Gasteig-Entwürfe:Ist das noch Wow-Effekt oder schon Größenwahn?

Gasteig-Entwürfe: Das ist eine der Ideen, wie der Gasteig künftig aussehen sollte.

Das ist eine der Ideen, wie der Gasteig künftig aussehen sollte.

Die Entwürfe für den Umbau des Kulturzentrums rufen ganz unterschiedliche Reaktionen hervor. Immer wieder schwingt die Frage mit, ob die Pläne nicht eine Nummer zu groß sind.

Von Frank Müller

Der erste Kritiker hatte es ziemlich eilig im Gästebuch. Gerade erst hatte Gasteig-Chef Max Wagner zum Geleit den Satz "Vielen Dank an die Architekten für diese große Bandbreite an Entwürfen" geschrieben, da hängte sich schon ein Anonymus unten auf derselben Seite sarkastisch dran. "Vielen Dank für diese große Bandbreite an Enttäuschungen", steht nun gleich unter Wagners Gedanken. "Schade ums Geld. Die intellektuelle Stadtelite wird es feiern."

Damit ist nun schon eine Menge gesagt zur Frage, wie der neue Gasteig aussehen soll und wie die Stadtgesellschaft das findet. Vor zwei Wochen wählte eine Jury aus 17 Entwürfen drei Wettbewerbssieger für den Umbau des Kulturzentrums aus. Seit einer Woche sind sie alle ebendort in einer Ausstellung zu sehen, in der auch besagtes Gästebuch ausliegt.

Und nun geht es um zweierlei. Die Sieger-Architekten müssen ihre Entwürfe überarbeiten, auf dass im nächsten Auswahlschritt einer zum alleinigen Gewinner gekürt werde. Und die Stadt, die Politik, die Besucher müssen ein Gefühl dafür bekommen, was der Gasteig ihnen denn künftig sagen soll, wie er der Stadt gegenübertreten soll.

Auf ein paar Grundmotive kann man sich da ganz im Sinne des Gästebuchs schon einigen, egal wie weit die Meinungen in der Sache auseinandergehen. "Große Bandbreite" - das stimmt. Selten wird eine Ausschreibung über eine Gebäudesanierung eine derartige Vielfalt von Varianten eingefahren haben. "Geld" - stimmt auch. Mehr als 400 Millionen wird das Projekt in jedem Fall kosten, die Stadtspitze setzt schon jetzt bei allen Planern die Daumenschrauben an, um elbphilharmonische Kostensteigerungen gleich im Ansatz zu ersticken. Und was die feiernde "intellektuelle Stadtelite" betrifft: Das Aufsehen, das nicht nur die Sieger-Entwürfe auf sich gezogen haben, war in jedem Fall beträchtlich. Seitdem klar ist, was auf dem geschichtsträchtigen Rosenheimer Berg auf einmal alles möglich sein soll, sehen die Münchner ihren Gasteig mit anderen Augen an.

Über die Jahrzehnte hatte man sich gewöhnt an die sich abkapselnde Trutzburg mit ihren vorgelagerten Mauern, zu der man als Ortsfremder nur mit Mühe den Zugang findet - und nun entdecken die einen mit Freude, dass hier auch ein zur Stadt offener, von Licht gefluteter Kulturpalast möglich ist. Wogegen die anderen mit einer Art vorgezogenem Phantomschmerz beklagen, dass es in der guten alten Philharmonie doch auch immer ganz nett war. Unter diesen Gasteigverehrern haben die Klagen über die ach so miserable Akustik im Konzertsaal auf einmal spürbar abgenommen.

Die Revolution überrascht ihre Väter, das lässt sich schön am Beispiel der beiden ranghöchsten Vertreter in der Wettbewerbsjury sehen. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und sein Vize Josef Schmid (CSU) sind die Bauherren des städtischen Projekts; in die Sitzungen des Preisgerichts gingen sie mit der Erwartung, vorwiegend technische Lösungen präsentiert zu bekommen. Wie sie eben bei einem in die Jahre gekommenen Zweckbau nötig sind. Dann kam das große Staunen bei den Rundgängen der Jury durch die zu diesem Zeitpunkt noch anonym präsentierten Entwürfe. "Für mich war es wirklich überraschend, dass eine Generalsanierung auch von außen so viel Neues enthalten kann", sagt Schmid nun mit ein paar Tagen Abstand. Seinem Amtskollegen Reiter, derzeit in Urlaub, sei es genauso gegangen.

