Süddeutsche Zeitung

Gasteig-Ausweichquartier:Die Halle E - mehr als ein Entree

Die ehemalige Trafohalle der Stadtwerke bildet nun das Foyer der neuen Isarphilharmonie. Doch in ihrem Bauch schlummern viele Geheimnisse - von einer Tag und Nacht geöffneten Bibliothek bis zu einer goldenen Bar.

Von Susanne Hermanski

Was hat sie nicht schon alles hinter sich, diese alte Backsteinhalle: Errichtet von 1926 bis 1929, sollte sie als Lagerhalle des benachbarten Heizkraftwerks helfen, den Durst der erblühenden Industriestadt München nach Energie zu stillen. Im Zweiten Weltkrieg war sie wegen dieser Bedeutung für die Infrastruktur Ziel der Alliierten und büßte infolge eines Bombentreffers ein ganzes Geschoss ein. Trotzdem tat sie später wieder ihre Dienste als Trafohalle, bis diese nicht mehr gebraucht wurden. Da parzellierten sich allerlei Kreative, Fahrradhändler und andere Untermieter ihr Innerstes für deren jeweiligen Bedarf.

So schön aufgemöbelt, so öffentlich nutzbar wie sie es von diesem Wochenende an sein wird, war sie unterdessen noch nie. Als Herzstück des Ausweichquartiers für den Gasteig vereint die denkmalgeschützte Halle nun vieles unter ihrem historischen Glasdach: das Foyer für die Isarphilharmonie, eine riesige Bibliothek, eine goldene Bar, ein Café, Ticketschalter, Infodesk für die VHS und vor allem wohl - eine einzigartige, lichte Atmosphäre. Viele Menschen wirken und wirkten daran mit.

Der Denkmalschützer

Der Generalkonservator im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege Mathias Pfeil hat mitzuverantworten, dass die Halle nur sanft umgebaut worden ist, und trotzdem allen neuen Anforderungen gerecht wird. Er betont die Qualität des Baus, den in den Zwanzigerjahren Hermann Leitenstorfer und Fritz Beblo entwarfen, beide auch verantwortlich für das bekannte Backstein-Hochhaus an der Blumenstraße. Die Halle E sei eines der raren Beispiele für die Neue Sachlichkeit in München, "mit ihrer klaren Geometrie der Formen" - eine Ausprägung der Moderne, mit der sich die Stadt bekanntlich schwertat. Wilhelm von Gumberz hat sie von 1948 bis 1950 wieder aufgebaut und einige Elemente dabei verändert. Giebel und Satteldach fielen unter anderem weg. "Die fast sakrale Ausstrahlung des Innenraums blieb jedoch erhalten, auch die Galerie zu allen vier Seiten und die Lichtdecke", sagt Pfeil.

Der Architekt

Die Architekten waren also angehalten, behutsam mit der alten Bausubstanz umzugehen, und sie taten dies gern. "Der besondere industrielle Charakter des Ortes sollte erhalten bleiben, auch in den Details", erklärt Stephan Schütz, Partner bei Gerkan, Marg und Partner (GMP). Dazu gehört so Signifikantes wie der leuchtend gelbe Lastenkran, der noch voll funktionsfähig unter der Lichtdecke der 21,7 Meter hohen Halle hin- und herzugleiten vermag. Noch auffälliger sind nur noch die blauen Balustraden der Galerien. Weil sie für heutige Sicherheitsstandards etwas zu niedrig sind, wurden den unantastbaren Originalen zusätzliche Metallhandläufe voran gesetzt. Alle Leitungen blieben auf Putz, alte Markierungen auf dem Boden blieben ebenso erhalten wie Beschriftungen an den Türen. Auf ein durchgängiges Möbelkonzept wurde verzichtet, weil etwa die Bibliothek einfach mitbrachte, was sie schon im alten Gasteig an Sitzgelegenheiten hatte.

Dennoch ist viel Neues zu entdecken in der Halle: der durch eine gläserne Wand abgetrennte Saal im Saal "Projektor" beispielsweise und mehrere isolierbare Bereiche für das stille Arbeiten oder auch auf den Galerien lässig eingerichtete Zonen für die Education-Programme. Als architektonisches Glanzstück gilt die sogenannte Fuge. Und in der Tat dürfte sich darüber sogar Meister Johann Sebastian Bach erfreut haben: Sie verbindet die Außenmauern der Halle E mit dem Philharmonie-Anbau durch zwei extravagante, von einander wegstrebende Himmelsleitern.

Die Fuge gehört zu einer der wichtigsten architektonischen Aussagen auf dem Gelände des Gasteig HP8. Vielleicht nur noch übertroffen von einer anderen Grundentscheidung: Man schuf einen Platz vor der Halle, der sich nicht etwa zur Stadt hinwendet (wo der Verkehr tobt), sondern hin zum "Grünraum", also in Richtung des Isarkanals, der direkt am Gelände vorbeifließt. Die Isar könnte man sogar auch sehen von dort aus - sollten sich Politik und Verwaltung irgendwann dazu durchringen, hier eine schmale Sichtschneise durch die Bäume schlagen zu lassen.

