Gauweiler und Hildebrandt im Interview:"Wo die Freunde sind, bin ich zu Hause"

CSU-Politiker Peter Gauweiler und Kabarettist Dieter Hildebrandt über sich, über ihr Verhältnis zueinander und über München.

Interview: Mischa Drautz und Martin Langeder

Der gebürtige Münchner Peter Gauweiler, 58, und der Wahlmünchner Dieter Hildebrandt, 81 und Schlesier, haben eine wichtige Verbindung zueinander: Kabarettist Hildebrandt hat oft über den einstigen KVR-Chef Gauweiler gelästert, was dieser möglicherweise als Auszeichnung empfand. Beide eint auch eine tiefe, wenngleich nicht unkritische Liebe zu München - sonst allerdings eher wenig. Ein Stadtgeburtstagsgespräch.

Gauweiler und Hildebrandt im Interview: Zwei, die sich gut kennen, auf den Stufen der Feldherrnhalle: Dieter Hildebrandt nannte Peter Gauweiler einst einen "Banausen-Ayatollah". Da mochten selbst einige Parteifreunde des CSU-Politikers nicht widersprechen.

Zwei, die sich gut kennen, auf den Stufen der Feldherrnhalle: Dieter Hildebrandt nannte Peter Gauweiler einst einen "Banausen-Ayatollah". Da mochten selbst einige Parteifreunde des CSU-Politikers nicht widersprechen.

(Foto: Foto: Marek Vogel)

SZ: Herr Gauweiler, was war das Frechste, was Dieter Hildebrandt jemals über Sie gesagt hat?

Gauweiler: Er hat mich mal einen Banausen-Ayatollah genannt.

Hildebrandt: Stimmt, fällt mir stolz wieder ein.

Gauweiler: Das war vielleicht Anfang der 80er-Jahre bei einer Diskussion im Stadtmuseum.

Hildebrandt: Es ging um Kultur in München oder so.

Gauweiler: Der Banausen-Ayatollah war damals die gemeinste und nach Meinung meiner Gegner in der CSU auch treffendste Formulierung über mich. Es ging um einen Streit über den Ankauf von Kunstwerken Joseph Beuys' im Lenbachhaus. Heute gilt Beuys als eine Art Klassiker, aber früher bezeichnete man ihn als Eulenspiegel oder Scharlatan. Wir haben geschäumt und gesagt, keiner wählt CSU dafür, dass wir aus der Rathauskasse einen Hunderttausender-Betrag für ein altes Bettgestell ausgeben. Bei diesem Streit geriet ein junger Stadtrat namens Peter Gauweiler in den Fokus eines mächtigen Kabarettisten.

Hildebrandt: Ich habe sicher noch anderes gesagt. Aber Sprüche entfallen einem.

Gauweiler: Es ist wie bei der Krankengymnastik. Es wirkt, wenn es wehtut.

SZ: Heute gehen Sie freundlicher miteinander um. Sind Sie müde oder weise geworden?

Hildebrandt: Gelassener, ruhiger, aber nicht milder. Im Gegenteil.

SZ: Wer hat sich wem angenähert?

Hildebrandt: Ich habe mich seiner Position nicht angenähert, er sich meiner auch nicht. Da bin ich sicher. Aber ich könnte ihm etwas Positives sagen: Ich habe damit gerechnet, dass er bayerischer Ministerpräsident wird. Das wäre mir lieber gewesen.

SZ: Statt Stoiber lieber Gauweiler?

Hildebrandt: So hätte ich das gesehen.

Gauweiler: Damit ist eigentlich das Wesentliche gesagt.

SZ: Herr Gauweiler, was schätzen Sie denn an Dieter Hildebrandt?

Gauweiler: Er hat mein politisches Leben begleitet. Er gehört zum medialen, politischen Leben - wie die Tagesschau oder früher Rudolf Augstein.

SZ: Stichwort Franz Josef Strauß.

Hildebrandt: Der war ein Segen! Dank seiner Formulierungen hatte ich immer Aufhänger. Wenn ich heute zwei an der CSU-Spitze sehe, die sich widersprechen und nach Kreuth müssen, um sich zusammenzubinden, da muss ich lachen. Das ist töricht. Unter Strauß gab es klare Hierarchien. Da wusste man als Kabarettist: Da hast Du ein Recht, dagegen zu sein.

SZ: Herr Gauweiler, wie haben Sie denn mit Franz Josef Strauß über Dieter Hildebrandt gesprochen?

Hildebrandt: Strauß hat mich doch nicht zur Kenntnis genommen.

