Auf dem Oben-Ohne-Festival in München vor ein paar Wochen standen neben den Musikern auch Menschen auf der Bühne, die eigentlich nicht zur Band gehörten. Eine von ihnen ist Susanne John Wuol. Die 37-Jährige arbeitet seit 14 Jahren als Gebärdensprachdolmetscherin - bei Besprechungen in Unternehmen, auf Hochzeiten, bei Theatervorstellungen oder eben auf Konzerten.
SZ: Wie übersetzt man Musik in Gebärdensprache?
Susanne John Wuol: Musik übersetzt man nie Wort für Wort, deshalb suche ich stets nach der Botschaft hinter den Zeilen. Mein Ziel ist es, auch den Reim, das Versmaß oder den Stil eines Liedes zu transportieren. Ich höre mir den Song erst einmal genau an, analysiere den Text und übersetze ihn dann in Gebärdensprache. Dafür überlege ich, welche Wörter oder sprachlichen Bilder ich übernehmen kann. Und ich frage mich: Wie würde das ein Gehörloser gebärden?
Warum ist das so wichtig?
In Liedern kommen häufig Metaphern vor und die sind kulturell gebunden. Deshalb ist es wichtig, sich in die Wahrnehmung von Gehörlosen und ihre Art zu kommunizieren hineinzuversetzen. So kann ich die entsprechenden Gefühle, die die Musik auslösen soll, bei den Gehörlosen zum Klingen bringen. Wenn das funktioniert, dann macht die Arbeit richtig Spaß.
Das klingt nicht so, als ob das Gebärden von Musik spontan abliefe.
Stimmt. Dazu müssen Sie wissen: In der Gebärdensprache formt man einen Großteil des Vokabulars mit den Händen. Die Grammatik wird durch Mimik und den sogenannten Gebärdenraum ausgedrückt. Das ist der Bereich vor dem Oberkörper, man kann es sich vorstellen wie eine kleine unsichtbare Bühne, die man wie einen Bauchladen vor sich trägt. Für jede Szene, also die Situation, die man rüberbringen möchte, wird darin sozusagen ein Bühnenbild aufgebaut.
Wie schaffen Sie es, auch die Stimmung eines Liedes zu transportieren?
Indem ich ein gutes Gespür dafür entwickle, was zwischen den Musikern und dem Publikum passiert - und da im Sinne der Band mitziehe. Was schwingt im Subtext mit? Welche sprachlichen Register werden gewählt und zu welchem Zweck? Wenn zum Beispiel die Stimmung angeheizt wird, muss das natürlich auch in Gebärdensprache deutlich werden.
Wie viel Zeit brauchen Sie, um fit für ein Konzert zu sein?
Als ich vor kurzem auf dem Oben-Ohne-Open-Air für die Band SAM 15 Lieder gedolmetscht habe, habe ich etwa zehn Stunden gebraucht. Deswegen ist es für mich auch so wichtig, rechtzeitig die Liedtexte zu bekommen. Viele denken häufig: Na ja, dann dolmetscht sie halt das Lied. Aber ohne Vorbereitung ist das kaum möglich. Das ist genau so, als ob man aus dem Stand ein deutschsprachiges Lied auf Englisch singen soll. Ich muss im Prinzip den Text nahezu auswendig können, damit ich ihn wirklich im Rhythmus simultan übersetzen kann.