Die Bibliothekarinnen

Das aufregendste Experiment steht den Bibliothekarinnen in diesen Tagen bevor: die Eröffnung der ersten "Open Library" in Deutschland unter dem Dach der Halle E. "Natürlich waren wir im Gasteig auch immer offen", sagt Birgit Wimmer, die Leiterin der Münchner Stadtbibliothek im HP8, die den Begriff für etwas irritierend hält. Komplett neu aber sind die Öffnungszeiten. War diese werktags von 10 bis 19 Uhr, sind von Samstag an die Bücher täglich von 8 bis 23 Uhr zugänglich und auch zur Ausleihe bereit. Die Besitzer eines Bibliotheksausweises können sie eigenständig einscannen. Denn über viele Stunden am Tag werden die Bibliothekarinnen nicht präsent sein können.

"Nicht wir sperren künftig unseren Besuchern auf, wie früher im Gasteig", sagt Carolin Becker, die Leiterin der Stadtbibliothek Am Gasteig. "Sie werden oft schon da sein, wenn wir unseren Dienst antreten, und sich noch Bücher ausleihen, wenn wir schon wieder zu Hause sind. Es wird spannend zu sehen: Wie lebt die Bibliothek ohne uns?" München folgt damit dem Vorbild von einigen skandinavischen Ländern, in denen vergleichbare Konzepte bereits existieren und größte Erfolge zeigen. Gerade wenn man Bibliotheken nicht als bloße Orte der Stille und Ausleihe begreift, sondern als soziale ("Die Leute müssen es schon aushalten, wenn hier ein Mensch mit seinem Gepäck reinkommt", Becker) und emotional positiv besetzte Räume ("Ich bin sicher, das wird hier ein Sehen-und-gesehen-werden-Ort", Wimmer) für den Aufenthalt, zum Arbeiten und sich Austauschen. "Und das tun wir schon lange", sagt Birgit Wimmer.

150 Steckdosen sind in der Halle angebracht, damit genug Menschen gleichzeitig dort etwa an ihren Laptops arbeiten können. Ganz und gar still werde es in dieser Bibliothek nie sein, wissen die Bibliothekarinnen. Aber was heiße das schon in Zeiten von Noise-Cancelling-Kopfhörern? Zudem gebe es ein schallgeschütztes "Musik-Lab" zum selber Musik aufnehmen, und ein für jedermann offenes Sprachencafé im ersten Stock. Dort würde dann miteinander Konversation in Spanisch oder Chinesisch geübt.

Wenn die Menschen sich öfter selbst zurechtfinden müssen in einer Bibliothek, wirkt sich das auch auf deren sinnvolle Sortierung aus: "Wir haben die Themenwelten umgestellt", sagt Carolin Becker. "Wir zielen stärker darauf ab, die Besucher zu inspirieren." Etwa indem Regale unter dem Motto "Was München bewegt" zusammengestellt werden - oder auch mit allerlei CDs, DVDs, Partituren und Biografien versehen zu einer etwaigen Beethoven-Reihe in der Philharmonie. Die Regale übrigens, die hier ja für eine Interims-Bibliothek aufgestellt sind, bestehen aus Pappe. Deren Module sind zudem zu Kuben zusammengefasst, die sowohl stehend als auch liegend arrangiert werden können. Leicht zu verschieben und dereinst leicht wieder zu entsorgen.

Der Gastronom

Für die Foyergastronomie und das Lesecafé in der Halle E ist Florian August zuständig. In München kennt man ihn als Mitgründer des Museumsrestaurants "Ella" im Lenbachhaus. August rechnet damit, noch im Oktober voll starten zu können. Noch fehlt dafür das grüne Licht der Stadtverwaltung, denn kleinere Verzögerungen im Innenausbau der Halle hat es bei aller In-Time-Fertigstellung des großen Ganzen doch gegeben. "Aber ich bin bester Dinge", sagt der Wirt. Sein Service-Team steht, "auch wenn es aktuell besonders schwer ist, tolle Leute zu finden. Aber ich habe sie". Darunter sei auch ein ausgezeichneter Patissier für die Kuchen im Café, ebenso liegen die komplett regional und in vielem biologisch ausgerichteten Einkaufslisten für sämtliche Speisen und Getränke bereit. Und am goldfarbenen Tresen in der Halle wird es bei den Eröffnungsfeierlichkeiten auf alle Fälle trotzdem schon etwas Wasser und Wein geben. Selbst wenn bis zur festen Einrichtung mit Top-Espressomaschine und Registrierkasse noch ein paar Tage ins Land ziehen müssen.

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