Gebühr für Münchner Straßen:Wie eine City-Maut den Verkehr regeln kann

New York plant City-Maut - Vorbild London

In London gibt es die City-Maut schon seit Jahren.

(Foto: dpa)
  • Klaus Bogenberger erforscht an der Bundeswehruni in München eine City-Maut für München.
  • Auf Basis seiner Simulation wird er in den nächsten Monaten durchspielen, wie sich eine City-Maut auf den Münchner Verkehr auswirken könnte.
  • Vielen Politikern ist das Thema zu heikel, die Wirtschaft spricht sich klar gegen eine Gebühr aus.

Von Marco Völklein

Klaus Bogenberger weiß, dass er und seine Leute in Neubiberg da an einer politisch umstrittenen Sache arbeiten. Deshalb hat der Professor für Verkehrstechnik an der Universität der Bundeswehr das Projekt bislang auch nicht an die große Glocke gehängt. Aber Bogenberger ist sich sicher: "Die Diskussion über eine City-Maut wird über kurz oder lang wieder kommen - auch und besonders in München." Und da sei es doch besser, rechtzeitig vorbereitet zu sein, als einfach nur abzuwarten. Genau daran arbeiten Bogenberger und seine Kollegen seit Monaten.

Sie entwickeln ein Simulationsprogramm, das die Chancen und Risiken einer City-Maut am Beispiel der Landeshauptstadt aufzeigt. Bogenbergers Mitarbeiter Benedikt Bracher forscht im Rahmen seiner Doktorarbeit an dem Projekt. Aus Daten des städtischen Planungsreferats hat er zunächst einmal ein Programm geschrieben, das den Auto- und Lkw-Verkehr im Münchner Straßennetz an einem durchschnittlichen Tag abbildet.

Dynamisches Modell für stetig steigenden Verkehr

Eine ganze Menge kleiner bunter Autos kurvt da auf seinem Bildschirm herum. An Kreuzungen bilden sich mal kürzere, mal längere Rückstaus. Springt die Ampel dann auf grün, löst sich der Stau meist rasch auf. In den Hauptverkehrszeiten allerdings schaffen es einige Autos nicht mehr bei Grün über die Kreuzung. Was auf den ersten Blick wie ein Computerspiel wirkt, ist deutlich mehr: Es ist der Kern von Brachers Forschung. Auf Basis dieser Simulation wird er in den nächsten Monaten durchspielen, wie sich eine City-Maut auf den Münchner Verkehr auswirken könnte.

"Wichtig ist uns dabei, dass es sich um ein dynamisches Modell handelt", sagt Bogenberger. Die Preise zum Beispiel für eine Fahrt in das Areal innerhalb des Mittleren Rings sollen also nicht fix sein, so wie es im Jahr 2012 die Landesregierung in Baden-Württemberg mal vorgeschlagen hatte. Dort hatte der grüne Landesverkehrsminister 6,10 Euro für eine Fahrt in die Stuttgarter Innenstadt kassieren wollen. Bogenberger und Bracher schwebt dagegen ein "dynamischer Ansatz" vor: Je nach dem, wie voll die Straßen in der Stadt gerade sind, soll der Preis an den Mautstellen schwanken. "Damit", sagt Bogenberger, "lässt sich der Verkehr am besten steuern."

Doktorand Bracher hat deshalb aus seinem Simulationsmodell bereits eine Art Kurve entwickelt. Die zeigt an, bis zu welchem Punkt der Verkehr noch fließt - und ab wann die Autofahrer mit Behinderungen, stockendem Verkehr oder gar großflächigen Staus ausgebremst werden. Bracher will nun diverse Szenarien durchspielen, wie sich verschieden hohe Maut-Tarife auswirken könnten. Wie viel die Stadt also verlangen müsste, wenn sich die Kapazität auf den Straßen dem Punkt nähert, an dem es eng zu werden droht. Hinterlegt wird das Ganze unter anderem mit den MVV-Tarifen. Nur so können die Forscher abschätzen, von welchem Maut-Preis an Autofahrer bereit wären, auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen. Voraussichtlich bis zum Sommer sollen erste Rechenergebnisse vorliegen. Und dann? "Dann muss man sehen, ob die Stadt das nutzen will", sagt Bogenberger.

