Gastbeitrag:Die Spur des Täters

Warum die Polizei die Ausdehnung der DNA-Analyse fordert.

Von Wilhelm Schmidbauer

Als Praktiker spreche ich mich dafür aus, dass der Gesetzgeber die DNA-Analyse als Standardmaßnahme des polizeilichen Erkennungsdienstes einführt.

Die Polizei könnte dann in allen Fällen, in denen sie heute schon Fingerabdrücke nimmt, auch DNA-Proben entnehmen. Ist dies nun eine Horrorvision?

Das Ende von Freiheit und Rechtsstaat? Oder ein polizeiliches Allheilmittel?

Es ist weder das eine noch das andere, sondern nur die konsequente Nutzung neuer Möglichkeiten der Kriminaltechnik, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten.

Akzeptanz wichtig

Polizeiliche Maßnahmen brauchen die Akzeptanz der Bevölkerung. Der Bürger muss wissen, was die Polizei tun kann und tun darf. Aber er muss genauso wissen, was es bedeutet, wenn der Gesetzgeber der Polizei bestimmte Ermittlungsmethoden nicht zugesteht.

Der Fall: Er ist leider traurige Realität und stammt aus dem Alltag der Bayerischen Polizei. Was geschah an einem lauen Sommerabend des Jahres 2002? Eine junge Frau öffnete ihre Terrassentüre, vielleicht um Wäsche aufzuhängen. Mit roher Gewalt stieß sie ein Mann in ihre Wohnung zurück. Dort wurde sie brutal vergewaltigt, schließlich getötet. Der Täter verging sich noch an der Leiche.

Ungefähr eineinhalb Jahre später nahm die Polizei einen 20-jährigen Mann aufgrund eines Hinweises aus der Bevölkerung als Tatverdächtigen fest. Er war bereits als Jugendlicher wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Unterschlagung polizeilich in Erscheinung getreten. Seitdem hatte die Polizei von ihm Lichtbilder und Fingerabdrücke. Eine DNA-Analyse zur Identifizierung der Person aber lässt das Gesetz bei derartigen Delikten nicht zu.

Der Täter hinterließ keine Fingerspuren. Die Polizei konnte am Tatort jedoch Spermaspuren sichern. Will sie eine solche Spur mittels DNA-Analyse auswerten, benötigt sie die Zustimmung eines Richters, bevor die DNA-Untersuchung der gesicherten Spur in einem kriminaltechnischen Labor in Auftrag gegeben werden kann.

Tiefes Misstrauen

Mit Ausnahme eines tiefen Misstrauens gegenüber der Polizei erschließt sich kein Sinn in dieser Regelung. Oder gibt es mehr oder weniger schützenswerte Spuren oder gar Opfer, über die der Richter entscheiden sollte? Eine erneute gerichtliche Kontrolle erfolgt ohnehin im Strafprozess. Der erforderliche administrative Aufwand und Zeitverlust für Anträge an Staatsanwaltschaft und Gericht verschwenden Ressourcen.

Am Tag nach der Tat richtete die Bayerische Polizei zur Aufklärung des Verbrechens eine Sonderkommission ein. Während der eineinhalb Jahre arbeiteten zwischen 15 und 30 Beamte in der Kommission. Sie wurden von anderen Stellen abgezogen, fehlten auf der Straße. Unzählige Spuren wurden verfolgt, Personen aus dem beruflichen und privaten Umfeld des Opfers abgeklärt, ihre Alibis überprüft.

Als sich abzeichnete, dass es keine Fortschritte geben würde, entschlossen sich Polizei und Staatsanwaltschaft, zu einem Massen-Screening aufzurufen. Männer des betroffenen Ortes wollten der Polizei helfen, kamen freiwillig zu einer Dienststelle und lieferten eine Speichelprobe ab. Insgesamt wurden in diesem Mordfall 4461 Speichelproben untersucht.

