Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Bühne? Frei!:Einander zuhören

Kultur-Lockdown, Tag 72: Der Musiker und Kabarettist bemüht sich, seine gute Laune zu behalten

Gastbeitrag von Martin Schmitt

Dass der Beruf des Musikers und Kabarettisten reich an Höhen und Tiefen ist, war mir nach 34 Jahren auf der Bühne durchaus klar geworden. Doch Anfang 2020 erlebte ich eine für mich neue Dimension der Fallhöhe, als ich erst am 22. Februar in der voll besetzten Münchner Philharmonie spielen durfte und danach sieben Monate gar nicht. Darauf folgten zwei Monate mit 50-Zuhörer-Konzerten und dann wieder eine Pause von noch unbestimmter Länge. Eine Sache verdichtete sich: Seit einigen Jahren dachte ich immer wieder auf romantische Weise an ein Sabbatical, dachte mir, nach mehr als 2000 Konzerten gönne ich mir einmal eine Pause - von wegen! Denn als diese Pause erzwungenermaßen kam, konnte ich sie nicht wirklich genießen. Ich kann es immer noch nicht. Ich muss auf die Bühne.

Meine Kunstform hat sich geändert, sie heißt jetzt: halbwegs gute Laune behalten und optimistisch bleiben. Das ist keine leichte Übung, und oft scheitere ich daran, doch halte ich es gerne mit Richard David Precht: "Ein Optimist, der am Ende in seinen Idealen enttäuscht worden ist, hat am Ende immer noch ein erfüllteres Leben gelebt als ein Pessimist, der sich bestätigt sieht. Pessimismus ist keine Lösung, Pessimismus ist feige."

Oft denke ich an meine Urgroßmutter, dann werden meine Sorgen klein. Sie war 16, als der erste Weltkrieg begann und hat mit 47 als Sudetendeutsche sämtliches Hab und Gut zurücklassen müssen, um im alles andere als ausländerfreundlichen Oberbayern von vorne anzufangen. Als ich auf die Welt kam, war sie 70 Jahre alt, hat sich in meiner Kindheit viel um mich gekümmert und hatte bei all dem nur selten schlechte Laune. Ihre Erzählungen von der entbehrungsreichen Zeit nach 1945 habe ich noch gut in Erinnerung. Nie war da ein Hadern oder eine Verzweiflung zu vernehmen - nur einen Wunsch hatte sie: Dass man ihr zuhört. Denn der Mensch lebt auch im Erzählen, und ja: Zuhören sollten wir einander. Respekt habe ich auch vor meinen Kindern, die diese Phase gutlaunig, zuversichtlich und mutig durchleben. Im Gegensatz zu Leuten in unserem Alter genossen sie noch keine unüberschaubare Anzahl an Treffen mit Freunden, die man in diesem Alter so dringend braucht. Denn diese Freunde sind Gottes Entschuldigung für Verwandte.

Hoffen wir also alle "Auf bessere Zeiten". So heißt auch der BR-Sternstunden-Song 2020, den Claudia Koreck und ihr Mann, der Produzent Gunnar Graewert, mit vielen bayerischen Musikstars produziert haben. Alle Mitwirkenden, darunter Hans-Jürgen Buchner, Stefan Dettl, Hannes Ringlstetter, Ami Warning und Barny Murphy haben ohne Gage mitgemacht, so dass 100 Prozent der Einnahmen an die BR-Sternstunden gespendet werden konnten, um denjenigen zu helfen, denen es noch schlechter geht. Eine Ehre für mich, dabei gewesen zu sein.

Eine solche Aktion muss man in diesen Zeiten erst einmal zustande bringen, darum ein Riesenkompliment an Claudia und Gunnar. In so einem Fall sagt der Bayer gerne "Hund sans scho!" Gerne gehe ich mit ihnen auch nach 21 Uhr noch spazieren. Mit Hund darf man ja.

Alle Folgen auf sz.de/kultur-lockdown

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5170759
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.01.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.