Druck von der EU

Bis dahin, glaubt der Forscher, wird die Diskussion um die City-Maut ohnehin wieder Fahrt aufnehmen. Die Europäische Union wird den Druck auf die Bundesregierung und die einzelnen Länder weiter erhöhen, in Städten wie München, Berlin, Stuttgart, Köln oder Frankfurt schärfer gegen Luftschadstoffe wie Stickstoffdioxid vorzugehen. Die Belastung an der Landshuter Allee etwa war 2015 im Jahresschnitt mit 84 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft mehr als doppelt so hoch wie der Grenzwert.

Laut Umweltbundesamt verzeichnete die Messstation dort den zweithöchsten Wert in ganz Deutschland. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat deshalb kurz vor Weihnachten eine erneute Klage gegen die Stadt und den Freistaat beim Verwaltungsgericht München eingereicht, um ein härteres Vorgehen gegen den Autoverkehr zu erzwingen. Die Richter hatten die Beklagten bereits 2012 zu "einschneidenderen Maßnahmen" verdonnert, umgesetzt wurde allerdings kaum etwas, sieht man mal von der Tempo-50-Beschränkung an der Landshuter Allee und dem 30-Millionen-Förderprogramm der Stadt zur Elektromobilität ab, das im April starten soll.

Das Thema City-Maut wird wieder aktuell

Irgendwann im ersten Halbjahr wird das Gericht über die Klage entscheiden, glaubt ÖDP-Stadtrat Tobias Ruff. Und spätestens dann wird seiner Meinung nach das Thema City-Maut wieder aktuell werden. Zusammen mit der Linken ist die ÖDP die einzige Partei, die derzeit im Rathaus noch für eine City-Maut wirbt. Die Grünen hielten sich zuletzt zurück, CSU, SPD, FDP und Freie Wähler sind strikt dagegen. Man könne den Autofahrern nicht noch mehr Abgaben aufhalsen, argumentiert etwa CSU-Stadtrat Manuel Pretzl: "Ich will keine Gesellschaft, in der die Wahl des Verkehrsmittels vom Geldbeutel abhängt."

Ruff war selbst schon mit dem Auto in Norwegen unterwegs und hat dort Maut-Systeme "erfahren", wie er sagt. "Und ich habe die Maut als sehr positiv erlebt." In Oslo zum Beispiel. Die Abrechnung habe problemlos funktioniert, und viele Norweger hätten ihm signalisiert, "dass sie voll und ganz hinter der City-Maut stehen". Der Aufbau der Elektromobilität werde sich noch hinziehen, der Bau neuer Autotunnel dauere noch länger, argumentiert Ruff. "Was wir aber brauchen, ist eine rasche Reduzierung des Verkehrs." Vor allem der örtliche Wirtschaftsverkehr würde von der Gebühr profitieren, glaubt Ruff. "Unnötige Fahrten werden unterlassen", und diejenigen, die dringend das Auto benötigen, hätten dann mehr Platz auf der Straße.

Die Wirtschaft ist dagegen

Doch mit der schärfste Gegenwind kommt von Vertretern der Wirtschaft: So lehnt die Industrie- und Handelskammer (IHK) "alle Überlegungen, in München eine City-Maut einzuführen, aufs Entschiedenste ab", wie es in einem Positionspapier heißt. Durch die Gebühr werde der Verkehr von der Stadt ins Umland verlagert. Ganz ähnlich sieht es Handwerkskammerpräsident Georg Schlagbauer. "Die Betriebe sind darauf angewiesen, ungehinderte Zufahrt in die Stadt und innerhalb von München zu haben", sagt er. Genau dort befänden sich viele Unternehmen, genau dort wohnten viele Kunden.

