Süddeutsche Zeitung

Gedenken an NS-Opfer:Verschleppt und verhungert

1944 wurde die achtköpfige Münchner Sinti-Familie Schneck nach Auschwitz deportiert. Die zweijährige Renate überlebte dort nicht einmal einen Monat. Nun erinnert eine Stele an ihr Schicksal.

Von Jakob Wetzel

Josef Maria Schneck verhungert, vom Steineschleppen entkräftet, im Januar des Jahres 1944, da ist er gerade 13 Jahre alt. Fast ein Jahr lang hatten ihn die Nationalsozialisten mit seinen vier Geschwistern, seinen Eltern und seiner kleinen Nichte im Lager Auschwitz-Birkenau gequält. Die Familie musste schwer arbeiten und in Baracken schlafen, die gebaut waren wie Pferdeställe. Die wenigen Toiletten teilten sich bis zu 1000 Menschen pro Gebäude. Zu Essen gab es lediglich dünne Suppen. Und irgendwann konnte Josef Maria nicht mehr.

Die Schnecks sind eine katholische Familie aus Baden gewesen. Der Familienvater hatte mit Antiquitäten und Musikinstrumenten gehandelt. 1937 zog die Familie nach München. Doch die Schnecks waren Sinti, und als solche wurden sie von den Nazis verfolgt. Am 8. März 1943 wurde die achtköpfige Familie von der Polizei verhaftet und im Polizeigefängnis an der Ettstraße eingesperrt: die Eheleute Sofie und Josef, ihre Töchter Elisabeth, Paula und Gisela, ihre Söhne Donatus und Josef Maria sowie ihre Enkelin, Paulas erst zwei Jahre alte Tochter Renate; dazu 133 weitere Münchner Sinti. Fünf Tage später wurden alle in einen Viehwaggon geladen, der Zug fuhr drei Tage lang. Die kleine Renate überlebte in Auschwitz nicht einmal einen Monat.

Von diesem Donnerstag an wird nun eine Stele an die Schnecks erinnern, an der Friedenspromenade 4o in Trudering, wo die Familie zuletzt gewohnt hatte. Um 13.30 Uhr beginnt eine Gedenkveranstaltung im Gymnasium Trudering. Danach wird die Stele unter anderem von Erich Schneeberger der Öffentlichkeit übergeben, dem Vorsitzenden des Landesverbands Bayern im Verband Deutscher Sinti und Roma. Es ist eine Premiere, das erste Erinnerungszeichen der Stadt, das an eine ermordete Sinti-Familie erinnert.

Sinti und Roma blieben in der Erinnerungskultur lange außen vor. Die von den Nazis als "Zigeuner" verfolgte Minderheit war auch nach 1945 Anfeindungen ausgesetzt und wurde ausgegrenzt. Ein Umdenken gab es erst spät. Seit 1995 erinnert eine Gedenktafel am Platz der Opfer des Nationalsozialismus an die ermordeten Münchner Sinti und Roma. Seit 2018 gibt es einen eigenen Gedenktag. Und erst im Februar hat der Stadtrat beschlossen, ein eigenes Denkmal für die Toten zu errichten.

Erinnerungs-Stelen wie die für die Familie Schneck sowie ähnlich gestaltete Wandtafeln gibt es in München überhaupt erst seit dem vergangenen Sommer. Sie sind die Münchner Alternative zu den Stolpersteinen des Künstlers Gunter Demnig, die in der Stadt nicht auf öffentlichem Grund verlegt werden dürfen. 17 dieser speziellen Münchner Tafeln und Stelen gibt es mittlerweile. Eine Stele fasst mehrere goldfarbene Hülsen, und so erinnert die Stadt auf diesem Weg bislang an 41 Ermordete. Auf den Erinnerungszeichen sind oft neben den Lebensdaten auch gerasterte Fotografien der Toten zu sehen, wenn die Angehörigen damit einverstanden sind. Bei den Schnecks bleiben diese Flächen leer.

Die Stele erinnert an sieben Familienmitglieder, die meisten von ihnen sind verhungert. Donatus starb im August 1944 bei einem Bombenangriff auf das Lager Buchenwald, wohin er weiterverschleppt worden war. Überlebt hat nur eine Tochter, Elisabeth. Sie wurde 1944 nach Ravensbrück verschleppt, dort musste sie in der Nähe in der Rüstungsindustrie arbeiten. Im April 1945 wurde sie nach einem Todesmarsch von US-Soldaten befreit.

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SZ vom 21.03.2019/kaal
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