Gauck hält Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung:"Seid nicht lau!"

Gauck, Weiße Rose, LMU

Bundespräsident Joachim Gauck (R) in der LMU München: Aufruf zu mehr Zivilcourage.

(Foto: AFP)

Gedenken an die Geschwister Scholl und die Weiße Rose: Bundespräsident Gauck ruft bei seiner Vorlesung an der LMU München zu mehr Mut und Zivilcourage auf: "Einer muss anfangen."

Von Sebastian Krass

Joachim Gauck begann mit einem kurzen persönlichen Rückblick. Darauf, wie er schon einmal diese Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung gehalten hatte, damals vor 17 Jahren, als Bürger. Jetzt sprach er ein zweites Mal hier in der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), aber in neuer Rolle: als Bundespräsident. Als Bürger, sagte Gauck, da sei er sich recht sicher, die richtigen Worte zu finden. "Aber habe ich sie auch als Bundespräsident?"

An den Anfang seiner Vorlesung stellte er ein Zitat von Sophie Scholl: "Einer muss ja doch mal schließlich damit anfangen." Diesen Satz habe sie am 22. Februar 1943 dem Präsidenten des so genannten Volksgerichtshofs, Roland Freisler, ins Gesicht gesagt. Noch am selben Tag wurde Sophie Scholl zum Tode verurteilt und hingerichtet, wie ihr Bruder Hans, wie Christoph Probst, wie später die Mitstreiter Alexander Schmorell und Willi Graf, wie ihr Professor, Kurt Huber, und wie zwei Jahre später, im Januar 1945, Hans Leipelt. All diese Namen nannte Gauck an diesem Tag des Gedenkens, 70 Jahre, nachdem Sophie Scholl jenen Satz gesprochen hatte.

"In diesen Worten stecken die ganze Verzweiflung und Einsamkeit, aber auch die ganze Hoffnung und der Mut der jungen Frau und ihrer Mitstreiter." Joachim Gauck ist ein Mensch mit ganz besonderem Talent, Momente des Gedenkens zu schaffen. Zum Beispiel in diesem Moment am Mittwochabend im Audimax der LMU. Aber er beließ es nicht beim Gedenken, sondern er verband es mit der Forderung an alle Menschen, die heute in ungleich besseren und sichereren Verhältnissen leben als die Widerstandskämpfer der Weißen Rose. Es ist die Forderung, Haltung zu zeigen. Denn in jenem Satz von Sophie Scholl stecke "so viel, was uns heute noch anspricht, was uns anspornen kann, was uns wohl auch beunruhigt", sagte Gauck.

Zunächst sei es wichtig, das richtige Verhältnis zur Weißen Rose zu finden. Die Widerstandskämpfer haben sich von der möglichen Aussichtslosigkeit ihres Tuns nicht abhalten lassen. Dennoch dürfe man sich heute nicht mit der Überlegung quälen, ob man damals genauso heroisch gehandelt hätte. Vor allem dürfe man nicht "in Ehrfurcht vor ihnen erstarren". Denn in Ehrfurcht stecke das Wort Furcht. "Wie falsch, uns davor zu fürchten, selbst niemals so stark und mutig sein zu können. Furcht macht klein und verzagt".

Gauck fordert, dass ein jeder sich fragt, was er tun kann. "Wir können zwar nicht voneinander verlangen, Helden oder Märtyrer zu werden." Aber er verlangt Haltung und verantwortungsbewusstes Handeln. "Selbst nachdenken wollen. Mein eigenes Urteil fällen. Ich kann über Dinge, die ich für falsch oder verbesserungswürdig halte, im stillen Kämmerlein klagen - oder kann sie da ansprechen, wo Veränderung möglich ist." Der Höhepunkt der Rede war ein Appell: "Seid nicht lau! Es ist doch Euer Land, gestaltet es mit, nach den Kräften, die in Euch sind."

"Jedes Volk verdient die Regierung, die es erträgt"

Gauck kam in dem Zusammenhang auch auf Politikverdrossenheit zu sprechen. Sein Vorgänger Richard von Weizsäcker habe das Wort 1993 an dieser Stelle verwendet, es war damals Wort des Jahres. "Ich könnte eine ganze Vorlesung halten über Politikverdrossenheit. Aber man hat mir gesagt, ich hätte es schon zu oft getan." Deshalb hielt er sich an diesem Punkt relativ kurz: "Politiker und Bürger sind nicht zweierlei. Politiker sind Bürger."

Gefährlich werde es, "wenn die einen nur noch Politik machen, und die anderen sich in ihre Verdrossenheit zurückziehen". Und damit war er wieder bei seiner Forderung: Haltung zeigen, sich engagieren. "Und Politisches Engagement verlangt mehr als nur die Wahl zwischen ,Gefällt mir' und ,Gefällt mir nicht'." Im Saal unterdrücktes Gelächter. Als fühlten sich viele Studenten, sie machten die Mehrheit der Zuhörerschaft aus, ertappt. "Jedes Volk verdient die Regierung, die es erträgt", sagte Gauck.

Die Mitglieder der Weißen Rose ertrugen ihre Regierung nicht. "Ihre Geschichte zeigt uns das Menschenmögliche - im Schlimmen wie im Besten", schloss Gauck. "Holen wir die jungen Frauen und Männer der Weißen Rose immer wieder herein in die Hörsäle, in unsere Schulen, lassen wir sie zwischen uns sitzen. Und hören wie sie sagen: Einer muss ja doch mal schließlich damit anfangen!" Spätestens damit hatte Joachim Gauck bewiesen, dass er die richtigen Worte hat, auch als Bundespräsident.

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