Zwei hellgelbe Wohnblöcke an der Lothstraße, Maxvorstadt, vier Eingänge, 60 Wohnungen, Garagenzeile. Ein halbes Leben haben viele Bewohner hier verbracht, manche noch mehr, Erstbezug: 1960. Doch zurzeit kann man zusehen, wie die Häuser sich leeren, nach und nach. Die Vermieterin, die GBW-Gruppe, modernisiert, vor Kurzem ist es losgegangen, "die Wohnungen werden den heutigen Wünschen der Mieter und Wohnungssuchenden angepasst", schrieb die GBW in einer Pressemitteilung.
Im obersten Stockwerk sitzt Paul Eckert in seinem Sessel und atmet tief durch. Eckert, ein großer Mann mit verschmitztem Lächeln, ist 95 Jahre alt, er hört nicht mehr besonders gut, steigt aber jeden Tag die vier Stockwerke hinab und wieder hinauf, einmal, um die Post zu holen, einmal, um einkaufen zu gehen. Er verreist sogar noch regelmäßig. Doch dass er in seinem Leben noch mal umziehen muss, hätte er nicht gedacht. "Die Situation belastet mich sehr." Am meisten zu schaffen macht ihm die Vorstellung von monatelangem Lärm und Dreck. Wer durch Eckerts Wohnung geht, bleibt immer wieder stehen und staunt: über seine Sammlung von Engelsfiguren und Mini-Eisenbahnwaggons, die Puppen auf dem Sofa, die Uhren, die Ecke mit Kreuz und Gebetsbuch, die Bilder an der Wand, viele hat er selbst gemalt.
Vor 58 Jahren zog Paul Eckert in seine Wohnung; die jetzige Situation belastet den 95-Jährigen.
(Foto: Alessandra Schellnegger)Über die Jahre ist die Wohnung ein Museum seines Lebens geworden. Dieses Museum muss nun schließen. Voraussichtlich Ende des Jahres wird Eckert ins gegenüberliegende Haus ziehen, die neue Wohnung im ersten Stock wird den gleichen Schnitt haben wie die alte. Nach Möglichkeit soll sie am Ende auch genau gleich eingerichtet sein, wünscht sich Eckert - bei seinem Museum werden die Umzugsleute gut zu tun haben. Die Bauarbeiten finden zeitversetzt in zwei Phasen bis Ende 2019 statt, erst der eine Wohnblock, dann der andere. Manche Mieter ziehen zweimal um, erst in eine Ersatzwohnung, dann zurück in ihr altes, modernisiertes Zuhause.
Die Geschichte der GBW-Mieter an der Lothstraße beginnt wie viele Geschichten in München. "Ankündigung einer Modernisierungsmaßnahme" steht als Betreff auf dem Schreiben, das die Mieter Anfang April erhalten haben. Es ist ein Maßnahmenkatalog in der Länge einer Bachelorarbeit. Auf 32 Seiten erläutert die GBW, was alles getan wird, von der Sanierung der Fassade, Balkone, Fenster und Rollläden über den Einbau eines Aufzugs bis hin zu Außenanlagen und Garagen. Das Dach wird aufgestockt, sieben neue Wohnungen sollen entstehen. "Wir beabsichtigen, Ihre Wohnanlage attraktiver zu gestalten", so beginnt das Schreiben; es endet mit der voraussichtlichen künftigen Monatsmiete.
Die Bewohner finden eigentlich, dass ihre Wohnanlage attraktiv genug ist. Zwar seien lange viele Dinge vernachlässigt worden, hört man. Probleme mit den Leitungen zum Beispiel. Koche man sich einen Kaffee, während die Waschmaschine läuft, haue es schon mal die Sicherung raus. Aber sonst - alles in Ordnung, sagen die Mieter. Vor einigen Jahren wurden die Fenster ausgetauscht. Warum nun in den Wohnzimmern etwa die Fensterbrüstung um 50 Zentimeter nach unten versetzt werden soll, das kann im Haus niemand verstehen.
Knapp 20 Euro Quadratmeterpreis
Die energetische Modernisierung werde "die Heizkosten für die Mieter spürbar senken", verspricht die GBW. Die Vorauszahlung soll sinken, um 4,90 Euro pro Monat; gleichzeitig aber soll die Kaltmiete um bis zu 120 Prozent steigen. Paul Eckert hat bisher für seine 70-Quadratmeter-Wohnung 728 Euro warm bezahlt. Nach der Modernisierung sollen es 1359 Euro sein, knapp 20 Euro pro Quadratmeter. Das ist völlig legal und deshalb möglich, weil der Vermieter bislang noch elf Prozent der Kosten einer Modernisierung auf die Mieter umlegen darf, jedes Jahr, auch dann, wenn sich die Kosten längst amortisiert haben.
Bundesjustizministerin Katharina Barley (SPD) will die Umlage nun auf acht Prozent senken und, wichtiger, auf drei Euro pro Quadratmeter in sechs Jahren beschränken. Ob es sich in der Lothstraße bei allen Maßnahmen, die die GBW umlegen will, überhaupt um Modernisierung handelt und nicht teils schlicht um Instandhaltung, die der Vermieter bezahlen muss, prüft derzeit der Mieterverein.
Eckert ist kein armer Rentner, er bezieht eine gute Pension. Trotzdem würde die Mieterhöhung für ihn bedeuten, dass er 56 Prozent seines verfügbaren Einkommens, nach Abzug aller Fixkosten, für die Miete ausgibt. Bisher waren es 30 Prozent. Und so wie ihm geht es vielen Mietern an der Lothstraße. Der Mieterverein verhandelt deshalb mit der GBW über jeden Einzelfall und pocht in vielen Fällen auf eine sogenannte wirtschaftliche Härte. Die liegt vor, wenn man mehr als 40 Prozent des Einkommens für die Miete ausgibt.
Die Wohnanlage an der Lothstraße ist nicht irgendeine GBW-Anlage. Viele Mieter sind hochbetagt; als sie einzogen, waren sie - oder ihre Ehepartner - Beschäftigte bei der Bayerischen Landesbank. Die hieß damals noch Gemeindebank, sie hatte das Belegungsrecht für die Wohnungen der GBW, die damals noch der Bank gehörte. Ihre Arbeitgeberin war also zugleich ihre Vermieterin. Paul Eckert, der zum Ende seiner Laufbahn die Hypothekenstelle leitete, war einst mit seiner Mutter in die Wohnung gezogen, später lebte er dort allein. "Schlimm ist, dass Söder die Wohnungen verkauft hat", sagt er. "Was mit den Mietern ist, das ist ihm doch wurscht."