Gedenkfeier ohne Putin:Auschwitz-Überlebender beklagt "politische Instrumentalisierung"

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Buchautor, Maler und Mahner: der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer (Foto: Tobias Hase/dpa)
  • Der Auschwitz-Überlebende und Vorsitzende des Opferverbandes Dachau, Max Mannheimer, fordert, dass Wladimir Putin zur Gedenkfeier in Auschwitz eingeladen wird.
  • Er bemängelt, der Holocaust dürfe nicht instrumentalisiert werden.
  • Der polnische Außenminister Schetyna löst Empörung aus: Er schrieb die Befreiung des Konzentrationslagers ukrainischen und nicht sowjetischen Soldaten zu.

Von Helmut Zeller, Dachau

Im Streit um das Gedenken in Auschwitz hat sich die Lagergemeinschaft Dachau positioniert: Der Auschwitz-Überlebende Max Mannheimer, Vorsitzender des Opferverbandes, forderte eine spezielle Einladung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Befreiung des NS-Konzentrationslagers am 27. Januar 1945 durch sowjetische Soldaten.

In einem Brief an den ehemaligen polnischen Außenminister und Auschwitz-Häftling Władysław Bartoszweski schrieb Mannheimer am 14. Januar: "Die Erinnerung an den Holocaust darf nicht instrumentalisiert und aktuellen politischen Konflikten untergeordnet werden." Eine Antwort hat Max Mannheimer jedoch nicht bekommen.

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Władysław Bartoszewski war 17, als die Deutschen seine polnische Heimat überfielen. Er überlebte Auschwitz, kämpfte im Warschauer Aufstand und wurde später Außenminister. Der SZ erzählt er vom Grauen des Krieges und von dummen deutschen Besatzern.

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Zahlreiche Politiker nehmen an der Gedenkfeier teil, auch sie haben vorher keine Einladung erhalten (mehr dazu hier). In dem Vernichtungslager wurden mehr als 1,1 Millionen Menschen, darunter 900 000 Juden, ermordet. Die Ukraine-Krise überschattet jedoch den 70. Jahrestag der Befreiung. Putin wurde nicht eingeladen.

Polnischer Außenminister verursacht Eklat

Unterdessen hat der polnische Außenminister Grzegorz Schetyna mit einer Äußerung einen Eklat verursacht: Er schrieb in einem Radiointerview die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz ukrainischen und nicht sowjetischen Soldaten zu. Das russische Außenministerium verurteilte diese "Verhöhnung der Geschichte" scharf.

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In Deutschland erhob sich dagegen kaum Protest. Der Historiker Götz Aly sprach in einem Gastbeitrag der Berliner Zeitung von einem "geschichtspolitischen Skandal". Auch der Historiker Michael Wolffsohn meint, selbstverständlich hätte man Putin "als Repräsentant des Landes, dessen Armee Auschwitz befreite" einladen müssen. Viele Familienangehörige von Max Mannheimer, 94 Jahre alt, wurden in Auschwitz-Birkenau vergast. Nur er und ein Bruder überlebten.

Max Mannheimer, der auch Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees (CID) ist, erklärte: "Eine aufrichtige Erinnerung an die Befreiung von Auschwitz kann nicht ohne Einbeziehung Russlands als dem wichtigsten Nachfolgestaat der Sowjetunion stattfinden. Denn es waren Soldaten der Roten Armee, die im Januar 1945 das Vernichtungslager Auschwitz und in den folgenden Monaten weite Teile Osteuropas vom Nationalsozialismus befreiten. Diese historische Leistung gilt es am 27. Januar zu würdigen - ungeachtet des Unrechts, das von der Sowjetunion ausging".

200 000 starben im Kampf oder in deutscher Gefangenschaft

In der Roten Armee waren eine halbe Million Juden, 200 000 starben im Kampf oder in deutscher Gefangenschaft. In nur acht Monaten nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion erschossen die Deutschen zwei Millionen Rotarmisten in Gefangenschaft oder ließen sie gezielt verhungern.

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An Władysław Bartoszweski wandte sich Mannheimer, da er ihn aus einigen Begegnungen kennt. 2008 hielt Bartoszweski, der Vater der deutsch-polnischen Aussöhnung, in Dachau die Festrede zum Abschied der langjährigen Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Barbara Distel.

Er hoffte, dass Bartoszewski Einfluss auf die Regierung seines Landes und die Gedenkstätte Auschwitz nehmen könne, die in diesem Jahr die Gedenkfeier ausrichtet. Offenbar vergeblich. "Ich halte es für einen fatalen Fehler, wenn der Repräsentant Russlands aufgrund der gegenwärtigen Auseinandersetzungen vom Holocaust-Gedenktag in Auschwitz ausgeschlossen bleibt", sagte Mannheimer der SZ.

Zentrale Gedenkstunde im Bundestag

Im Landkreis blieb Max Mannheimer mit seiner Kritik allein: Niemand der in der Erinnerungsarbeit in Dachau tätigen Personen, auch nicht Kommunalpolitiker bezogen Stellung in dem Streit. Landrat Stefan Löwl (CSU) nimmt mit einer Delegation von Kreispolitikern an der Gedenkfeier in Auschwitz teil. Auch Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) reiste am Montag nach Polen in die Stadt Oświęcim - aber allein. Am 27. Januar begeht auch Dachau den Internationalen Holocaust-Gedenktag. Im Ludwig-Thoma-Haus spricht um 19 Uhr Andrzej Korczak Branecki, ein ehemaliger Dachau-Häftling aus Warschau.

Max Mannheimer wird die Rede zum Holocaust-Gedenktag im Bayerischen Landtag halten. In Berlin gedenken die Politiker im Bundestag. "In der zentralen Gedenkstunde im Berliner Reichstag wird nur Bundespräsident Joachim Gauck sprechen - statt eines Überlebenden, was ich schade finde", sagte Mannheimer der Jüdischen Allgemeinen. Wie viele andere Überlebende des Nazi-Terrors ist der Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau der Meinung, dass die letzten noch lebenden Zeitzeugen gehört werden sollten.

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Von Helmut Zeller
© SZ vom 27.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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