Eine Verlagerung des Verkehrs ins Umland würde voll "auf Kosten der Ladengeschäfte in der Innenstadt gehen". So hätten die Händler in der Londoner Innenstadt "nach der Mauteinführung einen Umsatzrückgang von 15 Prozent verzeichnet", ergänzt die IHK. Zudem müsse man aufpassen, dass hohe Kosten für Aufbau und Betrieb des Kassiersystems nicht einen zu großen Teil der Einnahmen auffressen, warnen die Forscher des Umweltbundesamts. Ihr Fazit: Eine City-Maut in Deutschland einzuführen, "ist insgesamt schwierig, aber nicht unmöglich".

Der ÖPNV könnte mit den Gebühren ausgebaut werden

Ähnlich sieht es Bundeswehr-Professor Bogenberger. Er glaubt: Über kurz oder lang würden deutsche Kommunen die Autofahrergebühr zwangsläufig für sich entdecken und vom Gesetzgeber entsprechende Regelungen einfordern - nicht nur, weil Umweltjuristen Druck machen. Sondern auch aus finanziellen Erwägungen: Mit den City-Maut-Einnahmen könnte der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden, sagt Bogenberger. "Davon würden auch Menschen mit kleinem Geldbeutel profitieren", sagt Ruff. Denn die könnten sich ein eigenes Auto oft gar nicht leisten.

Beim Blick aufs Geld warnt Handwerkspräsident Schlagbauer aber gleich noch vor einem anderen Effekt: Mit der Maut würden die Anfahrtskosten steigen. Höhere Ausgaben wiederum könnten viele Betriebe auf ihre Kunden umlegen. "Dementsprechend würde eine City-Maut handwerkliche Güter und Dienstleistungen verteuern."

Ländersache

Über die Einführung einer City-Maut wird immer wieder diskutiert. Vor einigen Jahren hatte die EU-Kommission eine europaweite Regelung angeregt, 2012 wagten die Grünen in Baden-Württemberg einen Vorstoß auf Bundesebene. Im Münchner Rathaus fiel die Reaktion der meisten Parteien auf solche Vorschläge immer ähnlich aus: Über das Thema müsse man gar nicht diskutieren, weil die Landeshauptstadt selbst eine solche Maut gar nicht einführen könne. Es fehle dafür schlicht die gesetzliche Grundlage.

Auch die Bundesregierung fühlt sich nicht verantwortlich. Auf eine Anfrage der Grünen aus dem Jahr 2009 antwortete die Regierung, dass eine solche Regelung nicht in ihren Zuständigkeitsbereich falle. Wohl aber "könnten die Länder in eigener Zuständigkeit eine City-Maut für Kommunal- und Landesstraßen einführen", heißt es dort. Darauf setzen auch die wenigen Maut-Befürworter im Rathaus: CSU, SPD, Grüne und die anderen Parteien würden es sich "viel zu einfach machen", schimpft ÖDP-Stadtrat Tobias Ruff: "Sie alle verstecken sich einfach hinter diesem Argument." Gesetze aber "kann man auch ändern", findet Ruff. Zumal Stadt und Freistaat beim Thema Luftreinhaltung quasi in einem Boot sitzen: Denn die Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) auf verschärfte Maßnahmen zur Luftreinhaltung richtet sich sowohl gegen den Freistaat wie auch gegen die Stadt. Doch bislang bewegen sich weder der Stadtrat noch die Parteien im Landtag.

Rückendeckung erhalten sie dabei von der Bundesregierung. Die lehnt eine City-Maut nicht nur deshalb ab, weil sie "Kaufkraft aus den Innenstadtbereichen" abziehen sowie "die Bürger zusätzlich finanziell belasten würde". Viel mehr noch sehen die Fachleute der Regierung auch grundsätzliche Probleme beim Datenschutz: So hätten auch bei einer innerstädtischen Maut "insbesondere die Grundsätze der Datenvermeidung unveränderte Bedeutung". Was die Juristen damit meinen: Wer erst gar keine Daten erhebt, bekommt hinterher auch keine Probleme beim Datenschutz. Marco Völklein

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