Gauweiler: Nein, das stimmt nicht. Strauß war nach außen sehr kräftig, aber innerlich auch sehr verletzlich. Er war ja so erzogen, dass er keinen Angriff merkbar an sich ranlassen darf. Aber innerlich hat ihn alles sehr aufgeregt.

"Wo die Freunde sind, bin ich zu Hause"

SZ: Herr Hildebrandt, die Frankfurter Rundschau schrieb, Sie seien der "unerschrockenste Einzelkämpfer der öffentlichen Unterhaltung". Auch Sie, Herr Gauweiler, stellen sich oft gegen die Parteilinie. Wie wird man zum Einzelkämpfer?

Hildebrandt: Indem man bei dem bleibt, was man sich gedacht hat. Das ist ganz einfach. Eines Tages steht man dann allein da.

Gauweiler: Man lebt so auch besser.

Hildebrandt: Eigentlich ja.

Gauweiler: Man lebt irgendwie besser, weil man es nicht dauernd allen recht machen muss.

SZ: Also eine bewusste Rollenwahl.

Gauweiler: Solche Verhaltensweisen sind genetisch, so wie jeder Mensch unterschiedlich auf Sonneneinstrahlung reagiert. Aus jeder Behinderung muss man etwas Positives machen.

SZ: Aber man ist allein.

Hildebrandt: Einsam habe ich mich nie gefühlt, weil man immer Freunde hat, die, selbst wenn sie an einem zweifeln, an einem hängen. Und ich hänge an ihnen. Das ist mein Heimatgefühl. Wo die Freunde sind, bin ich zu Hause. Deswegen ist München meine Heimat, sonst wäre sie ja Schlesien - um Gottes willen, da will ich nicht wieder hin.

SZ: Wie hätte sich München verändert, wenn Peter Gauweiler 1993 die Wahl zum Oberbürgermeister gegen Christian Ude gewonnen hätte?

Hildebrandt: Ach, es war abzusehen, dass es nicht dazu kommt. Hier OB-Kandidat der CSU zu sein, ist ein Verheizungsposten. Das ist so, wie damals gegen Beuys zu argumentieren. Das war auch tapfer.

Gauweiler: Sehr nett. Immerhin habe ich bei der Wahl 43 Prozent bekommen.

Hildebrandt: Das war viel. Während des Wahlkampfs habe ich mich an seine Zeit als Chef des Kreisverwaltungsreferates erinnert. Da hat er seine Macht ausgenutzt. Wenn er meinte, dass es in irgendeinem Lokal unter einem Stuhl irgendwo ein kleines Kokain-Spürchen gibt, fuhren gleich zehn Polizeiautos mit Sirenen los. Da war er wirklich der Ayatollah.

SZ: Was wäre er als OB geworden?

Gauweiler: Auf jeden Fall gäbe es in der Stadt-Silhouette nicht das Hochhaus hinter dem Siegestor.

Hildebrandt: Flachbauten-Idealismus in einer Millionenstadt wurde aber auch immer verspottet.

Gauweiler: Ich mag diese turmhohen King-Kong-Palisaden einfach nicht. München ist keine Wolkenkratzer-Stadt wie Schanghai. Da ist mir das bisserl Spießige einfach lieber.

SZ: Wie steht es denn um die soziale Gerechtigkeit in der Stadt? Die Innenstadt wird immer mehr zur Luxusinsel.

Hildebrandt: Das war eigentlich immer so. Es gibt zwei Bevölkerungen in München, die in der Adventszeit auf dem Marienplatz zusammentreffen: Die eine kommt aus der Theatinerstraße mit den großen Paketen, die andere aus der Kaufingerstraße mit den kleinen Beuteln - beides furchtbar. Schlimm ist auch, dass es in München zum Beispiel keine Maler mehr gibt. Früher waren lauter Ateliers in Schwabing. Dort war Faschingszeit, da war Leben! Heute ist Schwabing tot. Warum? Die Leute, die die Räume vermietet haben, sind gestorben, und ihre vier bis fünf Kinder bilden jetzt die gefürchtete Erbengemeinschaft. Die wollen nur Rendite. Wir sind mit der Lach- und Schießgesellschaft um ein Haar der Entmietung entkommen. Löwenbräu hat uns damals gerettet. Aber die kleinen Läden - alle weg! Jetzt sind überall Konzerne wie McDonald's drin. So wird Schwabing langsam entschwabingt. Und es gibt keinen Ersatz.

