darunter der 32-jährige Arie Katzenstein und sein Vater Heinz – sind bereits in einen bereitstehenden Bus gestiegen. Als ein Terrorist eine Granate in den Bus schleudert, wirft sich Arie Katzenstein darauf. Katzenstein, der einige Jahre in München gelebt hatte, stirbt vor den Augen seines in Deutschland geborenen Vaters, der zur NS-Zeit nach Palästina geflohen war. Pilot Cohen und zehn weitere Passagiere werden bei dem Angriff zum Teil schwer verletzt.

„Es ist eine furchtbare Ironie der Geschichte, dass die ersten Opfer der Terrorserien in Deutschland nach 1945 – wieder – Juden waren. Damit haben wir uns bislang viel zu wenig auseinandergesetzt“, sagte Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) bei dem Gedenken. Umso mehr müsse man antijüdischen Einstellungen auf den Grund gehen. „Dieses ,immer wieder' muss ein Ende haben“, betonte Aigner.
Die Landtagspräsidentin wie auch OB Reiter und Talya Lador-Fresher, Generalkonsulin Israels, verwiesen auf den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, aber auch auf den geplanten Angriff auf Israels Generalkonsulat in München im September 2024.
Auch die fünf Kinder des Piloten Uriel Cohen, die 1970 zwischen einem und neun Jahren alt waren, sind zur Eröffnung des Gedenkorts nach München gereist. Sie habe ihren Vater immer als „Superhelden“ betrachtet, sagte Tochter Tali Cohen in einer eher inoffiziellen Ansprache neben dem Kunstwerk. Sie und ihr Bruder Dror Cohen zeigen sich etwas irritiert darüber, welch geringe Rolle ihnen bei der Gedenkveranstaltung zugesprochen worden sei. Denn auch ihr Vater hätte bei seinem Eingreifen ja sterben können. Uriel Cohen starb 2015.
Auf dem Kunstwerk von Alicja Kwade vor dem früheren Tower ist nur das Todesopfer Arie Katzenstein namentlich vermerkt, auf der Gedenktafel aber auch Cohen. Kwade sagte, sie sei dankbar, dass sie das Kunstwerk habe realisieren dürfen, auch in dieser Größe. Die Firma Brainlab mit Gründer Stefan Vilsmeier hatte nicht nur dem Standort auf dem Firmengelände zugestimmt, sondern trägt auch die Kosten des Kunstwerks, zu deren Höhe man aber keine Angaben machen will. Die Skulptur Kwades präsentiere keine einfachen Wahrheiten, sagte Vilsmeier. Das Werk solle nicht beruhigen, sondern irritieren. Denn Erinnern sei nichts Abgeschlossenes.