137,5 Kilogramm hat sich der Gewichtheber auflegen lassen. Drei Versuche hat Yossef Romano. Im dritten Versuch reißt die Kniesehne des israelischen Mittelgewichtlers. Die Olympischen Sommerspiele von München sind an diesem 31. August 1972 für den Sportler beendet. Am 6. September will Yossef Romano die Heimreise antreten.
Am 6. September 1972 ist Yossef Romano tot. Ermordet von palästinensischen Terroristen, die am 5. September das israelische Mannschaftsquartier an der Connollystraße gestürmt haben. Romano, wiewohl auf Krücken, wehrt sich und versucht, einem der Angreifer das Gewehr zu entreißen. Er wird niedergeschossen. Einen Arzt lassen die Terroristen nicht zu ihm. Yossef Romano verblutet vor den Augen seiner Teamkameraden.
Olympia-Attentat von 1972:München beendet eines der peinlichsten Kapitel der Stadtgeschichte
Zwölf Menschen starben beim Olympia-Attentat, 45 Jahre später gibt es endlich einen Erinnerungsort, der mehr ist als eine steinerne Gedenktafel.
Am 6. September 2017 steht Ilana Romano, seine Witwe, auf dem Lindenhügel im Münchner Olympiapark, nur wenige hundert Meter von der Stelle entfernt, an der ihr Mann starb. Zusammen mit den Angehörigen der elf ermordeten israelischen Sportler und des beim Befreiungsversuch gestorbenen bayerischen Polizisten ist sie Gast bei der Einweihung des Erinnerungsorts an das Olympia-Attentat.
Jahrzehntelang hat Ilana Romano zusammen mit Ankie Spitzer, der Witwe des ermordeten Fechttrainers Andrei Spitzer, dafür gekämpft. Es waren "Jahre der Verweigerung", sagt Romano. Sie erinnert sich daran, wie Spitzer und sie "auf Antisemitismus und Mangel an minimaler Sensibilität" stießen, ja, sogar auf den Vorwurf, die israelischen Sportler, die Opfer, hätten Terror und Krieg nach Deutschland gebracht.
Den Schmerz darüber haben die Witwen nicht vergessen. Doch Romano sagt auch: "Heute auf dem Hügel zu stehen, ist ein höchst bewegendes historisches Ereignis." Die Angehörigen seien darüber "dankbar und voller Stolz". Und Spitzer lobt die "wunderschöne, bewegende Gedenkstätte". Münchens Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, der die Spiele nach München geholt hatte, ist unter den Menschen, die Romanos Worte am Erinnerungsort hören. Er sagt, er habe den Moment als "ein Zeichen der gemeinsamen versöhnenden Trauer" empfunden.
Von gemeinsamer Trauer sprechen viele an diesem bemerkenswerten Mittwoch, und doch mischt sich in die Reden auch Empörung. Bei Reuven Rivlin zum Beispiel, dem israelischen Staatspräsidenten. Von den "verfluchten Terroristen" spricht er, seine Rede ist emotional, wenn es um seine ermordeten Mitbürger geht, sie ist klar, wenn er vom internationalen Terrorismus spricht, dem sein Staat ja in ganz besonderem Maße ausgesetzt ist: "Vom Mahnmal muss eine Botschaft ausgehen: Wir dürfen dem Terror gegenüber nicht nachgeben, er muss angeprangert werden." Rivlin fordert eine enge Zusammenarbeit aller Staaten dagegen.
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Die Lebensläufe von elf Isrealis und einem Deutschen, die bei dem Anschlag ums Leben kamen, sind auf Tafeln an der Gedenkstätte in München geschrieben - gegen das Vergessen.
Diese Entschlossenheit sagt ihm sein deutscher Kollege Frank-Walter Steinmeier genauso zu wie Ministerpräsident Horst Seehofer. Und beide betonen, dass auch das Gedenken an 1972 die Pflicht nach sich zieht, Juden in diesem Land zu schützen vor Antisemitismus in Worten oder Gewalttaten. "Wer jüdische Mitbürger bedroht, der bedroht Demokratie und Freiheit, der bedroht uns alle", sagt Seehofer. Und Steinmeier verspricht: "Nur wenn Juden in Deutschland vollkommen sicher, vollkommen zu Hause sind, ist Deutschland vollkommen bei sich." Auch Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen müssten dies zwingend anerkennen.
Beim Festakt ist Steinmeier indes der einzige Repräsentant, der auch Fehler einräumt: Fehler der deutschen Sicherheitsbehörden, die in einem dilettantischen Befreiungsversuch auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck endeten, wo neun Geiseln und ein Polizist ums Leben kamen. "An dieser Katastrophe tragen auch wir bis heute schwer", sagt der Bundespräsident.
Eine Art Bitte um Entschuldigung vermeiden die Repräsentanten des Sports: Thomas Bach, der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), will weiter nichts wissen von der Forderung der Angehörigen, einmal im Rahmen der Eröffnungsfeier der Spiele eine Gedenkminute abzuhalten. Und Michael Vesper, Chef des Deutschen Olympischen Sportbunds, verteidigt die Entscheidung von 1972, die Spiele trotz des Attentats nicht abzubrechen. Wiewohl Spitzer dies bis heute unverzeihlich findet, wiewohl Rivlin eben noch zum berühmten Satz des damaligen IOC-Präsidenten, die Spiele müssten weitergehen, gesagt hat: "An diesen Satz wird sich die Welt in ewiger Schande erinnern."
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"Einschnitt" heißt die Gedenkstätte für die zwölf Opfer des Anschlags: Dafür wurde der Lindenhügel im Münchner Olympiapark seitlich aufgeschnitten.
Doch das ist Politik, und im Mittelpunkt stehen ja die Angehörigen. Während der Feier treten sie nacheinander schweigend vor und enthüllen die Tafeln mit den Lebensläufen der Toten. Nachdem der letzte Ton der Hatikva, der israelischen Hymne, verklungen ist, lassen sich viele von ihnen vor der Tafel ihres ermordeten Ehemanns, Vaters, Bruders fotografieren. Viele gefasst, manche mit Tränen in den Augen. Und nach dem Ende des anschließenden Festakts in der BMW-Welt (die dafür ausgewählt worden war, weil sie als einziger Ort in der Nähe des Erinnerungsortes die für zwei Staatspräsidenten nötige Sicherheit bot) kommt es zu einem kurzfristigen, nicht-öffentlichen Treffen der Angehörigen mit Rivlin und Steinmeier. Die Politik lassen alle, so wird später berichtet, außen vor, die weiter erhobene Forderung der Angehörigen nach Entschädigung etwa. Darüber werde ein andermal gesprochen, sagt Spitzer. "Heute war nicht der Tag dafür."
Und trotzdem: Ilana Romano kann es noch gar nicht begreifen, "dieses Gefühl der Zufriedenheit und des Sieges", wie sie sagt - darüber, nach 45 Jahren erstmals Worte der Verantwortung und des Bedauerns gehört zu haben. Und Ankie Spitzer steht in der BMW-Welt, nicht weit von der Stelle, wo ihr Mann zur Geisel von Terroristen wurde und wo sie sich vor 45 Jahren schwor, stets dagegen zu kämpfen, dass diese Tat vergessen werde, da steht sie also nun und sagt: "Sie sehen mich: Es ist das erste Mal, dass ich in München lache."