Gauweiler: Was Sie da eben beschrieben haben, war eine neue Kommerzgeneration: Gier frisst Hirn. Aber das Ganze geht ja noch weiter - nur in einer höheren Etage. Weil: Wem gehört denn jetzt Löwenbräu? Und mit dem Prozess des Shareholder-Value-Globalisierungs-Gaunertums machen sich doch überall namenlose Heuschrecken breit. Familienunternehmen gibt es immer weniger. Und da, wo wir früher am heftigsten gestritten hatten, über die staatsbayerische Energiepolitik, die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, Bayernwerk und Bayerngas - wo sind sie? Es gibt sie nicht mehr. Sie sind verschwunden, gekauft von Namen, die schon keiner mehr weiß. Viag? Ist jetzt ein Bestandteil von Eon, irgendwo in Düsseldorf. Hat mit Bayern nichts mehr zu tun.

Hildebrandt: Das Problem ist, dass ein großer Arbeitgeber sich heute nicht mehr für seine Arbeiter interessiert. Er kennt sie gar nicht. Früher ist der Unternehmer, Grundig oder wie sie alle hießen, persönlich durch die Fabrik gegangen. Der kannte seine Leute und hat sie nicht einfach so entlassen können. Er wollte das auch nicht.

"Wo die Freunde sind, bin ich zu Hause"

SZ: Herr Hildebrandt, Sie fordern seit jeher ein solidarisches Miteinander. Wie liberal muss eine Gesellschaft sein?

Hildebrandt: Ich bin gegen strikte Verbote. Zum liberalen Gedankengut gehört aber auch einzusehen, dass man Gebote einhält. Dann bin ich ein Mitglied der Gesellschaft und nicht asozial. Ich kann mal ein wenig unsozial sein, aber nicht in der Grundhaltung. Ich bin zur Verantwortung zu ziehen. Das heißt, liberales Denken hat Grenzen, die man sich selber setzen muss. Ich werde immer nach Tabus gefragt. Ich habe Tabus, selbstverständlich. Meine eigenen. Aber ich möchte mir keine oktroyieren lassen. Ich möchte nicht, dass dies oder jenes verboten ist. Man muss mich überzeugen. Das ist angewandte Demokratie. Deswegen ist die Betonung von liberal gar nicht nötig. Die FDP ist eine überflüssige Partei. Sie kann höchstens hin und wieder ausgleichen oder eine Mehrheit schaffen.

Gauweiler: Ich habe früher auch gedacht: Ich bin liberal, im Sinne von normal. Aber nachdem so viele Leute sagen: "Peter Gauweiler, wenn einer nicht liberal ist, dann bist es Du." Daher sag' ich: Okay, dann bin ich es eben nicht. Weil der Begriff von so vielen benutzt wird...

Hildebrandt: ...besetzt wird.

Gauweiler: Um es literarisch zu sagen: "In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen." Das entspricht mir.

Hildebrandt: Das ist liberal.

Gauweiler: Ich sage, eine Stadt ist kein Autoscooter. Es geht nicht ohne Regeln, weil sich sonst doch immer der Rücksichtsloseste durchsetzt.

SZ: Also doch Law-and-Order?

Gauweiler: Naja, unangenehm ist dabei, dass mit dem Politischen das sich Profilieren verbunden ist. Man profiliert sich dabei immer auf Kosten anderer. Nicht, dass ich es nicht getan hätte. Das Problem ist halt, dass so selbst eine gute Sache oder richtige Maßnahme einen miesen Beigeschmack bekommt. Deswegen kann man das mit dem Law-and-Order nur eine gewisse Zeit lang machen.

SZ: Aber bei der U-Bahn-Sicherheit bleiben Sie hart.

Gauweiler: Mein Argument ist klar: Eine Frau ist um zehn Uhr abends in der S-Bahn auf bestimmten Strecken gefährdeter als jeder Minister. Ich sehe nicht ein, warum man nicht in jeden U- und S-Bahn-Waggon präventiv eine Wachperson stellt.

SZ: Herr Hildebrandt, haben Sie Angst, in der Stadt mit der S-Bahn zu fahren?

Hildebrandt: Ich fahre viel S-Bahn. Auf meiner Strecke ist das aber harmlos. Und auf den Bahnsteigen laufen dann diese Wachleute rum. Schwer bewaffnet.

Gauweiler: Aber wirkungsvoll.

Hildebrandt: Die haben Knüppel. Dann wittert man auch eine Pistole - aber die haben sie gar nicht. Dazu machen sie dieses bewaffnete Gesicht.

Gauweiler: Wenn zwei aggressive Muskelpakete, tätowiert bis zum Ohrläppchen, nachts in der U-Bahn auf Sie zukommen und Sie anpöbeln, hüsteln auch Sie etwas. Und wenn dann zwei schwarze Sheriffs auftauchen, sagen selbst Sie: So schlecht sind die doch nicht.

Hildebrandt: Ich trau' denen nur nicht. Ich glaube, die laufen davon.

Gauweiler: Gut, das wäre schlecht.

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