In jedem einzelnen Fall musste ein Polizeibeamter die Speichelprobe entnehmen, vorschriftsmäßig konservieren, Personalien festhalten, Begleitpapiere ausfüllen und Untersuchungsanträge schreiben. Alle Helfer waren unschuldig. Ihre DNA-Proben wurden sofort vernichtet. Ihre Speicherung oder eine Recherche in der DNA-Datenbank war ohnehin von vorneherein ausgeschlossen.

Die Angst: Fast eineinhalb Jahre ging in dem Ort und in benachbarten Gemeinden die Angst um. Die Polizei erhöhte die Zahl ihrer Streifen. Häufig wurden die Beamten gefragt, ob man sich noch auf die Straße trauen dürfe. Und manche wagten es nicht mehr, ihre Terrassentür offen zu lassen. Angst ging auch in der Sonderkommission um.

Hohe Wiederholungsgefahr

Das Täterprofil prognostizierte eine hohe Wiederholungsgefahr. Die Zeit drängte. Der Wunsch: Der Gesetzgeber sollte es künftig zulassen, dass bei allen Tatverdächtigen, bei denen jetzt bereits im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung Fingerabdrücke genommen werden können, künftig auch eine DNA-Analyse zulässig ist.

Hätte die Polizei diese gesetzliche Befugnis gehabt, dann wäre der vorliegende Fall schon am Tag nach der Tat geklärt und der Tatverdächtige verhaftet worden.

Die Bedenken: Würde damit nicht wiederum ein Schritt in Richtung Überwachungsstaat getan? Kennt die Polizei bald alle Erbanlagen eines einzelnen Menschen? Nein! Die DNA-Analyse ist nur soweit zulässig, als es um die Identifizierung einer Person geht. Mehr will und mehr darf die Polizei nicht.

Die kriminaltechnische Analyse im Rahmen des polizeilichen Erkennungsdienstes findet ausschließlich im so genannten nichtcodierten Bereich des DNA-Stranges statt, der keinerlei Erbanlagen enthält. Die Polizei unterliegt dem gesetzlichen Verbot des Ausforschens von Erbinformationen und ist hierzu auch technisch gar nicht in der Lage.

Die Grundrechte: Zu Recht urteilt das Bundesverfassungsgericht, dass Feststellung, Speicherung und künftige Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters in das durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz verbürgte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift. Es sieht im DNA-Identitätsfeststellungsgesetz aber auch eine ausreichende gesetzliche Regelung.

Strenge Zweckbindung

Auch weil mit der DNA-Analyse nicht in den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit eingegriffen wird, ist sie als Maßnahme des polizeilichen Erkennungsdienstes einzustufen. Die Strafprozessordnung enthält aber eine zu strenge Zweckbindung: Das DNA-Identifizierungsmuster darf nur verwendet werden, um in einem konkret anhängigen Ermittlungsverfahren festzustellen, ob aufgefundenes Spurenmaterial vom Beschuldigten stammt.

Für Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Straftaten dürfen DNA-Maßnahmen nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung und unter Erstellung einer Wiederholungsprognose getroffen und das DNA-Muster in der Datenbank gespeichert werden. Wie der beschriebene Mordfall eindrucksvoll unter Beweis stellt: viel zu hohe rechtliche Hürden!

Gerechter Ausgleich

Die Opfer: Bei allem Respekt um Sorgen vor dem Verlust der Freiheit muss doch auf einen Aspekt hingewiesen werden, den unser Staat allzu lange vernachlässigt hat: den Schutz der Opfer. Unser Grundgesetz fordert einen gerechten Ausgleich zwischen den Grundrechten eines Tatverdächtigen und den Grundrechten eines potenziellen Opfers.

Um die ersteren kümmert sich seit Jahren in bewährter Arbeit der Datenschutzbeauftragte. Einen Opferschutzbeauftragten gibt es in unserem Staate nicht. Um so mehr ist es Aufgabe des Gesetzgebers, für einen gerechten Ausgleich beim staatlichen Schutz zu sorgen.

Der Autor ist Polizeipräsident in München

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