Wer die nun im Gasteig ausgestellten Entwürfe besucht, sieht sofort, dass die Mehrzahl von ihnen die nötigen technischen Umbauten und die ebenfalls erwünschte räumliche Neuordnung in große Gesten und wuchtige Auftritte verpackt. Sollte Schmid und Reiter daraufhin leichter Schwindel erfasst haben, ließen sie es sich zumindest nicht anmerken. Schmid schwärmt vom "Wow-Effekt", den einige Entwürfe auslösten. Da schwingt durchaus der Gedanke mit, dass es nicht schlecht ist, wenn man der zahlenden Bevölkerung für eine knappe halbe Milliarde Euro Investitionskosten am Ende auch etwas Vorzeigbares präsentieren kann.

Dass das so kommt, kann als gesichert gelten: Alle drei prämierten Projekte, von denen eines das Rennen machen wird, setzen auf einen starken Auftritt. Ob es der Entwurf von Auer/Weber mit seiner großflächigen Öffnung des Hauses zur Stadtmitte ist. Oder der des Teams Henn mit seinem zwei Stockwerke umfassenden Glasband, welches das Gebäudeinnere sichtbar macht. Oder die Variante der Stuttgarter Architekten Wulf mit einer Krone als Dach und neues Glaselementen. Wer sich auch die ausgeschiedenen Entwürfe anschaut, der mag es fast schade finden, dass man hier nur einmal bauen kann.

Ginge es vielleicht nicht auch eine Nummer kleiner?

Je stolzer die Münchner auf den kommenden Kulturpalast sind, desto mehr wird auch ein bislang unerklärter Zweikampf spürbar. Denn es gibt ja noch den anderen großen neuen Konzertsaal hinter dem Ostbahnhof, für den auch gerade erst der Architektenwettbewerb gelaufen war. Hier ist es der Freistaat, der einen Neubau für die BR-Symphoniker plant, dort die Stadt mit einem Umbau für ihre Philharmoniker. Hier ist es eine mutige, etwas versteckte Location im ehemaligen Pfanni-Industrieviertel, das sich erst noch entwickeln muss.

Dort die große repräsentative Isarhochufer-Terrasse, ein Standort, von dem man wegen der bisherigen Burgarchitektur gar nicht wusste, wie gut er ist. Künftig dürfte man ihn in einem Atemzug mit den beiden Hochufer-Perlen Friedensengel und Maximilianeum sehen. Welches der beiden Großprojekte wird am Ende das coolere sein? Oder ist das egal und ist es schlicht ein Glücksfall, dass München als vielleicht einzige Stadt der Welt gerade gleichzeitig zwei neue spektakuläre Orchestersäle bekommt?

Man kann genau deswegen auch anders herum fragen: Ginge es vielleicht nicht auch eine Nummer kleiner? Dieser Gedanke treibt viele in der Ausstellung um, auch das lässt sich im Gästebuch ablesen. Erst sei es darum gegangen, einen zweiten Saal zu bauen und den Gasteig herzurichten, schreibt ein Besucher. Nun laute die Rechnung: "Gasteig neu + 2. Konzertsaal + Provisorium" (gemeint mit letzterem ist das Sendlinger Übergangsdomizil während der Bauphase). "Sind wir wahnsinnig?"

Die Frage, ob man am Gasteig vielleicht zu groß denkt, beschäftigt viele. Auch das immerwährende Münchner Phänomen, dass man Hochhäuser nicht so richtig hoch haben will und mutige Ideen lieber eine Nummer kleiner umsetzt, wird spürbar. Der Schreiber im Buch zeichnet die Variante mit der Krone und setzt einen Pfeil an die Spitzen mit dem Vermerk: "Bitte abschneiden". München gebe hunderte von Millionen aus für ein "Nordkorea-Monument", meint ein anderer. "Lasst's den Gasteig einfach, wie er ist", meint ein Dritter.

Dass das auf keinen Fall geht, nicht gehen darf, ist inzwischen eine der Sorgen der Hausbetreiber. Wenn Gasteig-Chef Wagner und seine Leute ihr Projekt erläutern, weisen sie sehr eindringlich darauf hin, wie notwendig die Sanierung sei. Weil schon einzelne Aufführungen aus Sicherheitsgründen gefährdet waren, weil im Haus die Sprinklertanks verrosten und die Notstromaggregate museumsreif werden. Und dass die Hälfte der insgesamt 280 technischen Anlagen im Haus nur eine Lebensdauer bis zum Jahr 2020 habe, wie Wagner sagt. Kleine Baustellen innerhalb der großen gibt es viele. "Bei uns schaut manches aus wie im Deutschen Museum", spöttelt Gasteig-Sprecher Michael Amtmann. Aber das ist eine andere Sanierungs-Geschichte.

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