Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Essen gehen - in Syrien eine Beleidigung, in München Standard

Als unser Autor in Deutschland das erste Mal in ein Restaurant eingeladen wurde, war er beschämt. Inzwischen kann er die Vorteile des Bekochtwerdens schätzen.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Das Leben in Bayern begann im Flüchtlings-Camp. 2015. Wir, die Neuankömmlinge, bekamen Besuch. Freiwilligen Besuch. Ich erinnere mich an eine Frau, die kam und uns zuhörte. Ich erzählte ihr meine Geschichte und wir freundeten uns an. Sie und ihr Freund besuchten uns immer wieder, ehe sie uns zum Mittagessen einluden. In ein Restaurant. Hier beginnt die eigentliche Geschichte.

Eine Einladung in ein Lokal? Warum gehen sie mit uns ins Restaurant und nicht in ihr Haus? Vielleicht wohnen sie in einer entfernten Stadt? Oder sie haben keine Küche? Es sind solche Fragen, die Neuankömmlinge bisweilen umtreiben. Zumindest war das damals so bei mir. Bei Speis und Trank am Wirtshaustisch erklärten sich unsere Gastgeber. Sie hatten einen neutralen Ort gewählt, obwohl sie - wie versichert wurde - unweit dieser Destination wohnten und dort auch eine Küche besäßen. Das steigerte unsere Zufriedenheit nicht sonderlich.

Ich war damals und bin bis heute Syrer. In Syrien gilt es nach allem, was ich weiß, als beschämend, einen Freund oder Gast in ein Restaurant einzuladen. Es gehört sich dort, nach Hause einzuladen. Mit aufwendig dekoriertem Tisch, erlesener Getränkeauswahl, einem Menü wie aus dem Sterne-Restaurant, garniert mit entspannenden Klängen und einer über allem schwebenden Wohlfühlatmosphäre.

München 2015: Als wir seinerzeit mit dem Essen fertig waren, rief unsere Gastgeberin den Kellner und bezahlte die Rechnung. Wir mussten dabei zusehen, wie das Geld den Besitzer wechselte. Es war für uns ein äußerst beschämendes Ereignis.

Man muss vielleicht genauere Hintergründe kennen. Wenn wir - als ich noch in Syrien lebte - jemanden zum Essen einluden, war das mehr als nur eine Einladung. Es war eine Mobilisierung der ganzen Familie. Frauen, Männer, Kinder. Alle beteiligen sich an der Zubereitung des Essens und dem Empfang der Gäste. Es war ein Wesenskern des Familiendaseins.

Es gibt ein syrisches Sprichwort: "Deine Schwiegermutter liebt dich." Das sagen wir, wenn jemand unerwartet zu Besuch kommt und wir ihn auffordern, mitzuessen. Egal, ob derjenige wirklich eine Schwiegermutter hat oder nicht.

Dieser Umstand ist wunderbar, um seine Qualitäten als Gastgeber gründlich unter die Lupe zu nehmen. Doch was macht einen guten Gastgeber eigentlich aus? Was sollte man für spontane Gäste immer auf Vorrat haben und was tun, wenn sich der Besuch in die Haare kriegt?

In Syrien wird immer ein spontaner Gast erwartet. Es muss überschüssiges Brot geben. Wenn ein Verwandter das Dorf besucht und an die Tür klopft, muss es schnell gehen. Meine arme Mutter schneidet das Fleisch, rast zum kochenden Wasser und schneidet die Zwiebeln. Tränen laufen ihr aus den Augen - und man fragt sich: wegen der Zwiebeln - oder wegen dem Stress?

Allein diese Frage ist Antwort genug, warum es Lokale braucht. Inzwischen freue ich mich, wenn es an einen neutralen Ort geht. Nicht wenigen meiner Freunde geht es ähnlich. Wahrscheinlich gibt es im Deutschen nicht umsonst nur den Begriff Wirtshaus - sondern auch Gasthaus.

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